Knallharter Poker, unansehnliche Kompromisse: Wie Deutschland unabhängig vom russischen Gas werden will

Ein Gazprom-Mitarbeiter.

Ein Gazprom-Mitarbeiter.

Eigentlich weiß es schon jeder. Wir hängen an russischem Gas wie der Junkie an der Nadel. Russlands Megakonzern Gazprom aber rieb es soeben auf Twitter dem Rest der Welt noch mal richtig rein. Per Nord Stream 1 habe man im vorigen Jahr stolze 59,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Westen rauschen lassen.

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In einem weiteren Tweet hoben die russischen Gasherren hervor, wie wichtig ununterbrochene Lieferungen für die Kundschaft sind: 85 Prozent der europäischen Gasreserven seien bereits verbraucht.

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Den Klammergriff lösen – aber wie?

In Berlin räumen Politiker aller Parteien mittlerweile ein, dass in den letzten Jahren viel schiefgegangen sei in der deutschen Gaspolitik. Anders als etwa in Italien gibt es in Deutschland keine Vorschrift, wonach Lieferanten eine nationale Gasreserve befüllen müssen. Und anders als in allen anderen EU-Staaten mit einer Küste gibt es in Deutschland noch immer keinen Termin zur Zurückvergasung von per Schiff geliefertem Flüssiggas (LNG).

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Stattdessen steigerte Deutschland die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferland auf bedenkliche 67 Prozent: Russland.

Quelle: Bundesnetzagentur

Quelle: Bundesnetzagentur

Die wachsende Leere der deutschen Gasspeicher erhöht derzeit noch die Spannung. In ganz Deutschland beträgt der aktuelle Füllstand 34,8 Prozent. Ausgerechnet der größte deutsche Erdgasspeicher, im niedersächsischen Rehden, ist fast leer: Die Anlage, die vier Milliarden Kubikmeter fassen könnte, meldet einen Füllstand von nur noch 3,67 Prozent; sie gehört der Gazprom-Tochter Astora. Die haarsträubenden aktuellen Daten sind jederzeit auf einer Webseite des Verbands Gas Infrastructure Europa (GIE) aufrufbar.

Nie zuvor hatte die russische Seite die deutschen Verbraucher und die deutsche Politik so eiskalt in einen Klammergriff genommen wie jetzt, parallel zur Krise in der Ukraine.

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Deutschlands Gasbranche richtet sich inzwischen darauf ein, dass es so wie bisher in den kommenden Jahren nicht weitergehen wird. „Wir werden massive Veränderungen erleben, und zwar ganz unabhängig von der Entwicklung des Konflikts um die Ukraine“, heißt es in der Führungsebene eines weltweit aktiven deutschen Branchenriesen.

LNG-Schiffe können ihren Kurs ändern

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) weist bereits den Weg. Erstens soll die Russland-Quote fallen, unter anderem durch Import von verflüssigtem Gas per Schiff. Zweitens will die Bundesregierung Mindestreserven vorschreiben, bevor der nächste Winter kommt.

Der Plan hört sich prinzipiell gut an, enthält aber viele Tücken.

Beide Umsteuerungsprozesse werden – damit geht es los – die Preise für Gas noch weiter steigern. Die deutschen LNG-Terminals müssen erst noch gebaut werden. Und auch nachdem dies geschehen ist, wird es statt einer neuen Verlässlichkeit eher eine neue Art der Unsicherheit geben. Am LNG-Markt schwanken die Preise dramatisch. Das hat auch mit der Transportmethode zu tun: LNG-Schiffe können, anders als eine Pipeline, ihren Zielort jederzeit ändern. Wer sie in die eigenen Häfen lotsen will, muss genug Geld auf den Tisch legen.

OZ-Bild

Ein LNG-Tanker im Hafen von Zeebrügge: Schiffe wie dieses sollen künftig auch deutsche Terminals anlaufen können – die aber noch gebaut werden müssen. Diskutiert wird über die Standorte Brunsbüttel und Stade.

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Zu der Aussicht auf hohe Kosten gesellt sich eine ernüchternde politische Erkenntnis. Wer Alternativen zum Lieferland Russland sucht, muss auch ökologisch und ethisch neue unansehnliche Kompromisse machen.

Militärs oder Mullahs statt Moskau?

  • Das von Habeck propagierte verflüssigte LNG kostet an drei Stellen zusätzlich Energie: beim Verflüssigen, beim Transport per Schiff und beim Zurückvergasen. Ein Ökosiegel winkt hier nicht.
  • Die demokratischen Staaten USA und Kanada haben nur wenig Spielraum, um ihre LNG-Liefermengen zu erhöhen. In beiden Ländern ruhen seit Langem kritische Blicke von Umweltschützern auf den umstrittenen Fördermethoden („Fracking“).
  • Langfristig größere Potenziale bieten drei Lieferländer, die – jedes auf seine Art – politisch im Zwielicht stehen: das Emirat Katar, der Mullah-Staat Iran und das autoritär regierte Algerien, in dem sich nach immer neuen Unruhen alle Hoffnungen auf eine Demokratisierung ebenfalls verflüchtigt haben. Katar will die Förderung aus seinem gigantischen „North Field“ unter dem Meeresboden in den nächsten Jahren massiv ausweiten. Auch der Iran drängt ins LNG-Geschäft, wird aber derzeit wegen westlicher Sanktionen mit Blick auf sein Atomprogramm daran gehindert. „Nur als Gedankenspiel“, heißt es höhnisch aus der deutschen Gasbranche, könne die Politik ja erwägen, „einen Schurken gegen den anderen zu tauschen“, etwa Russland gegen den Iran.
Wird die Islamische Republik Iran zum neuen LNG-Anbieter? Die Firma Iran Liquefied Natural Gas Corporation bereitet sich jedenfalls vor auf neue Zeiten und wirbt bereits im Internet .

Wird die Islamische Republik Iran zum neuen LNG-Anbieter? Die Firma Iran Liquefied Natural Gas Corporation bereitet sich jedenfalls vor auf neue Zeiten und wirbt bereits im Internet .

  • Während alle Welt über Nord Stream 2 redet und die damit verbundenen finanziellen Nachteile für die Ukraine bedauert, baut Polen weitgehend unbeachtet eine eigene Röhre nach Norwegen: Die Baltic Pipe soll noch in diesem Jahr fertig werden. Auch dieser Weg von Gas durch die Ostsee geht, wie Nord Stream 2, an der Ukraine vorbei – und trägt dazu bei, dass Kiew nicht wie in früheren Jahrzehnten Transitgebühren für Lieferungen über Landröhren aus Russland kassieren kann.

„Wenn Politiker derzeit auf die Bühne gehen, halten sie gern Vorträge, in denen es um Ethik geht“, klagt ein Gasmanager, der nicht genannt werden will. „Hinter den Kulissen aber läuft in Wirklichkeit ein knallharter Poker wie noch nie, und zwar an mehreren Tischen gleichzeitig.“

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