Richtungsstreit: Die Linke zwischen Tradition und „ökosozialistischer Protestpartei“
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Mitglieder der Parteiführung sitzen beim Online-Bundesparteitag der Linken im Februar vergangenen Jahres. Mit dem Wahldesaster vom September hat sich der Richtungsstreit in der Linken verschärft.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
Berlin. Sie fordern einen Systemwechsel. Aber nicht gleich in der Gesellschaft, sondern zunächst in der eigenen Partei. Unter der Schlagzeile „#Systemchange – für eine Erneuerung der Linken“ steht ein Aufruf im Internet, der ein radikales Umsteuern in der inhaltlichen Ausrichtung fordert hin zur „ökosozialistischen Protestpartei“.
Unterzeichnet von einem halben Dutzend junger Mitglieder aus Bezirksverbänden, Kommunalparlamenten und Arbeitsgemeinschaften, geht das Positionspapier hart mit der alten Garde in der Bundestagsfraktion um Fraktionschef Dietmar Bartsch (63) und Klaus Ernst (67) ins Gericht.
Durch ihr schlechtes Ergebnis bei der Wahl im September steht der Linken im Bundestag nur noch ein Ausschussvorsitz zu. Die Partei entschied sich für Klimaschutz und Energie. Als die Fraktion Mitte Dezember den 67-jährigen Klaus Ernst zum Ausschussvorsitzenden bestimmte, brach ein Proteststurm unter den Systemchange-Aktivisten los. Sie sammelten 12.000 Unterschriften unter dem Aufruf „#NichtEuerErnst“ und fragten die 23 Abgeordneten, die Ernst gewählt hatten: „Wie konntet ihr es wagen?“
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Als die Fraktion Mitte Dezember den 67-jährigen Klaus Ernst zum Ausschussvorsitzenden bestimmte, brach ein Proteststurm los.
© Quelle: imago images/Future Image
Der Protest hat etwas damit zu tun, dass Ernst eher als Wirtschaftspolitiker gilt, als Porsche-Fahrer verschrien ist und eine zu starke Orientierung an Umweltthemen für falsch hält. Nach dem Wahldesaster schrieb der ehemalige Parteichef (2010–2012) auf Twitter: „Eine linke Partei, die kaum noch bei den abhängig Beschäftigten verankert ist, aber jeder Bewegung hinterherläuft, grüner als die Grünen sein will, sich über offene Grenzen für alle und darüber stritt, Wagenknecht auszuschließen! Ein Warnschuss!“
Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow erklärten nach der Wahl, bei der die Linke nur noch 4,9 Prozent holte und nur dank dreier Direktmandate überhaupt wieder in den Bundestag einzog, dass sie zwar Verantwortung übernehmen, aber keinen Grund für persönliche Konsequenzen sehen würden. Es wäre falsch, sich jetzt „vom Acker zu machen“, hatte Hennig-Wellsow gesagt, und dass die Partei sich neu erfinden müsse. Wissler meinte, die Ursachen lägen tiefer, als dass sie durch Personalentscheidungen zu lösen seien.
Strategiepapier versucht, Klimaziele und soziale Sicherheit zu vereinen
Knapp vier Monate später legte die Parteispitze beim digitalen Jahresauftakt Mitte Januar ein Strategiepapier vor, das hochgesteckte Klimaziele und soziale Sicherheit zu vereinen versucht. Demnach soll Deutschland schon 2035 klimaneutral sein, also zehn Jahre früher als von der Ampelregierung geplant. Und der Ausstieg aus der Kohleverstromung, den die Ampel „idealerweise“ bis 2030 anstrebt, soll bei der Linken zum selben Zeitpunkt schon abgeschlossen sein.
Klaus Ernst sieht hinter diesen ehrgeizigen Zielen die Strategie, junges grünes Wählerpotenzial anzuziehen, das sich von den Grünen enttäuscht abwendet. Er glaubt aber nicht an den Erfolg dieser Strategie, die Kohlekumpel, Autowerker und Stahlarbeiter eher verschrecken würde. „Unsere Kernkompetenz liegt im Bereich der sozialen Gerechtigkeit, und darauf müssen wir uns zurückbesinnen und sie zum Gegenstand der Klimadebatte machen“, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Bartsch definiert Rolle der Linken im Bundestag als die der „sozialen Opposition“
Ernst sieht die Aktivsten von #Systemchange als Gruppe junger Leute, die sich ausschließlich um Klimafragen kümmern und deren Ziele über die der Grünen noch hinausgehen. „Wenn wir uns aber nicht mehr um die Masse der einfachen Erwerbstätigen, um die Rentner und die Sozialhilfeempfänger kümmern“, sagt er, „dann verlieren wir unsere Identität. Unser Kern muss sein, deren Interessen in die Klimapolitik einzubringen. Dann steigt auch die Akzeptanz für Klimapolitik.“
Das sieht offenbar auch Fraktionschef Bartsch so, der inzwischen die Rolle der Linken im Bundestag klar als die der „sozialen Opposition“ definiert. Auch Bartsch findet Klimaschutz wichtig, sagt aber auch, man müsse sich das Eintreten dafür auch leisten können. Heißt, die Preisexplosion bei Strom, Benzin und Wärme muss sozial abgefedert werden, etwa durch einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Energie.
Der anhaltende Richtungsstreit in der Partei hat seine Ursache auch in einem „Generationenkonflikt“, analysiert der Vorsitzende des Ältestenrates, der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow (94), in einem Brief an Wissler (40) und Hennig-Wellsow (44), den die „Junge Welt“ veröffentlichte. „Zu diesem Konflikt kommt auch noch der der unterschiedlichen Herkunft“, schreibt Modrow und beklagt, er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, die Partei sei inzwischen „in westdeutscher Hand“.
Modrow mahnt, den vielen jungen Leuten, die der Linken vornehmlich aus den urbanen Milieus zulaufen, müsse man bewusst machen, wo die Wurzeln der Partei sind und wofür Generationen gekämpft haben: „Lautmalerei, Anglizismen und Gendern oder der Kampf gegen die Klimakatastrophe überwinden die sozialen Gegensätze in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft nicht.“
Die Zukunft ist offen, auch wenn sie derzeit nicht rosig aussieht.
Klaus Ernst,
Linken-Politiker
Am Ende verspricht Modrow den Spitzenfrauen, sie künftig „mit Schreiben wie diesem zu verschonen“: „Meine Kraft ist aufgezehrt, ich kann nur auf die Enkel hoffen“, schreibt er und bekennt, es schwinge noch Hoffnung mit. „Und die stirbt bekanntlich zuletzt.“
Auch Ernst hat noch Hoffnung. Er sagt: „Die Zukunft ist offen, auch wenn sie derzeit nicht rosig aussieht.“ Und er will den Kampf um die Richtung seiner Partei noch nicht aufgeben. Im Vorfeld der Jahresauftaktklausur der Fraktion sorgte er erneut mit einem Tweet für Aufsehen, mit dem er die Parteiführung quasi aufforderte, die Vertrauensfrage zu stellen.
Darin regt er „schnelle Neuwahlen der Parteiführung nach Mitgliedervotum wie bei der CDU“ an. „Ich halte es für richtig, die Mitglieder zu befragen, welchen Kurs die Partei nehmen soll und wer sie repräsentiert“, sagte Ernst dem RND.
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Eine Mitgliederbefragung hat die Parteispitze zwar angeschoben, darin aber nicht die Vertrauensfrage gestellt. Wie es in einem gemeinsamen Statement von Wissler und Hennig-Wellsow für das RND heißt, haben sich „circa 14.000 Genossinnen und Genossen, also mehr als 25 Prozent der Mitgliedschaft“, beteiligt. Den Ergebnissen, die gerade ausgewertet würden, wolle man nicht vorgreifen.
Die Parteispitze möchte die Linke „als treibende Kraft einer an die Wurzel der Probleme gehenden sozialen und ökologischen Transformation neu aufstellen und zukunftsfähig machen“. Was das genau heißt? „Pflege- und Mietenpolitik, der Kampf gegen Armut und die Umverteilung von oben nach unten bleiben die großen Säulen unserer Politik.“