„Die sozialen Folgen der Pandemie spielen kaum eine Rolle“

Besonders Seniorinnen und Senioren leiden unter der Einsamkeit während der Pandemie.

Besonders Seniorinnen und Senioren leiden unter der Einsamkeit während der Pandemie.

Seit Monaten bestimmen Inzidenzwerte und Lockdownregelungen den Alltag in Deutschland. Expertinnen und Experten warnen schon jetzt vor den sozialen und psychologischen Folgen der Corona-Politik. Sie fordern: Soziale Faktoren und Kinderrechte müssen in der Corona-Politik von Bund und Ländern eine größere Rolle spielen.

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„Eines der größten Risiken, neben einer Corona-Infektion ist derzeit Einsamkeit“, sagt Verena Bentele vom Sozialverband VdK. Mehr als 16 Millionen Menschen in Deutschland leben allein. Viele von ihnen trauten sich nicht mehr auf die Straße und bräuchten Unterstützung, manche seien in keiner guten psychischen Verfassung, so Bentele. Dazu kämen häufig finanzielle Sorgen. Viele Studierende und Rentner hätten durch den Lockdown ihren Minijob verloren. „Wenn jemand mit Corona infiziert ist, meldet man sich beim Arzt. Wo wird Menschen geholfen, die unter Ängsten und Einsamkeit leiden?“

Der Sozialverband geht davon aus, dass nach Corona „eine regelrechte Armutswelle“ auf Deutschland zurollt, weil viele Menschen, die vorher schon ein kleines Einkommen hatten, ihren Job verloren haben. „Wir fordern daher eine Vermögensabgabe von denjenigen, die gut durch die Krise gekommen sind und immer reicher werden, um die Folgen der Pandemie abzufedern“ sagt Bentele.

Entscheidungen nicht nur auf Basis der Virologie treffen

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Des Weiteren fordert Bentele, dass die Maßnahmen mit politischer Vernunft und Augenmaß und nicht nur auf Basis der Virologie getroffen werden. „Die sozialen Folgen der Pandemie spielen für die politischen Entscheider kaum eine Rolle“, sagt Bentele. „Wir brauchen eine wirklich gute Teststrategie, damit vielen ein Mindestmaß an Teilhabe ermöglicht werden kann.“

Dass immer mehr Menschen unter dem lang anhaltenden Lockdown leiden, bestätigt eine Umfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV). Viele Betroffene suchen Hilfe in psychotherapeutischen Praxen. Die Nachfrage ist während des letzten Jahres stark angestiegen: Im Erwachsenenbereich um 40 Prozent, im Kinder- und Jugendbereich sogar um 60 Prozent und sie ist weiterhin hoch. „Das, was wir gerade erleben, ist untypisch und auf den Lockdown zurückzuführen“, sagt Gebhard Hentschel, Vorsitzender der DPtV.

Unter den Hilfesuchenden seien viele, die von Homeoffice und Kinderbetreuung überlastet sind. Zudem habe der Lockdown vielen, die schon eine Therapie abgeschlossen haben, die Möglichkeit genommen, Maßnahmen der Krankheitsbewältigung umzusetzen – etwa auf andere Menschen zuzugehen. Kindern und Jugendlichen fehlten dagegen oft die gewohnten Strukturen und der Austausch mit Gleichaltrigen. Viele berichten von Schlafstörungen, weil ihnen der Tag-Nacht-Rhythmus fehle, auch Essstörungen nähmen zu, erklärt der Psychotherapeut.

„Die seit einem Jahr andauernden Einschränkungen werden die Entwicklungen unserer Kinder stören, sowohl körperlich und motorisch als auch in der Sprachentwicklung“, sagt auch Heinz Hilgers vom Deutschen Kinderschutzbund (DKSB).

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Der Kinderschutzbundvorsitzende rechnet zudem damit, dass die Dunkelziffer von Gewalt gegen Kinder und die Vernachlässigung von Kindern stark gestiegen ist. Das liege auch an den Kontaktbeschränkungen. „Wir haben unglaublich viele Kinder aus dem Blick verloren.“ Viele präventive Maßnahmen, wie die aufsuchende Sozialarbeit und Schuleingangsuntersuchungen, finden derzeit weitaus weniger statt.

Kinderschutzbund: Rechte der Minderjährigen nicht ausreichend gewahrt

Hilgers kritisiert, dass Kinder und Jugendliche in der Corona-Politik nicht berücksichtigt worden seien. „Kinder sehen Profisportler im Fernsehen Fußball spielen, während sie selbst nicht mit fünf anderen Kindern auf dem Fußballplatz spielen dürfen. Da sehen sie doch eine klare Bewertung, die vorgenommen wird.“ Der Kinderschutzbundvorsitzende sieht die Rechte der Minderjährigen nicht ausreichend gewahrt. „Immer wenn ich die Politik über Grundrechte während der Pandemie reden höre, ist nur von typischen Erwachsenenrechten die Rede: Reisefreiheit, Berufsfreiheit, Ausgangsfreiheit“, kritisierte er. Von den Einschränkungen der Kinderrechte spreche hier keiner. Kinder und Jugendliche würden politisch nicht beteiligt. „Dieser Mangel wird in der Pandemie besonders deutlich.“ Die Schutzrechte von Kindern, ihr Recht auf Gesundheit und Bildung werde nicht genügend berücksichtigt bei der Zusammenstellung der Corona-Maßnahmen.

Die Corona-Maßnahmen träfen dabei unterschiedliche Gruppen besonders hart und verstärkten soziale Unterschiede. „Das fängt beim Wohnen an und endet beim Schulabschluss.“ In einem Einfamilienhaus mit Garten seien Beschränkungen besser auszuhalten als in einer 60 Quadratmeter großen Wohnung im fünften Stock eines Plattenbaus, wo dann auch noch das Spielen auf dem Spielplatz verboten ist. Zudem hätten dort meist auch nicht alle Kinder einen eigenen Computer für das Homeschooling zur Verfügung.

RND

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