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„Papst Benedikt der Lüge überführt“: scharfe Kritik nach Missbrauchsgutachten

Der damals noch nicht emeritierte Papst Benedikt XVI (Archivbild).

Der damals noch nicht emeritierte Papst Benedikt XVI (Archivbild).

München. Die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) hat ihr lange erwartetes Gutachten zu Fällen von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising vorgestellt. Es kommt zu dem Ergebnis, dass Hunderte Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden und wirft unter anderem den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor. Darauf gab es viele kritische Reaktionen.

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Kirchenrechtler: brauchen staatliche Aufarbeitung

„Auf offener Bühne hat die Kanzlei Papst Benedikt der Lüge überführt“, sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Uni Münster im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und spricht von einem „historischen Tag“. Benedikt stilisiere sich selbst als heiliger, frommer Mann aus Bayern und könne deshalb seine Fehler nicht zugeben, obwohl die Beweise auf dem Tisch lägen.

Dieser Tag sei die letzte Möglichkeit für Papst Benedikt gewesen, sich der Verantwortung zu stellen. „Durch die Lüge ist sein Lebenswerk massiv beschädigt, Benedikt ist gestürzt. Damit beschädigt er das Papstamt und sich selbst“, so Schüller. Später werde bei Würdigungen immer ein Schatten über ihm liegen, weil er bei der Aufarbeitung des Missbrauchs gelogen habe. „Hier zeigt sich die Charakterschwäche von Ratzinger, der niemals einen Fehler eingesteht.“

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Schüller fordert: „Wir brauchen eine vollständige staatlich verantwortete strafrechtliche Aufarbeitung. Die Kirchen können nicht allein die Missbrauchsfälle aufklären, denn sie sind interessengeleitet.“ Die Politik sollte eine unabhängige Wahrheitskommission mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen einsetzen, um die Fälle aufzuklären. „Aber die Politiker wollen es sich nicht mit den Kirchen verscherzen, weil sie im Bildungs- und Pflegebereich auf die Kirchen angewiesen sind.“ Der Politik warf er vor, die Verbrechen zu ignorieren, „weil man damit keine Wahlen gewinnt“.

Missbrauchsbeauftragter: Ergebnisse haben selbst mir Sprache verschlagen

Der unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig setzt hingegen große Hoffnungen in die diözesanen Aufarbeitungskommissionen. Denn darin hätten kirchliche Vertreter keine Mehrheit und Betroffene großen Einfluss. Zudem attestiert er der Kirche eine sehr positive Weiterentwicklung in der Zusammenarbeit mit Staatsanwälten. Aber es gebe eine Vielzahl verjährter Fälle. „Ich möchte die Ampelkoalition dazu motivieren, die von mir 2016 berufene unabhängige Aufarbeitungskommission zu stärken und auch über gesetzliche Kontroll- und Untersuchungsrechte nachzudenken.“ Für Betroffenen sei es mehr als wichtig, dass das ihnen angetane Unrecht benannt wird.

Doch auch Rörig meint: „Der Bundestag muss sich viel mehr für die Aufarbeitung des Unrechts interessieren und involviert werden.“ Ich sprach sich dafür aus, eine parlamentarische Begleitgruppe für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch einzurichten.

Mit Bezug auf den jüngsten Bericht aus dem Bistum München und Freising sagte er, die Ergebnisse hätten selbst ihm als Missbrauchsbeauftragten die Sprache verschlagen. „Das Gutachten zeigt eine beschämende Kaltherzigkeit der höchsten Kleriker im Umgang mit missbrauchten Kindern“, sagte er dem RND. „Allein die deutliche Einschätzung der Gutachter, dass es eine vollständige Nichtwahrnehmung der betroffenen Kinder und der Folgen für ihr Leben gab, hat mich tief schockiert.“

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Zentralkomitee der deutschen Katholiken fordert „konsequenten Kurswechsel“

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, fordert eine engere Zusammenarbeit mit der Politik und den strafrechtlichen Behörden. „Ich bin entsetzt über die vielen Wiederholungen, dass all die Probleme längst bekannt, aber nicht behoben sind. Wir müssen jetzt sofort ins Handeln kommen und Strukturen abbauen, die Missbrauch begünstigen“, betont sie gegenüber dem RND. Zudem sei ein „konsequenter Kurswechsel“ der Kirche nötig, da andernfalls eine noch stärkere Abwendung der Menschen nicht verwundern würde.

„Es überrascht mich nicht, wenn es auch sehr schmerzt, dass auch Papst Benedikt als ehemaliger Erzbischof von München Fehlverhalten vorgeworfen wird.“ Auch Verantwortliche auf höchster Ebene hätten Missbrauch vertuscht oder nicht gemeldet – das wisse man auch aus anderen Bistümern. „Bis 2010 hat die Kirche die Täter geschützt. Ich hätte mir gewünscht, dass die Amtsträger zu ihrer Verantwortung stehen und Schuld bekennen.“

Missbrauchsexperte: Papst Benedikt muss reagieren

Experte Pater Hans Zollner hat ein Zeichen von Joseph Ratzinger gefordert. „Jetzt muss etwas vom emeritierten Papst Benedikt XVI. kommen. Er muss noch mal darauf reagieren“, sagte der Missbrauchsexperte der Deutschen Presse-Agentur. Zollner ist Mitglied der 2014 eingerichteten Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und fungiert damit als externer Berater für den Vatikan.

„Die Zahlen sind furchtbar, aber leider nicht überraschend“, erklärte Zollner. Diejenigen, die missbraucht wurden, bräuchten nun Gerechtigkeit und Zuwendung, forderte er. „Für eine wirkliche Aufarbeitung sind die menschliche, psychische und spirituelle Seite wichtig. Nur dann begreift man, was mit den Opfern passiert ist.“ Es sei erschreckend, dass das nicht von der Kirche gesehen wurde, kritisierte der deutsche Jesuit.

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Generalvikar „bewegt und beschämt“

Der Münchner Generalvikar Christoph Klingan hat sich nach der Vorstellung des Gutachtens „bewegt und beschämt“ gezeigt. „Meine Gedanken sind in dieser Stunde zunächst bei den Betroffenen, bei den Menschen, die durch Mitarbeiter der Kirche in der Kirche schweres Leid erfahren haben“, sagte er dpa in München. „Den Betroffenen muss unser erstes Augenmerk gelten.“

Vatikan will Details prüfen

Der Vatikan will in den kommenden Tagen detailliert auf das Gutachten blicken. Man werde es einsehen und könne dann angemessen die Details prüfen, erklärte der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni. „Im Bekräftigen des Gefühls der Schande und der Reue für den von Geistlichen begangenen Missbrauch an Minderjährigen sichert der Heilige Stuhl allen Opfern seine Nähe zu und bestätigt den eingeschlagenen Weg für den Schutz der Kleinsten, indem ihnen ein sicheres Umfeld garantiert wird“, hieß es weiter.

mit dpa

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