E-Paper

Wenn Tausende warten und sieben fliegen – die Evakuierung aus Afghanistan

Ein Transportflugzeug vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe steht auf dem Fliegerhorst Wunstorf hinter einem Zaun. Von hier aus waren mehrere Transportmaschinen der Luftwaffe Richtung Afghanistan gestartet.

Ein Transportflugzeug vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe steht auf dem Fliegerhorst Wunstorf hinter einem Zaun. Von hier aus waren mehrere Transportmaschinen der Luftwaffe Richtung Afghanistan gestartet.

Berlin. Als ob nicht alles schon dramatisch genug wäre in Afghanistan, gibt es als erste Rückmeldung der Bundeswehr von vor Ort diese Zahl: sieben. Gerade mal sieben Personen evakuiert die erste deutsche Transportmaschine, die am Montagabend auf dem Flughafen der Hauptstadt Kabul landet: fünf Deutsche, einen weiteren Europäer und einen Afghanen. Platz für mehrere Hundert wäre in der A400M. Die Bilder vom Flughafen zeigen Hunderte von Menschen, die das Land verlassen wollen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Am Wochenende haben die radikalen Taliban die Hauptstadt eingenommen und damit nun die Kontrolle über das Land übernommen, nur wenige Monate nachdem nach 20 Jahren der Abzug der internationalen Truppen begonnen hat.

Die Bundeswehrmaschine hebt nach einer guten halben Stunde wieder ab und fliegt fast leer ins benachbarte Usbekistan, wo zwei weitere Maschinen auf ihren Einsatz warten. Gleichzeitig macht ein Bild eines mit 640 Personen vollgepfropften US-Flugzeugs die Runde. Nach entschlossener Hilfe sieht das nicht aus.

Wissler: „Unfassbar und unverantwortlich“

„Unfassbar und unverantwortlich“ sei das Verhalten der Bundesregierung angesichts der vielen Menschen, die um ihr Leben bangen, sagte die Linken-Parteichefin Janine Wissler dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Selbst in der größten Not hält die Bundesregierung am Listenwesen fest.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Hauptstadt-Radar

Der RND-Newsletter aus dem Regierungsviertel mit dem 360-Grad-Blick auf die Politik im Superwahljahr. Immer dienstags, donnerstags und samstags.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Auch Grünen-Außenpolitiker Reinhard Bütikofer kritisiert, die Regierung ziehe sich in einer Krisenlage auf bürokratische Regelungen zurück. Bissig erinnert er an Materialtransporte, die vor einigen Wochen den Abzug der Bundeswehr begleiteten. „Die Bundeswehr hat erfolgreich 22 Paletten mit alkoholischen Getränken repatriiert.”

Kramp-Karrenbauer: „Nur ganz wenig Zeit“

Die Bundesregierung versucht gegenzusteuern. „Wir hatten nur ganz wenig Zeit, und deswegen haben wir nur die mitgenommen, die jetzt auch wirklich vor Ort waren”, sagt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im ARD-Frühstücksfernsehen.

Ohnehin sei das wichtigste Ziel gewesen, so schnell wie möglich eigene Soldaten einzufliegen, um die Organisation weiterer Evakuierungsflüge sicherzustellen. Das Landen auf einem Rollfeld ohne Beleuchtung und voller Menschen sei ohnehin „ein echtes Husarenstück” gewesen, schiebt sie später am Tag nach.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch das Auswärtige Amt versucht die Kritik abzuwehren. „Aufgrund der chaotischen Umstände am Flughafen und regelmäßiger Schusswechsel am Zugangspunkt” seien mehr Evakuierungen nicht möglich gewesen, teilt es schon am Morgen mit. Es wäre zu riskant gewesen, die zu Evakuierenden schon vor der Erteilung der Landeerlaubnis aufzurufen, zum Flughafen zu kommen.

Ausgeflogen wird nur, wer auf einer Liste steht

Das zeigt zweierlei: Ausgeflogen wird erstens nur, wer auf einer der Listen der Bundesregierung steht. Deutsche Staatsangehörige und solche anderer ehemaliger Einsatzstaaten, wie US-Amerikaner oder Franzosen, ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas haben dies zuletzt noch um Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsaktivisten ergänzt. Bereits in Deutschland sind bislang rund 1900 ehemalige Ortskräfte.

Das Problem ist die zweite Komponente: Wie die insgesamt mehreren 1000 Personen, die von Deutschland sozusagen bereits eine virtuelle Boarding-Karte ausgestellt bekommen haben, jetzt noch zum Flughafen kommen sollen, ist offen.

Bundeswehrgeneralinspekteur Eberhard Zorn beschreibt die Lage in Kabul am Dienstagmittag in einer Videopressekonferenz so: Die Taliban führten Hausdurchsuchungen durch und hätten Kontrollposten auf den Straßen errichtet, insbesondere auch an den Zugangsstraßen zum Flughafen.

Durchgelassen würden dort gerade nur internationale Staatsangehörige. Und Zorn klingt nicht so, als sei er sich sicher, dass das so bleibt. Viel Vertrauen in die eigene Prognosefähigkeit kann ja auch nicht geblieben sein – vom schnellen Siegeszug der Taliban zeigt sich die deutsche Regierung so überrascht wie die der USA.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ehemalige Mitarbeitende stehen vor Dilemma

Ehemalige Mitarbeitende internationaler Organisationen stehen vor einem Dilemma: Sie müssen sich am Flughafen ausweisen können, wenn dort Listen abgearbeitet werden – die Ausweispapiere könnten aber bei einer Kontrolle durch die Taliban zum Verhängnis werden. Und wenn schon der Weg aus der Hauptstadt zum Flughafen schwierig ist, so scheint er aus anderen Landesteilen – etwa aus dem ehemaligen Bundeswehrstützpunkt Mazar-i-Sharif – gerade offenbar fast unmöglich.

Zwei Szenarien entwirft Kramp-Karrenbauer: einen kurzen Zeitslot für die Evakuierung, in der also alles weiter sehr schnell gehen muss. Und ein etwas entspannteres Szenario, in dem sehr strukturiert eine Luftbrücke organisiert werden kann. Ob dabei der Zugang von Afghanen zum Flughafen erleichtert werden kann, ist völlig offen.

Kramp-Karrenbauer versichert jedenfalls: „Wir nehmen alles mit, was vom Platz in die Flugzeuge passt.” Es könnten auch noch mehr Transportkapazitäten zur Verfügung gestellt werden.

Mehrere Hundert Bundeswehrsoldaten sollen teilnehmen

Mehrere Hundert Bundeswehrsoldaten sollen an der Evakuierung teilnehmen, mit einem „sehr robusten Mandat”, wie es in der Bundesregierung heißt. Das heißt: Es wird für möglich gehalten, dass gekämpft werden muss. Operative Entscheidungen könnten vor Ort getroffen werden, betont Kramp-Karrenbauer. Zunächst haben die Bundeswehrsoldaten gemeinsam mit den USA eine Schleuse für den Zutritt zum Flughafen organisiert.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Kramp-Karrenbauer hat alle Wahlkampftermine abgesagt. Der offizielle Zapfenstreich zur Beendigung des Afghanistan-Einsatzes ist verschoben. Stattdessen beschließt das Kabinett am Mittwoch ein neues Afghanistan-Mandat. Auch für die Bilanzierung des Afghanistan-Einsatzes muss nun ein neuer Termin gesucht werden – ein neues Kapitel wird hinzukommen: Die Bundeswehr hat schließlich über Jahre die afghanische Armee ausgebildet, die jetzt den Taliban so wenig entgegenzusetzen hatte.

Nach dem Truppenabzug hat die Bundesregierung am Dienstag nun auch die Entwicklungshilfe für Afghanistan, bisher das Hauptempfängerland, vorerst ausgesetzt.

Am Dienstagnachmittag landet eine zweite Bundeswehrmaschine in Kabul und fliegt dann wieder Richtung Taschkent ab. Außenminister Heiko Maas teilte mit, an Bord seien 125 Personen gewesen. Noch am Dienstagabend landen die ersten Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Berlin.

Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken