Eine Führungsfrage in der Ukraine-Debatte: die erste Bundestagsrede von Merz als Parteichef
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Friedrich Merz greift in seiner ersten Rede als CDU-Vorsitzender Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scharf an: „Sie führen nicht, weder in Deutschland noch in Europa.“
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Die Außenministerin hat gesprochen, aber Friedrich Merz vermisst den Kanzler. Eine Regierungserklärung hätte Olaf Scholz abgeben müssen zur Ukraine-Russland-Krise, findet Merz. Die Union hat die Bundestagsdebatte auf die Tagesordnung setzen lassen. Scholz sitzt auf der Regierungsbank und schaut vor sich hin.
„Sie führen nicht, weder in Deutschland noch in Europa“, beklagt Merz. Das mit der Führung ist ein gutes Stichwort: Am Wochenende ist Merz auf einem Parteitag zum neuen CDU-Chef gewählt worden. Ob er noch nach dem Fraktionsvorsitz greift, um sich mit den Titel Oppositionsführer schmücken zu können, ist da gerade noch offen. Es ist die Frage, wie viel Teamarbeit möglich ist mit Amtsinhaber Ralph Brinkhaus.
Persönliches Vertrauen spielt da eine Rolle, aber auch ganz praktische Punkte wie die Sichtbarkeit. In zentralen Bundestagsdebatten spricht in der Regel der Unionsfraktionschef nach dem Kanzler. Eine Ukraine-Russland-Debatte lässt sich zwar getrost als zentral bezeichnen. Aber die Regierung hat eben Fachministerin Annalena Baerbock (Grüne) geschickt.
Der neue CDU-Chef wettert gegen den Kanzler
Merz begründet seine Sehnsucht nach Scholz mit der Sache: „Es droht ein Krieg“, sagt Merz mit Blick auf die Ukraine. Russland gefährde den Frieden in ganz Europa. Und in so einer Lage sei es doch der Kanzler, der Position beziehen müsse. Dies geschehe nicht, weil Scholz‘ SPD bei dem Thema schlingere. „Wer sich erkennbar um dieses Problem zu wenig kümmert, der vergrößert das Risiko.“
Ihm antwortet sein Amtskollege: SPD-Chef Lars Klingbeil verweist Merz‘ Rede ins Reich der Taktik: Die Außenpolitik dürfe „nicht der Selbstfindung einer neuen Opposition“ dienen, sagt Klingbeil. Auf seinem Sitz in der zweiten Reihe, schräg hinter Brinkhaus, nickt Merz ernst.
SPD-Chef Klingbeil zu Merz: „Sie wackeln an der Stelle“
Die Regierung sei völlig klar in ihrer Positionierung, setzt Klingbeil fort. „Die Eskalation geht von Russland aus.“ Bedächtigkeit sei da gefragt. „Wir brauchen nicht jeden Tag Drohungen.“ Und Waffenlieferungen schon gar nicht. „Wir liefern keine Waffen in die Ukraine“, betont Klingbeil. Die Forderung nach Waffenlieferungen, die Unionsaußenpolitiker aufgestellt haben, hat Merz zuvor allerdings nicht wiederholt.
Klingbeil greift eine andere Äußerung von Merz auf: Der habe die Möglichkeit infrage gestellt, Russland im Fall eines Angriffs auf die Ukraine vom internationalen Zahlungssystem Swift abzukoppeln. „Sie wackeln an der Stelle“, befindet Klingbeil. Merz fühlt sich zu einer Klarstellung genötigt: Er habe nur darauf hingewiesen, dass ein Eingriff ins Zahlungssystem auch für deutsche Unternehmen Probleme bedeuten könnte.
Deutschland unterstützt Ukraine laut Baerbock auch ohne Waffen
Zu Beginn der Debatte hatte Baerbock die Kritik aufgenommen, die Regierung sei in der Ukraine-Russland-Krise zu wenig sichtbar. „Markige Sprüche mögen gut klingen“, sie könnten aber die Steilvorlage für heftige Konsequenzen sein, sagt sie. Zu wenig Unterstützung gebe es von Deutschland für die Ukraine nicht, auch ohne Waffenlieferungen: Deutschland gebe am meisten Wirtschaftshilfe, unterstütze bei der Ausbildung von Offizieren. Und auch die 5000 Schutzhelme, von der Opposition zum Teil als lächerlich bewertet, hätten ihren Sinn: Die Ukraine habe darum gebeten.
Baerbock betont, die Bundesregierung sei in engem Kontakt mit den USA wie auch anderen Nato-Partnern und mit EU-Staaten. Dabei gebe es eine Rollenverteilung: „In einem Team braucht es keine elf Mittelstürmerinnen“, sagt Baerbock.
Brinkhaus verfolgt die Debatte aus der ersten Reihe. Er klatscht nach Merz‘ Rede. Aber er ist auch einer der Ersten seiner Fraktion, die damit wieder aufhören. Am Abend kündigt er seinen Rückzug an.