Vatikan will Münchner Missbrauchsgutachten einsehen
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Die Türme der Frauenkirche in München sind hinter einer roten Ampel zu sehen. Ein Gutachten zu Fällen von sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising belastet auch den emeritierten Papst Benedikt schwer.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Rom. Der Vatikan hat zurückhaltend auf ein Gutachten zu Fällen von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising reagiert, welches unter anderem den einstigen Erzbischof Joseph Ratzinger schwer belastet. Dem Vatikan sei das Münchner Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising „derzeit nicht bekannt“, erklärte der Leiter des vatikanischen Presseamtes, Matteo Bruni, am Donnerstagabend. Der Heilige Stuhl sehe sich aber verpflichtet, dem Dokument „gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen“.
Nach Veröffentlichung des Berichts werde der Heilige Stuhl in den folgenden Tagen Einsicht in den Text nehmen und in der Lage sein, ihn im Einzelnen zu prüfen. Gleichzeitig brachte Bruni im Namen des Vatikans sein „tiefes Bedauern über den Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker“ zum Ausdruck. Der vom Vatikan eingeschlagene Weg zum Schutz der Kinder werde fortgeführt, versicherte der Vatikansprecher.
Das Gutachten mit den schwerwiegenden Vorwürfen gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. hat auch im Kirchenstaat wie eine Bombe eingeschlagen: Der etwas betreten wirkende Kommentar Brunis, der mit vielen Worten so gut wie gar nichts sagt, belegt dies anschaulich. Vatikannahe Medien betonten am Donnerstag, dass es schon etwas paradox sei, dass nun ausgerechnet derjenige Papst mit Vertuschungsvorwürfen konfrontiert sei, der als erster Pontifex der Geschichte das Thema des sexuellen Missbrauchs in der Kirche aufgegriffen, sich bei den Opfern entschuldigt und eine Strategie der null Toleranz eingeleitet habe.
Aber das Gutachten hat dem Vatikan schmerzhaft in Erinnerung gerufen, dass der Missbrauchsskandal für die katholische Kirche weiterhin alles andere als ausgestanden ist. Dies nicht zuletzt deshalb, weil dem Nachfolger von Benedikt XVI. auf dem Papstthron, Papst Franziskus, in seiner Heimat Argentinien ein ähnliches Fehlverhalten vorgeworfen wird wie seinem Vorgänger in München: Als Erzbischof von Buenos Aires sei Jorge Mario Bergoglio ebenfalls nicht mit der nötigen Strenge und Konsequenz gegen mutmaßliche Kinderschänder im Priestergewand vorgegangen.
Die Organisation Bishop Accountability kritisiert, dass Bergoglio, der von 2005 bis 2011 Argentiniens Bischofskonferenz leitete, zum sexuellen Missbrauch argentinischer Priester geschwiegen habe. Er habe das Problem des Kindesmissbrauchs „nicht öffentlich gemacht, sich bei den Opfern nicht entschuldigt und keine Richtlinien zum Umgang mit Pädophilen innerhalb der katholischen Kirche veröffentlicht“.
Franziskus hat sich seit seiner Wahl zum Papst nicht wieder in der Heimat blicken lassen
Argentinische Opfervereinigungen fordern seit Langem ein Treffen mit dem ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires und heutigen Oberhirten. Doch Franziskus, der seit seiner Wahl zum Papst im März 2013 schon die halbe Welt – und auch südamerikanische Länder wie Chile und Peru – bereiste, hat sich in seinem Heimatland als Pontifex bisher nicht blicken lassen. Franziskus erklärt dazu jeweils bloß, dass zunächst andere Länder Priorität hätten.
2019 forderten argentinische Missbrauchsopfer wie der 20-jährige Ezequiel Villalonga, dass sie von Franziskus wenigstens in Rom empfangen werden. „Wir haben so viel gelitten, das muss endlich aufhören“, klagte Villalonga. Immerhin: Infolge der Missbrauchskonferenz vom Februar 2019 im Vatikan hat der Papst nach jahrelangem Zögern zahlreiche Gesetze erlassen, dank denen Sexualverbrechen durch Priester weniger leicht vertuscht und besser geahndet werden können.
Wenige Monate nach der Konferenz hat Franziskus in seinem päpstlichen Schreiben „Vos estis lux mundi“ („Ihr seid das Licht der Welt“) die entsprechenden Strafanzeigen neu gefasst, eine weltweite Anzeigepflicht eingeführt und die Untersuchungen gegen Bischöfe geregelt, die Missbrauch vertuschen. Eine weitere wichtige Neuerung bestand darin, dass die Diözesen in aller Welt angewiesen wurden, eine oder mehrere „leicht zugängliche“ Meldestellen einzurichten, bei denen Verdachtsfälle angezeigt werden können.
Franziskus schafft „päpstliches Geheimnis“ für Missbrauchsfälle ab
Im Dezember 2019, zehn Monate nach der Missbrauchskonferenz, folgte schließlich die spektakulärste und wohl auch wirksamste Maßnahme bezüglich der Prävention und der Sanktionierung von sexuellem Missbrauch: Franziskus schaffte das „päpstliche Geheimnis“ für Missbrauchsfälle ab. Der maltesische Erzbischof Charles Scicluna, der oberste Missbrauchsaufklärer des Papstes, bezeichnete die Aufhebung der Schweigepflicht als „epochale Entscheidung“: Seither können Diözesen auf Antrag der lokalen Zivilbehörden selbstständig Akteneinsicht erlauben, ohne sich kirchenrechtlich strafbar zu machen.
Um an Dokumente der vatikanischen Amtsstellen zu gelangen, müssen die zivilen Behörden lediglich – wie dies unter Staaten üblich ist – ein Amtshilfegesuch stellen. Beim „Secretum pontificium“ handelt es sich um strenge Geheimhaltungsvorschriften in der katholischen Kirche, die zuvor maßgeblich dazu beigetragen hatten, dass Missbrauchsfälle vertuscht wurden und die Täter unbestraft blieben.
Das päpstliche Geheimnis war deswegen in den letzten Jahren wiederholt scharf kritisiert worden, nicht zuletzt vom deutschen Kardinal Reinhard Marx, aber auch vom Papst selbst. Franziskus hatte unter anderem betont, dass das Geheimnis dazu benutzt worden sei, um Pädophile zu schützen, Opfer zum Schweigen zu bringen und die zivilen Strafverfolgungsbehörden davon abzuhalten, diese Verbrechen aufzuarbeiten.