Letzte Worte zur „Umweltsau“: Fünf Lehren aus „Oma-Gate“
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Das Gebäude des WDR in Köln.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
Berlin. Das Jahr, das vom Erfolg der Rechtspopulisten in aller Welt, von der Klimadebatte und von einer verrohten Debattenkultur geprägt war, endet in Deutschland passend: mit einer Diskussion, die alle diese Elemente in sich vereint.
Zum Abschluss – hoffentlich! – des entgleisten Streits um den Videoklamauk von WDR 2 und seinem Kinderchor hat sich nun Sender-Intendant Tom Buhrow noch einmal selbst und mit einer Videobotschaft zu Wort gemeldet. Seine Kritik am „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“-Liedchen sowie die Entscheidung, es zu löschen, hält Buhrow aufrecht, zeigt sich aber zugleich „erschüttert“ darüber, dass es deshalb mehrere Morddrohungen gegen WDR-Mitarbeiter gegeben habe.
„Das sagt Erschreckendes aus über den Zustand in unserem Land“, findet er. Er frage sich: „Was ist in unserem Land los, dass ein missglücktes Video zu Morddrohungen führt? Wir müssen doch wieder zur Besinnung kommen.“
Die Reaktion illustriert leider, dass die Verantwortlichen in Medien und Politik die Dynamik heutiger Online- und Offline-Empörungswellen noch nicht durchschauen. Denn natürlich kommen die Morddrohungen nicht aus der Mitte der Gesellschaft oder von wütenden WDR-Zuschauern – sondern von Gruppen, für die öffentlich-rechtliche Sender aus politischen Gründen grundsätzlich ein Feindbild darstellen. Zugleich fühlen sich diese Rechtsaußen motiviert zum Handeln, wenn Teile des Establishments ihr Anliegen durch ihre Zustimmung adeln. All das ist im „Oma-Gate“ geschehen.
Daraus müssen wir mindestens fünf zentrale Lehren ziehen:
1. Ein Shitstorm ist keine Massenbewegung
Nicht nur Tom Buhrow, auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet und andere Politiker und Kommentatoren der Causa „Umweltsau“ haben offensichtlich noch immer nicht erkannt, dass die Mehrheit der wütenden User, Leser und Zuschauer Vorlagen wie die Kinderchor-Persiflage gezielt missverstehen WOLLEN. Ein Heer von Gegnern der oft genug unbequemen Öffentlich-Rechtlichen lauert auf jede Gelegenheit, um deren Abschaffung fordern zu können. Gleiches gilt für diejenigen, die die Nase vom Klimaschutz voll haben.
Für sie ging es nie um das Video selbst, sie führen Stellvertreterkriege: Stichelt Dieter Nuhr gegen Greta Thunberg, ist dessen Meinungsfreiheit heilig, dichtet WDR 2 die Oma als „Umweltsau“ in ein Kinderlied, gehört der Intendant entlassen.
So war auch das WDR-Lied nur eine von vielen Vorlagen, mit denen sie Gleichgesinnte auf den Plan rufen – und in einer ersten Empörungswelle als lautstarke Minderheit jedes Zitat so aus dem Zusammenhang reißen, die Debatte so schief eröffnen, dass sich viele unbedarftere User gar kein eigenes Bild vom Corpus Delicti mehr machen.
Die zweite Empörungswelle erreicht dann auch die Zeitungsredaktionen in Form von Leserbriefen und -mails von Lesern, die – in diesem Fall – das Video schon gezielt in den falschen Hals gesteckt bekommen haben und für Argumente kaum noch erreichbar sind.
Die Lektion: Wer in einen Shitstorm gerät, sollte künftig zuerst dessen Quelle analysieren, ehe er darauf reagiert. So mindert er das Risiko, von Populisten instrumentalisiert zu werden.
2. Politiker dürfen nicht einmal den Eindruck erwecken, in Kunst- und Medienfreiheit einzugreifen
Natürlich gilt die Meinungsfreiheit auch für Politiker. Wenn aber NRW-Ministerpräsident Laschet mehrere Tweets und Retweets für die Kritik an dem WDR-Klamauk aufwendet (offenbar in der Annahme, er punkte damit bei seiner Wählerschaft) oder wenn die FDP-Bundesvize und EU-Abgeordnete Nicola Beer dem Video abspricht, satirisch zu sein, ist das fatal.
Denn sie erwecken den Eindruck, Druck auf den Sender und die Macher des Videos ausüben zu wollen. Schließlich gehen sie erst als Sieger vom virtuellen Platz, wenn Konsequenzen erfolgt sind. In diesem Fall hat Laschet prompt die Löschung des Videos gelobt.
Wie wollen er – und die Politiker, die sich ebenfalls an der Kritik des Liedchens beteiligten – künftig noch glaubwürdig die Viktor Orbáns oder Recep Tayyip Erdogans für deren Beschneidung der Pressefreiheit in Ungarn und der Türkei kritisieren?
3. Verletzte Gefühle fiktiver Gruppen sind kein Grund, die Kunstfreiheit zu beschneiden
Dazu gibt es mehrere höchstrichterliche Urteile: „Soldaten sind Mörder“ ist zum Beispiel eine zulässige Zuspitzung – nicht aber, wenn man sie einer Gruppe Bundeswehrangehöriger ins Gesicht brüllt. Anderes Beispiel: Ein WDR-Chor darf jederzeit den Ärzte-Hit „Männer sind Schweine“ singen, schwierig geworden wäre es aber zu Lebzeiten des Altkanzlers mit dem älteren Ärzte-Song „Helmut Kohl schlägt seine Frau“. (Wobei Kohl dagegen nie juristisch vorging.)
Im konkreten Fall: Wenn eine oder mehrere Omas, die im Hühnerstall Motorrad oder mit dem SUV beim Arzt vorfahren, vor Gericht darlegen können, dass sie als „Umweltsau“ unzulässig beleidigt wurden, kann der Text dem WDR untersagt werden. Der Geschmack von Politikern oder Zuschauern darf dabei keinerlei Rolle spielen.
Natürlich darf der WDR selbst entscheiden, was er senden oder online verbreiten will und was nicht – er sollte aber das Signal, das durch die Löschung gesendet wird, ernst nehmen. Proteste von vermeintlich Beleidigten gehören zur Popgeschichte wie die Songs „Small People“ (Randy Newman), „Dicke“ (Westernhagen) oder Sacha Baron Cohens Rolle als dämlicher Kasache Borat. Wer lebendige Kunst will, hält die Proteste aus.
4. Debatten sind wichtig – ohne vermeintliche Lösungen
Ein Satiriker wie Jan Böhmermann muss es natürlich so sehen: „Der dümmstmögliche Zuschauer darf niemals der kleinste gemeinsame Nenner werden“, twitterte er bereits am Samstag. Tatsächlich muss sich ein – im weitesten Sinne – Künstler davon freimachen, wer seine Produkte wie rezipiert.
Einem Sender, zumal einem öffentlich-rechtlichen, geht es da anders. Insofern musste der WDR natürlich darauf reagieren, als der Protest gegen das Klamauklied über ihn hereinbrach. Die Call-in-Sendung, in der viele wütende Zuschauer (und sicher auch viele Aus-Prinzip-Empörte, die vom Video nur gelesen hatten) anriefen und über Comedy und Klimaschutz schimpfen durften, war deshalb eine gute Idee.
Falsch war aber die Vorstellung, am Ende der Sendung müsse der Konflikt irgendwie befriedet werden. Seit geraumer Zeit gilt eine Debatte erst dann als erfolgreich, wenn man den Rücktritts-, Schließungs-, Absetzungs- und Löschungsforderungen lautstarker Minderheiten nachgekommen ist. Dass das ein Irrtum ist, zeigte am Sonntag die Demo gegen den WDR, die zwei Tage nach Löschung und Entschuldigung stattfand, sowie die erwähnten Morddrohungen.
5. Mehr Gelassenheit!
Du stehst nicht im Stau – du bist der Stau. Das gilt auch für die Hysterie in den Social Media. Jeder von uns muss sich fragen: Wie maßvoll reagiere ich, wenn ich in zwanzig verschiedenen Tweets zur Mäßigung aufrufe? Im Internet sagt man: Don’t feed the troll. Das gilt auch offline: Die Bewusst-Falsch-Versteher werden durch Argumente nicht überzeugt, sondern angeheizt. Es geht ihnen nicht um Austausch, sondern um Aufmerksamkeit. Wir alle können sie ihnen entziehen.
Und wir müssen lernen, dass unser zur Gewohnheit gewordenes „Preaching to the choir“, das Befeuern der eigenen Filterblase mit Thesen, die sie ohnehin längst teilt, Hysterien wie die um die „Umweltsau“ nur größer macht, nicht kleiner. Auch wenn es schwerfällt und wir noch so viele clevere Tweets auf Lager hätten, sollten wir öfter das Gegenteil dessen tun, was Dieter Nuhr einst riet. Nämlich: Auch WENN man Ahnung hat – einfach mal die Fresse halten.