Nach dem Regenbogen kommt der Sturm: So war der Abend in München

Ein Flitzer mit Regenbogenfahne auf dem Platz wird eingefangen und abgeführt.

Ein Flitzer mit Regenbogenfahne auf dem Platz wird eingefangen und abgeführt.

München. Es war gut eine halbe Stunde gespielt in der Regenschlacht der ersten Halbzeit von München, da segelte ein Papierflieger in Regenbogenfarben auf den Rasen. Der Wind peitschte die Schauer auf die Tribüne, und einige deutsche Fans hüllten sich in Regencapes, darunter auch klatschnasse Regenbogenfahnen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Im schwarzen Block der ungarischen Fans rissen sich derweil einige Ultras und Hooligans die Shirts vom Leib. Ekstase und Hass verbanden sich an diesem Abend in München. Während sich die Zuschauer in den meisten Blocks an die Abstandsregeln hielten, war der ungarische Fanblock eine schwarze Masse. Auch Mitglieder der rechtsextremen Karpatenbrigade waren im Stadion. Schon vor Spielbeginn, in der Münchner Innenstadt, lieferten sie sich Scharmützel mit der Polizei, im Stadion ging es weiter.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

So viel toxische Männlichkeit lässt sich auch mit noch so vielen Regenbögen nicht überdecken. Aber man kann ihr ein Herz zeigen, wie es der Held des Abends tat, Leon Goretzka nach dem späten Ausgleichstor.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Noch vor dem Anpfiff, bei der ungarischen Hymne, rannte ein Flitzer über den Platz – natürlich auch er mit Regenbogenfahne. Er wurde zu Boden gerungen, die Fernsehübertragung blendete aus. Routine – und dennoch in Ungarn mit Sicherheit einen weiteren Aufreger wert.

Irgendwann in der vergangenen Woche gab es die ersten Aufrufe in den sozialen Netzwerken: Wie wäre es, im Spiel gegen Viktor Orbáns Ungarn gegen das neue ungarische Gesetz zu protestieren, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität stark einschränkt? Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) griff die Stimmung auf, er wollte das Stadion in Regenbogenfarben illuminieren. Aber die Uefa verbot das Farbenspiel als „politisches Statement“ – und überall leuchteten zum Trotz die Regenbögen auf.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Auch an der bayerischen Staatskanzlei wehte die Regenbogenfahne. Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder zeigte sich mit farbenfroh gestreifter Maske auf der Tribüne. Er nannte es ein „klares Bekenntnis gegen Ausgrenzung und für Freiheit und Toleranz“. Gegen wessen Ausgrenzung er sich bekennt, für wessen Freiheit er eintritt, für wen er Toleranz fordert – das alles erwähnt er nicht. „Lesben und Schwule“, gar „LGBTI“, solche Begriffe nimmt auch ein moderner Konservativer im Sommer 2021 nicht in den Mund.

Erst im März hatte sich Söder von Orbán und seiner Fidesz-Partei losgesagt, und erst drei Jahre ist es her, dass der Ungarn-Präsident als Ehrengast bei der CSU-Klausur in Seeon auftrat und sich als „Bayerns Grenzschutzkapitän“ feiern ließ. Horst Seehofer, damals Parteichef, nannte ihn in kerniger Aussprache „unseren Freund Fiktor“. So kurz, so lange her.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

So viel Regenbogen wie an diesem Mittwoch war noch nie im Land, noch nie in Europa und weltweit zu sehen. Sogar die europäische Grenzschutzagentur Frontex flaggte bunt – und zog sich damit den Zorn der Gefühlslinken zu. Nun steht Frontex schon qua Aufgabe für alles andere als die offene Gesellschaft – andererseits: Tut es nicht gerade so einer umstrittenen Einheit gut, sich über LGBTI-Rechte zu informieren?

Die Uefa findet Regenbögen unpolitisch – außer gegen Ungarn

Und was ist mit der ähnlich sympathischen Organisation, die für die ganze Münchner Debatte verantwortlich ist? Gemeint ist nicht Dieter Reiters SPD, sondern die Uefa. Deren Präsident Aleksander Ceferin nannte die Lichterpläne eine „populistische Aktion“, die gegen ein Land gerichtet sei. Ganz Unrecht hat er mit diesem Punkt nicht.

Doch Ceferin und sein Verband scheitern an einer anderen Frage: Sie beharren darauf, dass Fußball und Politik getrennt werden müssen – und werten in einer kuriosen Drehung sogar den Regenbogen als unpolitisch, nur eben nicht an diesem Abend in München. Der Regenbogen sei „kein politisches Symbol, sondern ein Zeichen unseres Einsatzes für eine vielfältigere und inklusivere Gesellschaft“, teilte der Verband in einer kuriosen Pressemitteilung mit – die natürlich in Regenbogenfarben gehalten war. Was aber bitte ist am „Einsatz für eine vielfältigere und inklusivere Gesellschaft“ nicht politisch?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Und wie kann sich die Uefa, wie kann sich Markus Söder erdreisten, dem ältesten Symbol der Lesben- und Schwulenrechtebewegung seine konkrete Aussage zu klauen?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Natürlich ist der Regenbogen ein politisches Symbol“, sagt Klaus Jetz, Bundesgeschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Er ist unser Symbol, das Symbol der LSBTI-Bewegung. Wir gehen zu jeder Demo, zu jedem CSD mit dem Regenbogen auf die Straße, und er ist immer politisch. Er steht für die Vielfalt innerhalb unserer Community, und er steht für den Kampf für gleiche Rechte und gegen Diskriminierung.“

Die Uefa sei mit ihrem Statement „eingeknickt, sie hat Angst, dem ungarischen Präsidenten Viktor Orbán auf den Schlips zu treten.“ Orbáns Politik in Ungarn sei ebenso wie die der nationalkonservativen polnischen Regierung „eine Entrechtung unserer Community, und das mitten in der EU“.

Unterstützung habe sein Verband in den vergangenen Tagen ebenso erfahren wie eine neue Welle an Hassmails.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Das ist man leider gewohnt beim LSVD, wichtiger seien die Hoffnungsschimmer: die Regenbogenarmbinde von DFB-Kapitän Manuel Neuer, die er auch beim Ungarn-Spiel trug. Das Angebot des Deutschen Fußball-Bunds, bei der Verteilung von 10.000 Regenbogenfahnen vorm Stadion zu helfen. Das alles nährt die Hoffnung, dass irgendwann einmal doch ein schwuler Profi den Mut besitzt zu sagen: Hier bin ich, ich verstecke mich nicht länger. Und dass die Fankurven mehr werden, in denen Pöbler, denen ein „schwule Sau“ locker auf der Zunge sitzt, Kontra von den Umstehenden bekommen.

Der Weg ist lang. Der Abend in München kann ein Anfang sein. Und Neuer kann, dank Goretzkas Ausgleich, die Regenbogenkapitänsbinde noch weiter durchs Turnier tragen.

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken