Olaf ante portas: Die SPD und ihr Kanzlerkandidat in spe

Der SPD-Kanzlerkandidat in spe: Bundesfinanzminister Olaf Scholz.

Der SPD-Kanzlerkandidat in spe: Bundesfinanzminister Olaf Scholz.

Berlin. Olaf Scholz holt tief Luft, bevor er spricht. “Ich glaube, die SPD hat eine Entscheidung getroffen”, sagt er. “Die Entscheidung bedeutet eine neue Parteiführung.” Hinter der müssten sich jetzt alle versammeln. Nur so könne die SPD eine starke Partei werden.

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Es ist der Moment der größten Niederlage für Scholz. Er, der Vizekanzler, hat beim Kampf um den Parteivorsitz gegen die vorher weitgehend unbekannte Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und den früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans, zu diesem Zeitpunkt ein Politpensionär, verloren. “Alles Gute” wünscht er den Siegern der Mitgliederbefragung noch. Dann rückt er, an diesem Tag Ende November des vergangenen Jahres, gemeinsam mit seiner Co-Kandidatin Klara Geywitz an den Bühnenrand im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

Jetzt, acht Monate später, gibt es unter Freunden und Feinden des Olaf Scholz in der SPD kaum noch einen Zweifel: Der Verlierer im Kampf um den Parteivorsitz wird Kanzlerkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl 2021 sein.

Scholz will die Kandidatur – und hat den nötigen Wahnsinn

Wie kann das sein? Gibt es wirklich niemand anderen? Und: Was bedeutet das für die Partei, deren Mitglieder sich bei der Vorsitzendenwahl gar nicht so sehr für Esken und Walter-Borjans entschieden haben, sondern vor allem gegen Scholz?

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Die SPD dümpelt in den Meinungsumfragen bei 14, 16 oder auch mal 17 Prozent. Da kommen auch Scholz’ Gegner nicht um die Erkenntnis herum: Es braucht erst mal jemanden, der den Job als Kanzlerkandidat der mehr als 150 Jahre alten, aber schwer in die Bredouille geratenen Partei überhaupt haben möchte.

Scholz könnte man nachts um drei wecken und ihm von neuen verheerenden Umfrageergebnissen erzählen. Für ihn wäre trotzdem klar: Er will als Kanzlerkandidat für die SPD antreten und glaubt, gewinnen zu können. Das mag einem angesichts der Lage der SPD als wahnsinnig erscheinen. Doch es ist die Art von Wahnsinn, die ein Kanzlerkandidat braucht.

Gibt es diese Haltung noch ein zweites Mal in der SPD? Die Parteichefs selbst wollen die Kanzlerkandidatur nicht, Walter-Borjans kandidiert noch nicht mal für den Bundestag. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, als Chef eines großen Landesverbandes ein Machtfaktor in der Partei, will in Hannover bleiben. Juso-Chef und Parteivize Kevin Kühnert, der starke Mann des linken Parteiflügels, weiß, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist.

Hat die SPD ohne den Merkel-Faktor eine Chance?

Im Scholz-Lager in der SPD sind sie überzeugt: Diese Bundestagswahl kann für die Partei anders laufen als die vorherigen – eben weil Angela Merkel als Kanzlerin nicht noch mal antritt. Die Menschen würden sich also fragen, bei wem sie sich künftig am ehesten so gut aufgehoben fühlen könnten wie bei der Langzeitkanzlerin. Dann würden sich die Augen automatisch auf Scholz richten, den Vizekanzler, der viel Erfahrung im Regierungsgeschäft mitbringt. Wer sonst könnte Deutschland besser bei Wladimir Putin in Moskau oder Donald Trump oder dessen Nachfolger in Washington vertreten? So etwa geht die Erzählung der Scholz-Fans. Zusätzlichen “Wumms” bekommt die Kandidatur des Hamburgers nach Meinung seiner Anhänger noch dadurch, dass er in der Corona-Krise als Finanzminister fleißig Rettungspakete geschnürt hat.

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Die SPD-Bundestagsfraktion muss der Hamburger nicht erst von sich überzeugen: Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten will Scholz als Kandidaten. Das war schon bei der Wahl der Vorsitzenden so. Jetzt schauen erst recht alle darauf, wem sie am ehesten ein Ergebnis zutrauen, das ihnen selbst das Mandat sichert. Der Vizekanzler hat in Umfragen sehr gute persönliche Werte.

Am Ende sind es die SPD-Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans die einen Vorschlag machen müssen. Der Druck in der SPD, Scholz bald zu benennen, ist groß. Dem gemütlichen Rheinländer Walter-Borjans werde dies leichter fallen als seiner Co-Vorsitzenden, glauben viele in der SPD. Für beide gilt: Sie hatten nicht vor, Scholz zum Kanzlerkandidaten zu machen, als sie Vorsitzende geworden sind. Sie hatten schlicht keinen Plan. Das rächt sich jetzt.

Mützenich in der Reserve

Scholz die Kanzlerkandidatur anzutragen ist für die Vorsitzenden ein schwieriges Manöver. Sie müssen darauf achten, dass es mindestens nach außen so aussieht, als hätten sie jederzeit das Heft des Handelns in der Hand. Dabei hilft ihnen, dass mit Fraktionschef Rolf Mützenich ein weiterer potenzieller Kanzlerkandidat genannt wird, noch dazu einer, der vom linken Parteiflügel kommt. Nur solange es denkbare Alternativen gibt, haben die Vorsitzenden die Möglichkeit, die Frage wenigstens noch eine Zeit lang offen zu halten.

Mützenich ist wegen seiner verbindlichen Art unter den Abgeordneten hoch anerkannt. Er hat nach dem Sturz von Andrea Nahles die Fraktion erst kommissarisch übernommen, später wurde er regulär zum Vorsitzenden gewählt. Für ihn als Fraktionschef ist es gut, dass er in der Debatte als Option genannt wird. Hört man sich in der Fraktion unter den Abgeordneten um, ist es schwer, jemanden zu finden, der glaubt, Mützenich wolle wirklich Kandidat werden. “Niemand wird bezweifeln, dass Olaf Scholz unser Land führen kann”, hat Mützenich selbst gesagt. Aber der Kölner weiß auch, dass die Parteiführung zumindest den Anschein einer Auswahl braucht. Und er ist Parteisoldat genug, um bei diesem Spiel mitzuspielen.

In der SPD-Fraktion heben viele hervor, es wäre klug, wenn man diesmal früh Einigkeit über den Kanzlerkandidaten herstellen würde – während es in der Union noch Kämpfe um die Macht in der CDU, den Parteivorsitz und auch die Kanzlerkandidatur gibt. Doch droht die SPD nicht erst recht gespalten zu werden, wenn am Ende der Vorstand den Mitgliedern genau den Mann als Kandidaten präsentiert, den diese als Vorsitzenden abgelehnt haben?

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Unruhe bei den Scholz-Gegnern

Es ist eine Entscheidung, die fraglos für viel Unruhe in der Partei sorgen kann. Manche in der SPD werden angesichts eines Kanzlerkandidaten Scholz resignieren, andere werden wütend sein. Wer einen Eindruck bekommen möchte, wie groß die Wut sein kann, sollte mit Henning Höppe sprechen.

Höppe ist Chemieprofessor von Beruf und in Augsburg Beisitzer im Vorstand des SPD-Ortsvereins Untere Stadt. Als der Wahlkampf um den SPD-Parteivorsitz in die Endphase ging, warb er auf Twitter enthusiastisch für Walter-Borjans und Esken – mit dem Ziel, dass die SPD sich wieder stärker als linke Partei profiliert.

“Die Fraktion, die Minister und das Parteiestablishment sehen es bis heute als Betriebsunfall an, dass Olaf Scholz nicht zum Vorsitzenden gewählt worden ist”, sagt er. “Sie wollen diesen vermeintlichen Betriebsunfall korrigieren, indem sie ihn jetzt zum Kanzlerkandidaten machen.” Wenn ihnen das gelungen sei, würden sie immer weiter an den Stühlen der gewählten Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sägen.

Für Höppe steht Scholz bis heute für die Agenda 2010. Aus dem 47-Jährigen, dessen berufliche Spezialgebiete die Festkörperchemie und ausgeruhte Sachlichkeit sind, bricht es heraus: “Ich habe das 2005, 2009, 2013 und auch 2017 noch ertragen, mich an den Wahlstand zu stellen, obwohl die Bürger einem immer wieder an den Kopf geschmissen haben: ‘Ich glaube euch nach der Agenda 2010 nicht, dass ihr das Land wirklich sozialer machen wollt.’”

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Höppe sagt: “Wenn Scholz jetzt Kanzlerkandidat wird, ziehe ich klipp und klar die Konsequenz: Ich mache keinen Wahlkampf, ich stelle mich nicht an den Stand und ich verteile auch keine Flyer. Und ich kenne viele andere, denen es genauso geht. Genug ist genug.” Mit mehr “Wumms” kann man nicht Nein zu einem Kandidaten sagen.

Manch einer in der SPD sagt aber auch: Gerade weil Scholz nicht selbst Vorsitzender geworden ist, könnte es jetzt möglich sein, dass er Kanzlerkandidat wird, ohne dass gleich die ganze Partei auseinanderfliegt. Denn jetzt sei Scholz darauf angewiesen, sich mit den Vorsitzenden vom linken Parteiflügel zu arrangieren. Die wiederum könnten im Gegenzug versuchen, die widerwilligen Teile der Parteibasis zumindest einigermaßen mitzunehmen.

Und so gibt es unter denen, die Esken und Walter-Borjans bei der Vorsitzendenwahl unterstützten, auch andere Töne als die von Henning Höppe. Als Scholz Ende November 2019 auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus seine eigene Niederlage kommentieren musste, war im Hintergrund ein Mann zu sehen, der das Tragen eines Hutes zu seinem Markenzeichen gemacht hat.

Ist Scholz überhaupt noch zu stoppen?

Veith Lemmen hat die Vorsitzendenkandidaten Esken und Walter-Borjans miterfunden und war der entscheidende Kopf hinter ihrer Kampagne. Ohne den 36-Jährigen, der gerade als Bürgermeister in der 11.000-Einwohner-Stadt Werther kandidiert, wären die beiden nie SPD-Vorsitzende geworden.

“Olaf Scholz macht in der Corona-Krise einen guten Job”, sagt Lemmen. “Dass er die Notwendigkeit von Investitionen in der Krise voll und ganz erkannt und danach auch gehandelt hat, das hat Scholz näher an die SPD herangeführt, als er es früher einmal war.” Jeder denkbare Kanzlerkandidat müsse ein Programm vertreten, das zur SPD passe – “und er muss glaubhaft zeigen, dass er das auch von Herzen tut”, sagt Lemmen. Er fügt hinzu: “Ich halte Scholz für sehr intelligent, er hat den Knall gehört.”

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Der Bürgermeisterkandidat aus Werther, der auch Parteivize in Nordrhein-Westfalen ist, dringt – anders als viele in Berlin – allerdings darauf, dass die Entscheidung erst im Oktober fallen solle. Sonst werde vor der NRW-Kommunalwahl nur Unruhe in die Partei getragen. Lemmen beschreibt das Grundgefühl vieler Genossen in dem Bundesland so: “Wir reißen uns vor Ort den Hintern auf, da brauchen wir keine Ablenkung aus Berlin.”

Die Wahrscheinlichkeit eines Kanzlerkandidaten Olaf Scholz ist, ob die Entscheidung nun früher oder später fällt, riesengroß. Es scheint, als könne ihn nichts mehr stoppen. Oder vielleicht doch? Was ist mit dem Skandal um den Milliardenbetrug beim ehemaligen Dax-Konzern Wirecard? Natürlich wissen Sie in der SPD, dass die Schlagzeilen um die Sache noch gehörig nerven können. Doch selbst Henning Höppe, Scholz-Kritiker durch und durch, sieht da kein entscheidendes Hindernis.

“Die Sache mit Wirecard macht mir Olaf Scholz politisch nicht sympathischer, zumal er vorher schon Probleme mit Finanzskandalen wie Cum-Ex hatte”, sagte Höppe. Er glaube aber nicht, dass das ausschlaggebend sein werde. “Die Geschichte ist am Ende so kompliziert, dass sie einem Kandidaten Scholz den Wahlkampf nicht verhageln würde.”

Das immerhin sehen sie im Scholz-Lager ganz genauso.

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