„In your Face“: Jung gegen Alt – Pauline Brünger vs. Gregor Gysi
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Die Fridays-for-Future-Aktivistin Pauline Brünger trifft bei „In your Face“ auf den Linken-Politiker Gregor Gysi.
© Quelle: imago/picture alliance/Geisler-Fotopress/RND-Montage Weinert
In der zweiten Folge von „In your Face“ diskutieren Gregor Gysi (Die Linke) und Pauline Brünger, Pressesprecherin von Fridays for Future Deutschland, über geteilte Verantwortung beim Klimaschutz. 54 Jahre Altersunterschied trennen die beiden – doch inhaltlich sind sie sich erstaunlich einig.
Frau Brünger, wir starten mit Ihnen. Wie lautet deine These zur Klimagerechtigkeit zwischen den Generationen?
Pauline Brünger: Die ältere Generation hat die zerstörerische Klimapolitik der letzten Jahrzehnte legitimiert oder sogar aktiv vorangetrieben. Trotzdem liegt die Verantwortung in erster Linie bei denen, die von der Klimakrise profitieren und sie wirklich verursachen: fossile Unternehmen.
Gregor Gysi: Stimmt. Solange der Zeitgeist ganz klar fokussiert war auf den Besitz fossiler Rohstoffe und die Umwelt ein Nebenthema war – ein bisschen Tier- und Pflanzenschutz hier und da – entstand kein Bewusstsein, den Klimawandel zu erkennen und stoppen. Ich halte das ja bis zum meinem Lebensende noch aus. Du nicht. Du hast so viele Jahrzehnte Leben vor dir, dass du deshalb zu Recht der Bewegung Fridays for Future angehörst, die bei uns Alten an die Tür anklopfen und sagen muss: Macht keine Politik für euch, sondern für uns, und das heißt für die Zukunft. Ich unterstütze Fridays for Future.
Brünger: Es ist aber auch ein Missverständnis, dass Klimaschutz nur junge Menschen betrifft. Über Hitzetode wird zum Beispiel nicht so viel geredet, weil die anders als eine große Flutkatastrophe eher schleichend passieren. Am Ende wird krasse Hitze besonders für die Menschen gefährlich, die alt oder krank sind. Wir werden natürlich auch noch alle alt und davon betroffen sein, aber im Hier und Jetzt betrifft es eigentlich auch schon viel mehr Menschen.
Gysi: Natürlich hast du recht, das geht uns Alte genauso an. Ich wollte bloß die Einstellung deutlich machen, dass manche Ältere das als eine Frage der Zukunft empfinden. Wir müssen sehen, dass die Erde ein Planet ist und sich die Veränderungen überall bemerkbar machen.
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Brünger: Meine Generation kann das Thema nur ein bisschen schwieriger von sich wegschieben als Menschen, die so alt sind wie du.
Gysi: Aber ich schiebe es ja nicht weg. Ich könnte es, aber ich mache es nicht. Das müsstest du löblich hervorheben.
Gysi: Zeitgeist hat sich geändert
Herr Gysi, was macht der Vorwurf von Frau Brünger mit Ihnen? Fühlen Sie sich da betroffen, gar schuldig?
Gysi: Ich könnte theoretisch sagen, es war nicht meine Zuständigkeit. Als ich in die Politik ging, war ich nicht in der Regierung und habe keine Entscheidungen getroffen, ich habe nur die Regierung aus der Oppositionsrolle heraus kritisiert. Aber das wäre nicht mein Verteidigungsstil.
Wenn die heute Jüngeren damals älter gewesen, hätten sie diese Fehlentwicklung auch so in Kauf genommen.
Gregor Gysi
Ich sage: Wenn die heute Jüngeren damals älter gewesen wären, hätten sie diese Fehlentwicklung auch so in Kauf genommen, weil sie nicht den Zeitgeist dominiert hat. Erst wenn der Zeitgeist ein Thema wie das Klima so in den Vordergrund rückt, weil die Erwärmung zu fatalen Folgen führt – zu Flutkatastrophen, Verwüstungen, weil Tiere drohen auszusterben – dann erst wachen alle auf – und vorher eben nicht.
Ich will ein anderes Beispiel geben: Anfang der 90er-Jahre habe ich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn vorgeschlagen, alle anderen Parteien waren dagegen. Jahrzehnte später ist er selbst von der CSU beschlossen worden. Der Zeitgeist hat sich geändert.
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Der Linken-Politiker Gregor Gysi (73) war jahrelang Fraktionsvorsitzender der Partei im Bundestag, Vorsitzender der Europäischen Linken und ihr außenpolitischer Sprecher.
© Quelle: imago images/Chris Emil Janßen
Brünger: Klimazerstörung seit Jahrzehnten präsent
Brünger: Da würde ich dir widersprechen. Ich glaube, der Zeitgeist hat sich ja nicht nur dadurch gewandelt, dass wir in den letzten zwei Jahren Flutkatastrophen hatten. Wenn man ehrlich ist, sieht man die Klimazerstörung und ihre Folgen schon sehr, sehr lange in anderen Teilen der Welt. Die Warnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind seit Jahrzehnten präsent. Ich glaube, was sich bei uns geändert hat, ist, dass Menschen das nicht mehr akzeptiert haben und auf die Straße gegangen sind. Was du „Zeitgeist“ nennst, hat sich meiner Meinung nach vor allem dadurch gewandelt.
Ich glaube, was sich bei uns geändert hat, ist, dass Menschen das nicht mehr akzeptiert haben.
Pauline Brünger
Ich stimme dir aber zu, dass vor ein paar Jahrzehnten wenig dafür gesprochen hat, sich dieses Themas anzunehmen. Die ersten Studien kamen von Exxon, einem großen Ölkonzern aus den USA, der jahrzehntelange Desinformationskampagnen verbreitet hat. Von meiner Seite ist ein großes Verständnis dafür da, dass Menschen das nicht so ernst genommen und in die Zukunft geschoben haben. Dadurch, dass sich damals niemand dagegen gestellt hat, sind wir aber trotzdem in der Lage, in der wir sind.
Gysi: Damals gab es ja auch jüngere Leute, die nicht mit den Erkenntnissen der Wissenschaft auf die Straße gegangen sind. Weil eben soziale Fragen und der Kalte Krieg im Vordergrund standen. Aber du hast natürlich recht: Die Wirtschaft, die das Gegenteil wollte, war viel mächtiger. Erst, als auch die Medien angefangen haben, sich dem Thema zu widmen, ist das Thema im Bewusstsein angekommen. Das Bewusstsein, dass wir in Wirklichkeit nicht die Natur, sondern unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören, ist zu einem wichtigen Gedankensprung geworden.
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Pauline Brünger (19) ist Klimaaktivistin und Pressesprecherin von Fridays for Future. Die Studentin aus Köln hat im Alter von 17 mit Schulstreiks fürs Klima begonnen.
© Quelle: Fridays for Future Köln
Brünger: Es ist wichtig, den bestehenden Konflikt zwischen den Generationen zu benennen, aber nicht als Anlass zu nehmen, dass man am Ende entzweit steht und die ältere Generation gar nichts mehr mit dem Klimawandel zu tun haben will. Wir müssen altersübergreifend ganz viele Menschen überzeugen, sich dem anzuschließen.
Gysi: Was ihr ja schon geschafft habt – dazu meinen Glückwünsch: Es gibt keine Partei, die sich jetzt noch davor drücken kann, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Das sah früher gänzlich anders aus.
Brünger: Das stimmt. Und trotzdem keine Partei, die am Ende wirklich das macht, was nötig wäre.
„Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen“
Gysi: Naja, da gibt es einen Unterschied: Ich spreche immer von ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. Ich kann ein Braunkohlerevier schließen, aber ich muss den Kumpeln sagen, welchen gleichbezahlten Job sie am nächsten Tag haben. Wenn ich ihnen für kurze Zeit Arbeitslosengeld und danach Hartz IV verspreche, bekomme ich Gegner der ökologischen Nachhaltigkeit.
Wenn ich ihnen aber eine Qualifizierung und Jobperspektive biete, kann ich sie dafür gewinnen. Sollte die Privatwirtschaft das nicht hinbekommen, dann brauchen wir eben einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Die Politik muss bei Entscheidungen im Interesse des Klimawandelstopps immer gleichzeitig die damit verbundenen sozialen Fragen lösen.
Brünger: Auf jeden Fall. Das Problem, das ich sehe, ist, dass Klimaschutz und sozial gerechtes Leben immer noch als Gegensatz aufgemacht werden. Das klammert die Dimension aus, dass wir das Klima ja nur schützen, damit Menschen sozial gerecht leben können. Wir machen das ja nicht just for fun. In der Braunkohle arbeiten nun wirklich nicht mehr so viele Menschen. Wie kann es sein, dass unsere Regierung es nicht schafft, ihnen ernsthaft eine Perspektive zu bieten?
Gysi: Weil sie denkt, dass sie dafür gar nicht zuständig ist. Es fehlt der Ruck, damit zu beginnen.
In der Frage nach Klimagerechtigkeit geht es euch also um mehr als einen Generationenkonflikt?
Brünger: Wir müssen breiter darüber sprechen, wo Ungerechtigkeiten sind. Es ist ja nicht nur so, dass ich mehr vom Klimawandel betroffen sein werde als Gregor, sondern auch arme Menschen sind mehr betroffen als reiche, andere Teile der Welt mehr als wir in Deutschland. Diese Menschen müssen einen Platz am Tisch haben, um ihre Interessen einzubringen und gleichwertig gehört zu werden. Da haben wir noch viel Verbesserungspotenzial.
Wir dürfen nicht immer auf die Klientel hören, die Klimaschutz verhindern will, weil es denen im Kern um Geld geht.
Gregor Gysi
Gysi: Der Hauptwiderspruch ist, dass wir kein Primat der Politik mehr haben, sondern ein Primat der großen Wirtschafts- und Finanzgeflechte. Damit sind viele Ungerechtigkeitsfragen verbunden. Deshalb ist es meines Erachtens nicht in erster Linie ein Generationenkonflikt. Wir müssen uns überlegen, wie wir mittels demokratischer Strukturen erreichen können, die Märkte und das Kapital zu regulieren. Wenn wir politisch etwas für den Klimaschutz entscheiden, muss das dann auch durchgesetzt werden. Wir dürfen nicht immer auf die Klientel hören, die das nicht will, weil es denen im Kern um Geld geht.
Lasst uns nun über einen möglichen Lösungsansatz sprechen. Herr Gysi, ihre These zum Thema Wahlalter.
Gysi: Ich bin für eine Herabsetzung des aktiven Wahlrechts auf 16 Jahre, damit die Jugend stärker als Stimme wahrgenommen wird. Ich habe in der Politik festgestellt: Leute, die nicht wählen dürfen, interessieren die Abgeordneten auch nicht so besonders. Das ist ein Problem.
Brünger: Ich bin auf jeden Fall auch dafür. Politikerinnen und Politiker sind von Wählerinnen- und Wählerstimmen abhängig. Wenn junge Menschen in dieser Gleichung keine Rolle spielen – weil sie nicht wählen oder abwählen können – ist es einfach, ihre Interessen zu vernachlässigen. Es wäre aus dieser Perspektive wahnsinnig wichtig, dass junge Menschen ein größeres Mitbestimmungsrecht haben.
Nicht wählen zu können sorgt für eine große Frustration, besonders in einer Zeit, wo die Klimakrise das drängendste Thema ist.
Pauline Brünger
Ich bemerke das natürlich auch, weil ich in einer Bewegung aktiv bin, die hauptsächlich aus jungen Menschen besteht. Als ich angefangen habe, durfte ich selber noch nicht wählen. Das sorgt für eine große Frustration, besonders in einer Zeit, wo die Klimakrise das drängendste Thema ist. Ganz viele junge Menschen können nicht mitreden, wie die Welt von morgen aussieht.
Alle vier Jahre wählen reicht nicht aus
Ihr seid euch da ziemlich einig. Aber lassen sich die Probleme dadurch wirklich lösen? Es ist ja bei Weitem nicht so, dass alle jungen Menschen der Generation XX bei Fridays for Future aktiv wären.
Gysi: Nein. Aber mit der Begründung kann man jeden Veränderungsschritt ablehnen. „Wenn das Braunkohlerevier dort geschlossen wird, haben wir das Klima nicht insgesamt gerettet, weil es ja noch so viele in anderen Ländern gibt“, heißt es dann. Diese Argumentation müssen wir uns abgewöhnen. Es löst zweifellos nicht alle Probleme, das Wahlalter auf 16 zu senken, aber ein Stück weit entsteht ein anderes Interesse.
Politikerinnen und Politiker müssen den Mut entwickeln, vorbeugend tätig zu werden, auch wenn es viele noch nicht verstehen.
Gregor Gysi
Das Problem ist, dass Politik nicht vorbeugend tätig ist. Politikerinnen und Politiker müssen den Mut entwickeln, vorbeugend tätig zu werden, auch wenn es noch nicht viele verstehen. Ich muss dann begründen, warum ich das mache. Entweder habe ich mir ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und die Leute glauben mir. Oder nicht, dann wählen sie mich zwar ab, aber ich habe wenigstens meinen Eid nicht verletzt.
Brünger: Ich habe oft das Gefühl, dass unser Demokratieverständnis sehr kurz greift. Es funktioniert nicht zu sagen, wir gehen alle vier Jahre wählen und dann wird das alles schon. Wir müssen zum Beispiel so etwas wie Protest stärken, dass man sich einbringt und politisch engagiert, die Dinge nicht einfach an sich vorbeiziehen lässt, wenn man merkt, dass es Ungerechtigkeiten in dieser Welt gibt. Das Wahlalter herabzusetzen ist für mich eine schlüssige Konsequenz daraus, dass wir sehen, dass junge Menschen momentan doch sehr wenig Gehör finden.
Gysi: Wir drei müssen dann aber auch dafür werben, dass die Leute wählen gehen. Auch die jungen. Ich möchte nicht, dass wir das Wahlalter herabsetzen, und dann gehen höchstens 70 Prozent wählen und 30 Prozent nicht. Wir müssen sie dann auch begeistern, von ihrem Recht Gebrauch zu machen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
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Übrigens: „In your Face“ ist Teil des Projekts „Generation XX“ der Volontärinnen und Volontäre des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), das zur Bundestagswahl den Blick auf Jungwählende richtet. Das ganze Projekt mit Videos, Reportagen, Datenanalysen und Parteienchecks finden Sie hier.