Pharmaindustrie: “Die ruinöse Preisspirale nach unten muss gestoppt werden”

Unterschiedliche Medikamente. (Symbolfoto)

Unterschiedliche Medikamente. (Symbolfoto)

Berlin. In der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass das deutsche Gesundheitswesen verwundbar ist, etwa durch Lieferengpässe bei Medikamenten. Welche Lehren müssen aus der Pandemie gezogen werden? Ein Gespräch mit dem designierten Vorsitzenden des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Hans-Georg Feldmeier, über Cent-Preise bei Medikamenten, den Spardruck der Kassen und die Forderungen der Wirtschaft an die Politik.

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Herr Feldmeier, das deutsche Gesundheitswesen ist bisher gut durch die Corona-Krise gekommen, aber es haben sich auch Schwachstellen gezeigt, so gab es zum Beispiel Lieferengpässe bei Betäubungsmitteln. Wie kann so etwas künftig verhindert werden?

Der Arzneimittelmarkt ist global. Die Produktion wird zunehmend in Schwellenländer wie China oder Indien verlagert. Maßgeblicher Grund dafür ist der extreme Spardruck, unter anderem durch Rabattverträge der Krankenkassen für Generika, die in Deutschland 75 Prozent der Verordnungen ausmachen. Die Therapiekosten wurden von den Kassen teilweise auf nur noch 6 Cent pro Patient und Tag gedrückt. Für diesen Preis kann ein in Europa produzierendes Unternehmen nicht dauerhaft rentabel arbeiten und qualitätsgerechte Produkte herstellen. Das muss der Politik klar werden.

Die gesetzlichen Krankenkassen weisen die These zurück, dass allein ihre Verträge für den Preisverfall verantwortlich sind.

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Richtig ist, dass der enorme Spardruck in allen Industrieländern besteht. Dazu kommen katastrophale Rechnungsmodalitäten der staatlichen Gesundheitssysteme, die teilweise Zahlungsziele von 360 Tagen haben und diese dann sogar noch ausweiten. Die pharmazeutische Industrie besteht gerade im wichtigen Generikamarkt eben nicht in der Mehrzahl aus riesigen, finanzstarken Konzernen, sondern aus mittelständischen Unternehmen. Wir brauchen wettbewerbsfähige und auskömmliche Bedingungen.

Hans-Georg Feldmeier, designierter Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI).

Hans-Georg Feldmeier, designierter Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI).

Was stört Sie zum Beispiel an den Rabattverträgen der Krankenkassen?

Problematisch sind vor allem die Exklusivverträge. Wenn nur ein einziger Hersteller bei Kassen mit vielen Millionen Versicherten für mehrere Jahre zum Zuge kommt, dann geht den leer ausgegangenen Unternehmen irgendwann die Puste aus. Das führt zu einer Konzentration der Anbieter und erhöht damit die Gefahr von lebensgefährlichen Versorgungsengpässen. Bei bestimmten Wirkstoffen sind nur noch ein oder zwei Anbieter am Markt – häufig aus Asien.

Es ist allerdings legitim, dass die Kassen versuchen, die Preise zu drücken. Schließlich geht es um die Stabilität der Beitragssätze und damit der Lohnnebenkosten. Oder sehen Sie das anders?

Das ist ihr gutes Recht. Aber Arzneimittel sind eben keine normalen Produkte, viele von ihnen sind essenziell für die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Deshalb muss man die Folgen bedenken. Durch den Preisdruck gibt es in Europa zum Beispiel nur noch eine einzige Antibiotikafabrik, und zwar in Österreich. Und auch dort wird überlegt, die Produktion von Penicillin einzustellen, weil es inzwischen weniger als ein Kaugummi kostet, wie die Kollegen beklagen. Künftig will man den Wirkstoff aus Asien zukaufen.

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Die Bundesregierung strebt an, bei der Herstellung von Wirkstoffen und deren Vorprodukten sowie in der Impfstoffproduktion wieder unabhängiger zu werden. Wie kann das gelingen?

Zunächst muss die Produktion gerettet werden, die hier noch existiert. Das betrifft sowohl die Herstellung von Wirkstoffen als auch die von Arzneimitteln. Der Markt darf nicht weiter kaputtgespart werden. Ansonsten scheitern auch alle Versuche, die Produktion aus Asien wieder zurück nach Europa zu holen.

Was fordern Sie von der Bundesregierung?

Als Erstes muss das gesetzliche Preismoratorium weg. Seit 2009 dürfen die Preise für Arzneimittel nicht erhöht werden, obwohl wir deutlich steigende Lohn- und Energiekosten verkraften müssen. Das ist eine Katastrophe für die Branche. Zudem müssen die Rabattverträge so umgestaltet werden, dass hierzulande eine Vielfalt an Anbietern erhalten bleibt.

Wie soll das konkret aussehen?

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Wir fordern, dass bei einer Ausschreibung immer mindestens drei pharmazeutische Unternehmen den Zuschlag bekommen. Darunter muss sich mindestens ein Anbieter mit einer Produktionsstätte in Europa befinden. Und schließlich müssen Rabattverträge grundsätzlich verboten werden, wenn im Markt ein Wirkstoff nur noch von drei oder weniger Unternehmen angeboten wird. Mit diesen Änderungen können wir die noch verbliebene Anbietervielfalt schützen und Liefer- und Versorgungsengpässe vermeiden.

Klar ist doch aber, dass die Kassen damit nicht so viel sparen können wie bisher. Das sind immerhin 4 Milliarden Euro pro Jahr.

Noch einmal: Wenn es das politische Ziel ist, bei der Arzneimittelproduktion wieder unabhängiger von Asien zu werden, muss diese ruinöse Preisspirale nach unten gestoppt werden. Selbst staatliche Fördermittel für Investitionen in neue Fabriken verpuffen, wenn am Ende der Spardruck der Kassen die Herstellung in Europa wieder unrentabel macht. Da muss sich die Politik ehrlich machen.

Das heißt?

Das Problem einer sicheren Arzneimittelversorgung lässt sich nicht mal eben hoppladihopp lösen. Auch die Arzneimittelproduktion muss der sogenannten kritischen Infrastruktur zugeordnet werden. Vergleiche hinken immer, aber nehmen wir als Beispiel die Bundeswehr: Wir sind bereit, Jahr für Jahr mit Milliarden eine Armee zu finanzieren, die unsere Demokratie im Kriegsfall schützt. Wenn wir anstreben, in Pandemien gesundheitlich geschützt zu sein, muss die Gesellschaft auch die Mehrkosten dafür in Kauf nehmen. Anders geht es nicht.

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