Fünf schlechte Nachrichten für Putin, Folge 1
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Wladimir Putin, Präsident von Russland, spricht während eines Treffens mit Mitarbeitern des russischen Katastrophenschutzministeriums per Videokonferenz.
© Quelle: Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Gov
Wladimir Putin, das kühle Genie im Kreml: Dieses schon allzu lange in westlichen Talkshows ehrfurchtsvoll herumgereichte Bild bekommt mittlerweile erste Sprünge.
Kühl, kalt sogar, ist Putin gewiss. Aber genial?
Der Mann, der für alles einen ganz genauen Plan zu haben scheint, ist sich in Wirklichkeit selbst häufig nicht sicher, was er eigentlich will.
Entscheidung immer erst im letzten Moment
Putin habe es zu einer Angewohnheit werden lassen, immer erst im allerletzten noch möglichen Moment zu entscheiden, sagen laut „New York Times“ die besten und erfahrensten Russland-Kenner in den amerikanischen Geheimdiensten. Sieht Putin in seinen Last-Minute-Entscheidungen einen Beweis seiner großen Macht? Seine Fans, die ja das Willkürliche lieben, werden es gewiss so deuten: Hier steht der starke Mann und entscheidet die Dinge im letzten Moment, ganz wie es ihm gefällt.
In Wirklichkeit ist es unklug, sogar primitiv, auf hohen und höchsten Ebenen Hauruckentscheidungen zu treffen, nur weil man es kann.
Teamziele festlegen, gemeinsam darauf hinarbeiten, sich auf seinem Weg und insbesondere an dessen Gabelungen von den klügsten Köpfen beraten lassen: Das alles ist viel besser und viel effektiver als Putins Führungsstil.
Putin meidet Teams schon aus Geheimhaltungsgründen. Einen Plan, den er mit niemandem bespricht, sagt sich der frühere KGB-Agent, kann auch niemand verraten.
Alles nur zwischen den eigenen Ohren
Das stimmt ohne Zweifel. Doch wie sieht es aus mit der Qualität eines solchen Plans, der ausschließlich zwischen den Ohren eines einzelnen Herrn herangereift ist, ohne dass jemals jemand kritisch draufschauen konnte? Und wer, bitteschön, prüft den Erfolg des Plans bei der Umsetzung?
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Russlands Präsident beim Argumentieren, Gestikulieren und Zuhören: Szenen von der gemeinsamen Pressekonferenz Wladimir Putins mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. Februar im Kreml.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
In Russland gibt es da jetzt einen doppelten Ausfall. Niemand wagt es, die Belagerung der Ukraine mit 150.000 Soldaten als das zu benennen, was sie ist: eine ebenso törichte wie aggressive Idee. Zweitens fragt auch niemand, wie weit dieser Plan geeignet ist, die damit angeblich verbundenen strategischen Ziele zu erreichen.
Da die Bestandsaufnahme in Russland auszufallen scheint, sei sie von hier aus nachgeholt, Punkt für Punkt.
Fünf Dinge, die bei Putin schieflaufen
1. Putin will ein Zurückdrängen der Nato-Truppen aus Osteuropa erreichen. Doch was geschieht in Wirklichkeit? Als Reaktion auf den drohenden russischen Einmarsch in der Ukraine verlegt die Nato jetzt so viele Soldaten samt Waffen und Gerät ins Baltikum und nach Osteuropa wie noch nie. Frankreich schickt mehr Soldaten nach Rumänien, Großbritannien mehr nach Polen, Deutschland mehr nach Litauen. Spanische und niederländische Schiffe fahren Richtung Schwarzes Meer.
2. Putin will nicht, dass weitere Mitglieder in die Nato aufgenommen werden. Tatsächlich hat die Ukraine-Krise dazu geführt, dass in den bislang neutralen Ländern Schweden und Finnland die Nato populärer ist denn je. In Finnland fiel der Anteil von Gegnern einer Nato-Mitgliedschaft in Umfragen erstmals unter die 50-Prozent-Marke. Schweden ging organisatorisch bereits viele Schritte auf das Bündnis zu und könnte nach Einschätzung von Nato-Insidern „notfalls über Nacht“ Mitglied werden. Dänemark übrigens, seit 1949 Nato-Mitglied, will in einem neuen Abkommen mit den USA erstmals die Präsenz fremder – amerikanischer – Truppen auf seinem Territorium erlauben.
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Zusammenhalt in schwierigen Zeiten: Die Premierministerin des EU-Mitgliedsstaats Finnland, Sanna Marin (links) betonte bei einem Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang Februar das Recht Finnlands, auch einem Militärbündnis eigener Wahl beizutreten.
© Quelle: imago images/Lehtikuva
3. Putin wollte schon immer einen Keil zwischen USA und Europäer treiben und die Nato spalten; mithilfe des Antieuropäers Donald Trump war er da schon mal weiter. Tatsächlich aber konzentriert sich neuerdings wegen der Ukraine-Krise die von Joe Biden geführte amerikanische Regierung in einer Weise auf die Lage in Europa, wie man es in Washington schon seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat. Die atlantische Allianz, von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2019 für „hirntot“ erklärt, wurde durch Putin in ungeahnter Weise revitalisiert.
4. Putin will Gaslieferungen als Machtmittel nutzen und ein möglichst unterwürfiges Verhalten bei den Abnehmern durchsetzen. Die von ihm in Gang gesetzte Ukraine-Krise jedoch beschleunigt nun die Abkehr von Russland. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betreibt die bedeutsamste Umsteuerung seit Jahrzehnten im deutschen Gasmarkt: Verflüssigtes Gas (LNG) aus Ländern wie den USA, Kanada, Australien und Katar soll die Abhängigkeit von russischen Lieferungen reduzieren. In der Branche heißt es, die mit LNG-Terminals angeschobene Diversifizierung werde Macht und Möglichkeiten von Gazprom in den kommenden Jahren reduzieren, unabhängig vom weiteren Verlauf der Ukraine-Krise.
5. Putin will sich Achtung und Anerkennung im Westen verschaffen. Tatsächlich aber wird er zunehmend als Feind der freien Gesellschaft empfunden.
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In Deutschland unterzeichneten 350 Künstler und Intellektuelle einen Appell Wolf Biermanns, „Putins Aggression entschieden entgegenzutreten“. 70 Osteuropa- und Sicherheitsexperten forderten in einem offenen Brief an Regierung und Parteien eine Kurskorrektur der gesamten bisherigen Russland-Politik Deutschlands.
Am Sonnabend wird ein „Europäischer Tag der Solidarität mit der Ukraine“ begangen, mit Demonstrationen und Kundgebungen. In Berlin treffen sich die Putin-Kritiker am Pariser Platz um 15 Uhr. Die in Wien ansässige Initiatorin Kati Schneeberger, eine Grünen-Politikerin, hofft auf Aktionen in mehr als 23 Städten gleichzeitig und will auch „Stimmen aus der russischen Demokratiebewegung“ zu Wort kommen lassen.