Militärische Muskelspiele in der Ostsee: Wie Putin Schweden nervös macht
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Schweden sichert seine Häfen: Aufmarsch von Panzern in Visby auf Gotland.
© Quelle: imago images/TT
Visby auf Gotland mit seinen 23.000 Einwohnern und Einwohnerinnen ist eigentlich ein idyllischer Ort. Es gibt einen Hafen mit gemächlichem Betrieb, eine mittelalterliche Stadtmauer, gemütliche Cafés an hübschen Straßen mit Kopfsteinpflaster. Im Sommer zerren Kinder ihre Eltern zu der aus ihrer Sicht wichtigsten Sehenswürdigkeit der Stadt, dem Originalgebäude der Villa Kunterbunt: Astrid Lindgrens Pippi-Langstrumpf-Bücher wurden in Visby verfilmt.
Neuerdings aber bietet Visby der Welt ein ganz anderes, ein grimmiges Bild: Schweden zeigt hier seine Gefechtsbereitschaft gegenüber Russland.
Am Wochenende ließ Schwedens Armee überraschend Panzer am Hafen auffahren. Weitere Soldaten kamen inzwischen per Schiff auf die Insel. Und damit dem Rest der Welt deutlich wird, dass es auf Gotland gerade um etwas ganz Großes geht, landete auf dem kleinen Flughafen von Visby ein gigantisches C-17-Transportflugzeug der USA. Die Maschine vom Typ Globemaster brachte eine sogenannte Notfalleinheit der schwedischen Armee auf die Insel.
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Schwedens Regierung entschied sich für die Show: Militärkonvoi in Visby auf der Insel Gotland.
© Quelle: imago images/TT
Der Transport hätte sich wohl auch anders bewerkstelligen lassen. Doch Schwedens Regierung entschied sich für die große Show. Er habe einige „sichtbare und unsichtbare“ Vorkehrungen getroffen, orakelte Schwedens Verteidigungsminister Peter Hultqvist im schwedischen Fernsehen.
Mit Blick auf den C-17-Flug nach Gotland reichte Schwedens Armeeführung mittlerweile noch Details nach: „Die Einheit wurde mit einem Flugzeug von ‚Heavy Airlift Wing‘ geflogen, einer internationalen Arbeitsgemeinschaft, an der Schweden teilnimmt“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung der Streitkräfte.
Tatsächlich hilft die C-17-Gruppe gern aus, wenn mal schnell etwas Größeres von A nach B transportiert werden muss, auch Fahrzeuge und Hubschrauber, und der betreffende Staat nicht – oder noch nicht – in der Nato ist. Stationiert sind die drei C-17-Maschinen von „Heavy Airlift Wing“ im ungarischen Papá.
Das strategische Geheimnis von Gotland
Verwirrt blicken jetzt militärische Laien auf all diese Details und können sich keinen Reim darauf machen: Gotland? Warum soll eine Insel in der Ostsee mit nur 20 Einwohnern und Einwohnerinnen pro Quadratkilometer irgendeine Bedeutung haben?
Die militärischen Hintergründe lassen frösteln. Stockholm rechnet offenkundig damit, dass Russland in den nächsten Tagen oder Wochen nicht nur nach der Ukraine greifen könnte, sondern auch nach den baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen.
In Szenarien, die in Nato-Kreisen durchgespielt werden, wäre in diesem Fall für Russland die Besetzung Gotlands ein wichtiger erster Schritt: Würde es den Russen gelingen, auf Gotland ihr Raketensystem S 400 zu stationieren, hätte Moskau über Nacht die Kontrolle über den gesamten Luftraum der Ostsee im Umkreis von 400 Kilometern gewonnen. Starts und Landungen in Schweden wären unmöglich, und sogar die modernsten Bomber der amerikanischen Luftwaffe hätten dann Mühe, den Balten noch zu Hilfe zu kommen.
Um das S-400-System auf Gotland zu installieren, müssten russische Soldaten allerdings zuvor auf der Insel landen – was Schweden unter anderem durch U-Boote, aber auch aus der Luft unterbinden könnte. Dennoch wuchs in Schweden die Nervosität, als Russland dieser Tage drei große Landungsboote gleichzeitig durch die Ostsee schippern ließ. Die Schweden ahnen, dass einer Schlacht um Gotland russische Luft- und Raketenangriffe auf schwedische Kommandozentralen vorausgehen könnten.
„Von Normalität sind wir weit entfernt“
Die Stimmung in Schweden ist jedenfalls düster. „Von Normalität sind wir, was die Sicherheit unseres Landes angeht, weit entfernt“, sagte dieser Tage Lena Hallin, Leiterin des schwedischen Militärgeheimdienstes. Ganz Europa erlebe eine schwere sicherheitspolitische Krise. Und wer glaube, dass die aktuellen Spannungen nur vorübergehend seien, gebe sich einer Illusion hin.
Als übergriffig empfindet die komplette politische Szene in Schweden die Vorgabe aus Moskau, kein weiteres Land dürfe jetzt noch der Nato beitreten. „Ob wir das machen oder nicht, ist allein unsere Sache“, sagt Ann Linde, Außenministerin und Sozialdemokratin.
Ähnlich äußerte sich Finnlands Staatspräsident Sauli Niinistö, der in seiner Neujahrsansprache beim Thema Nato liebe Grüße nach Moskau einbaute: „Das Recht, selber zu entscheiden, lassen wir uns nicht nehmen.“
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„Wir werden uns nicht erpressen lassen“: Sanna Marin, die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Finnland, driftet angesichts des militärischen Drucks aus Moskau mehr denn je in Richtung Westen.
© Quelle: Johanna Geron/Reuters Pool via
Schweden pflegt bereits seit den Neunzigerjahren sehr enge Beziehungen zur Nato und beteiligte sich auch an Militärmissionen des Bündnisses, etwa in Afghanistan. Finnland pochte stets mehr als Schweden auf seine Neutralität. Doch auch Finnland driftete in letzter Zeit politisch mehr denn je in Richtung Westen.
Das deutlichste Zeichen der Abkehr Finnlands von Russland kam im Dezember 2021. Da brachte Finnlands sozialdemokratische Ministerpräsidentin Sanna Marin einen jahrelangen Streit über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge zu Ende und bestellte 64 hochmoderne F-35-Jets von Lockheed Martin in den USA. Kostenpunkt: 8,4 Milliarden Euro. In einem Fernsehinterview am 8. Januar sandte auch Marin einen Gruß nach Moskau: „Wir werden uns nicht erpressen lassen.“
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