Terroranschlag beim Länderspiel in Paris: „Das war kein Böller – hier stimmt etwas nicht“
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Explosionen am Stade de France: Aus Sicherheitsgründen mussten sich die Zuschauer zunächst in den Innenraum des Stadions begeben.
© Quelle: dpa/Uwe Anspach
Es ist 0.45 Uhr am 14. November 2015. In einem Raum im Pariser Stadion Stade de France findet ein Journalist eine Kiste. Äpfel sind drin. Er verteilt sie an jeden, der ihm begegnet. Irgendwas will er wohl tun. Etwas Gutes, um zu zeigen, dass wir alle zusammengehören, auf uns aufpassen. Schweigend, blass sitzen wir auf unseren Stühlen, nachdem die ersten Texte und Beiträge in die Heimat versendet sind. Ein paar Minuten innehalten. Und realisieren, was kaum zu realisieren ist.
In der 17. Minute bebt der Beton unter meinen Füßen
Fußballreporter lieben Stress, schnelles Denken, schnelles Handeln. Aber was ich in den Stunden zuvor beim Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland, angepfiffen am Freitag, dem 13., erlebt hatte, war neu – und passierte bei meinem ersten Auswärtsspiel als Nationalelf-Berichterstatter. Ich freute mich darauf, über Tore, Stimmung und Spielzüge zu berichten aus dem tollen, vollen Stadion.
Doch als in der 17. Spielminute der Beton unter meinem Platz auf der Pressetribüne bebte, war mir klar: Das war kein Böller, da ist nichts umgefallen – hier stimmt etwas nicht. Leider täuschte sich mein Gefühl nicht. Minuten später noch ein Knall – wie der erste vor dem Stadion. Terror statt Fußball.
Ordner schließen die Tore der Arena. Eine beklemmende Grenzerfahrung und eine 180-Grad-Wendung binnen Sekunden, die sich mit den im Laufe der Nacht gesammelten Informationen über die Situation in Paris und Saint-Denis zuspitzt. Fußball? Frankreich gewinnt 2:0? Unwichtig. Ich denke an die Menschen, die dem Terror zum Opfer fallen, an deren Familien, an meine Familie, sammele nach dem Spiel Informationen vom Deutschen Fußball-Bund, wie es nun weitergeht.
Als ich auch einen Apfel in der Hand habe, werde ich sauer. Warum? Weil ich nicht mehr sagen kann, dass der Terror weit weg ist, und in diesem Moment genau das habe, was die Attentäter wollen: Angst. Obwohl ich selbst (wahrscheinlich) die ganze Zeit in Sicherheit war.
Woran ich zurückdenke? Zusammenhalt
Irgendwann dürfen wir zum Bus, auf dem Weg dorthin begegnen wir Gruppen von Stadionbesuchern. Sie singen die Marseillaise. Bis heute ist es diese Szene, die ich für mich hervorhebe, wenn ich an diese Nacht zurückdenke. Zusammenhalt.
Am Morgen steigen wir mit der Mannschaft in das Flugzeug, ohne Zuteilung von Plätzen. Schnell, schnell. Zu meiner Rechten: Lukas Podolski. Abflug, ein Blick auf das weinende Paris. Alles unwirklich. 14. November 2015, 9.45 Uhr. Landung in Frankfurt am Ende einer Nacht, die ich nie vergessen werde.