Kriminologe Pfeiffer nach Terrorakt in Norwegen: „Werden unser Waffenrecht verschärfen müssen“

Kongsberg: Polizisten ermitteln im Zentrum von Kongsberg nach einer Gewalttat. Bei der Gewalttat hat es mehrere Tote und Verletzte gegeben.

Kongsberg: Polizisten ermitteln im Zentrum von Kongsberg nach einer Gewalttat. Bei der Gewalttat hat es mehrere Tote und Verletzte gegeben.

Herr Pfeiffer, mit welchem Ziel greift ein Attentäter zu Pfeil und Bogen als Mordinstrument?

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Es kann eine Folge davon sein, dass dieser zu einer Tat entschlossene Mensch keine Schusswaffe kaufen konnte. Auch Norwegen hat ein strenges Waffenrecht. Dort ist es nicht so einfach, an eine Maschinenpistole zu kommen, wie in den USA. Die Überlegung des Täters könnte aber auch eine andere gewesen sein. In seinen persönlichen Hoffnungen wird er unsterblich, wenn er einen Amoklauf auf diese Weise verübt. Wenn er Menschenjagd mit Pfeil und Bogen exerziert. Er war ja nicht nur im Kaufhaus oder Laden tätig, er ist durch die Stadtteile gegangen, hat da geschossen. Er wollte Panik erzeugen und gleichzeitig maximal weltweite Aufmerksamkeit erreichen. Diese Hoffnung auf Unsterblichkeit erreicht er durch diese verrückte, atypische, noch nie dagewesene Art des Amoklaufes.

Der Attentäter ist zum Islam konvertiert, 2020 wurde seine Radikalisierung bekannt, es hat laut Polizei eine Gefährderansprache gegeben. Einen Terrorverdacht will die Polizei nicht ausschließen. Wie stellt sich das Innenleben des 37-Jährigen für Sie dar?

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Hunderte von Menschen treten laufend zum Islam über, aber beinah hundert Prozent bleiben anständig und werden nicht radikalisiert. Es muss im Leben dieses Menschen einen Grund geben, dass er hasserfüllt ist. In der deutschen Sprache hat man den schönen Begriff der ‚ohnmächtigen Wut`. Die Wut entsteht also aus Ohnmachtserfahrung. Man ist machtlos, fühlt sich verletzt. Man ist hoch frustriert. Das muss irgendwas ausgelöst haben. Wirklich erklären kann man diese Tat nicht mit dem Islamübertritt, auch nicht damit, dass damit Versuche einhergehen, jemanden zu radikalisieren. Da muss im Leben von diesem Menschen was grundlegend schiefgelaufen sein, was ihn aus der normalen, bürgerlichen Lebensweise entfernt und ihn radikalisiert hat. Noch fehlen individuelle Informationen zum Täter, um erklären zu können, wie es zu dieser Tat kam.

Haben wir in Europa überhaupt die Möglichkeiten dazu, Gefährdern so nah zu sein, dass man solche Taten verhindern kann?

Da muss man schon noch den Zufallsfaktor mit einplanen, dass jemand im sozialen Umfeld des potenziellen Täters erkennt: ‚Der ist gefährlich.‘ Und das hat es so auch schon mehrfach gegeben. Es sind Anschläge verhindert worden, weil Menschen frühzeitig gewarnt haben. Das Verhindern von Anschlägen gelingt eben nicht nur durch Polizeiüberwachung sondern vor allem durch die Mithilfe von Menschen, die die Krise des Täters erkannt haben und dann von sich aus präventiv tätig werden. Eine Verhinderungsmöglichkeit hat der Staat selber bei Gefährdern, die er als hochgefährlich einstuft, von denen man dann Telefone, E-Mails und Weiteres überwacht und so die Erkenntnis gewinnt, dass er im Kontakt mit anderen oder auch allein eine terroristische Tat plant. Noch ist nicht bekannt, ob Letzteres in Norwegen möglicherweise versäumt wurde.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer.

Wieder ereignet sich ein Anschlag in Europa in einer eher kleineren, unbekannten Stadt wie zuletzt in den Niederlanden auch. Hat das System?

Als Erstes ist er offenbar in den Supermarkt gegangen, um dort eine Vielzahl von Menschen zu erreichen und eine größtmögliche Wirkung zu erzielen. Dort verständigen Menschen die Polizei, die Medien bekommen es schnell mit. Danach ist er von dort weiter gegangen und dann beginnt das gezielte Menschenjagen mit einer solchen Waffe, was ihn zu einem singulären Täter werden lässt. Dieses Signal wird weltweit wahrgenommen und löst bei ähnlich gepolten Menschen wie dem Täter aus, dass man auch ohne Schusswaffe einen Amoklauf begehen kann. Durch dieses Signal entsteht eine neue Gefährdung der Menschen. Deswegen werden wir unser Waffenrecht verschärfen müssen – und das ist eine weltweite Botschaft: Was müssen wir wirklich tun, um diese neue Gefährdungsoption zu verringern?

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Die Bilder aus Norwegen machen den Menschen Angst. Welche Hoffnung können Sie ihnen mit auf den Weg geben, dass das, was wir dort oder in den Niederlanden sehen mussten, nicht zu einer Regel wird?

Wir haben in Deutschland jedenfalls einen stabilen Rückgang des vorsätzlichen Tötens. Vollendeter Todschlag und Mord haben zwischen 2000 und 2019 um 47 Prozent abgenommen. Das ist auch eine Folge davon, dass unsere Gesellschaft insgesamt friedlicher geworden ist. Ausgangspunkt ist die friedlichere, liebevollere Kindererziehung; weniger Hiebe, mehr Liebe bewirkt, dass zuerst die Kinder- und Jugendgewalt und später alle anderen Gruppen davon berührt sind. Wir sind friedlicher geworden, da ändert ein solcher Fall gar nichts. Er animiert allerdings potentielle Nachahmer, ähnlich bekannt zu werden. Das ist immer die Gefahr, dass es eine Ansteckung über die Medien gibt. Aber der Trend ist insgesamt ein positiver. Bis auf einen Störfaktor: Weltweit hat das Töten im letzten Jahr zugenommen (bei uns um 24 Prozent), bedingt durch den wachsenden Stress der Pandemie. Gerade Lockdownphasen sind hochgefährlich. Ich hoffe aber, dass es sich dabei nur um eine vorübergehende Stressphase handelt.

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