„Pflege in Not“: Warum die Pflegeversicherung eine Dauerbaustelle ist

Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer Frau über einen Flur.

Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer Frau über einen Flur.

Berlin. Als der Bundestag am 22. April 1994 die Einführung der Pflegeversicherung beschloss, jubelte der damalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU): „Wir haben‘s zusammen geschafft, deshalb ist das heute ein guter Tag für den Sozialstaat Deutschland.“ Rund 20 Jahre war zuvor über eine Versicherung für den Pflegefall diskutiert worden. Denn immer mehr Menschen waren auf Sozialhilfe angewiesen, weil sie ihre eigenen Pflegekosten nicht mehr bezahlen konnten. Das überforderte die Kommunen, weshalb ein eigener Sozialversicherungszweig eingerichtet wurde.

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Heute, fast 30 Jahre später, zeigt sich jedoch, dass die Leistungen der Pflegeversicherung in vielen Fällen längst nicht mehr ausreichen, um eine angemessene Pflege zu gewährleisten.

Der renommierte Pflegeforscher Heinz Rothgang von der Universität Bremen erinnert daran, dass bei der Einführung der Pflegeversicherung die Zahlungen noch hoch genug waren, um die durchschnittlichen Pflegekosten im Heim zu decken. Heute ist die Lage völlig anders: Für die Pflege sind derzeit im Bundesdurchschnitt 912 Euro pro Monat aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Zusammen mit den Unterbringungs- und Verpflegungskosten sowie den Anteilen für Instandsetzung und Modernisierung der Heime summiert sich der Eigenanteil mittlerweile auf monatlich 2179 Euro.

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Der Grund ist eine schleichende Entwertung der Leistungen aus der Pflegeversicherung, weil es keine regelmäßigen Anpassungen an die Preisentwicklung gab. Die Folge der steigenden Eigenanteile: Die Zahl der Empfänger der Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ steigt seit Jahren stetig an, zuletzt um 4 Prozent auf knapp über 400.000 Menschen. In der ambulanten Pflege – also der Pflege zu Hause – ist die Entwicklung ähnlich, doch hier fällt die Entwertung der Leistungen nicht so auf, weil sie durch die Mehrarbeit der pflegenden Angehörigen ausgeglichen wird.

Unterfinanzierung führt zu extremem Kostendruck

Die permanente Unterfinanzierung der Altenpflege hat dazu geführt, dass es einen extremen Kostendruck gibt. Gespart wird vor allem am Personal, sowohl bei der Besetzung als auch beim Lohn selbst. Da das Pflegepersonal kaum gewerkschaftlich organisiert ist, ist der Widerstand dagegen gering. Der Versuch der großen Koalition, flächendeckende Tarifverträge durchzusetzen, scheiterte vor etwa einem Jahr.

Wegen des erbitterten Widerstandes der privaten Arbeitgeber, die in der Altenpflege einen Marktanteil von rund 50 Prozent haben, war der Plan der Politik, einen Tarifvertrag per Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch die Regierung auf die gesamte Branche auszuweiten. Doch das Vorhaben wurde ausgerechnet von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie zu Fall gebracht. Sie hatten Sorge, ihre Sonderregeln im Arbeitsrecht aufgeben zu müssen. Der in den kirchlichen Einrichtungen geltende „dritte Weg“ verbietet es zum Beispiel den Beschäftigten zu streiken.

Union und SPD vereinbarten daraufhin, dass Pflegeeinrichtungen ab September 2022 künftig nur noch mit den gesetzlichen Kassen abrechnen dürfen, wenn sie ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Auch wenn es hier und da zu arbeitgeberfreundlichen Gefälligkeitstarifverträgen mit Pseudogewerkschaften kommen wird, dürfte sich durch diese Gesetzesänderung der Trend zu höheren Löhnen in der Pflege verstärken. Außerdem hatte die große Koalition auch bessere Personalschlüssel und eine überschaubare Entlastung bei den Eigenanteilen beschlossen.

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Ampelkoalition will Leistungen ausbauen

Die Ampelkoalition will die Leistungen noch weiter ausbauen, auch um die schleichende Entwertung zu stoppen. So soll das Pflegegeld, das pflegende Angehörige erhalten, regelmäßig erhöht werden. Zudem wollen SPD, Grüne und FDP unterschiedliche Leistungen wie die Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einem unbürokratischen Entlastungsbudget zusammenfassen, womit sie passgenauer angewendet werden können.

Das ist alles gut für die Beschäftigten und die Pflegebedürftigen, erhöht aber selbstverständlich am Ende die Kosten – für die zu Pflegenden und die Beitragszahler. So rechnet der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen allein wegen der Lohnsteigerungen in der Pflege und der beschlossenen sowie der geplanten Reformen mit Mehrausgaben von bis zu 5 Milliarden Euro im Jahr. Schon im ersten Halbjahr, so warnt der Verband, könnte eine Beitragsanhebung um 0,3 Prozentpunkte nötig sein. Denn die Reserven in den Kassen der Pflegeversicherung sind weitgehend aufgebraucht.

Die Ampelparteien haben die Beitragszahlenden praktischerweise darauf schon vorbereitet. „Den Beitrag zur Sozialen Pflegeversicherung (SPV) heben wir moderat an“, heißt es im Koalitionsvertrag. Was „moderat“ genau bedeutet, hat allerdings noch keiner der neuen Koalitionäre verraten.

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