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Fälle, die „eigentlich nicht vor die Strafgerichte gehören“

Richterbund: Buschmann muss „Strafvorschriften gegen Kinderpornografie“ dringend korrigieren

2021 hat die GroKo die Strafvorschriften für die Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellungen verschärft. Seitdem hat die Polizei immer häufiger gegen unschuldige Kinder, Eltern und Lehrkräfte ermittelt. Der Richterbund fordert eine Reform des Strafrechts.

2021 hat die GroKo die Strafvorschriften für die Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellungen verschärft. Seitdem hat die Polizei immer häufiger gegen unschuldige Kinder, Eltern und Lehrkräfte ermittelt. Der Richterbund fordert eine Reform des Strafrechts.

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Berlin. Der Deutsche Richterbund hat Bundes­justizminister Marco Buschmann (FDP) aufgefordert, die 2021 drastisch verschärften Strafvorschriften für sogenannte „Kinderpornografie“ schnell zu korrigieren. Aus Sicht der Justizpraxis sei eine Korrektur dringend erforderlich, sagte Richterbund-Bundes­geschäftsführer Sven Rebehn dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

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„Die Änderungen sind seinerzeit gegen den Rat aller Experten durchgesetzt worden, deren Bedenken sich inzwischen voll bestätigt haben. Staats­anwaltschaften und Gerichte müssen sich seither mit einer Vielzahl von Fällen befassen, die eigentlich nicht vor die Strafgerichte gehören“, sagte Rebehn.

Freiheitsstrafe von einem Jahr für eine vermeintlich gute Tat

So drohe zum Beispiel Eltern eine Mindest­freiheitsstrafe von einem Jahr, die in Klassenchats ihrer Kinder auf Fälle von Kinder­pornografie stießen, die Schulleitung darauf hinweisen wollten und dabei die Dateien unbedacht weiterleiteten. „Durch das geltende Strafrecht wird die vermeintlich gute Tat des Aufklärens zum Bumerang“, sagte Rebehn. Schriftliche Strafbefehle oder Einstellungen von Verfahren gegen Auflagen seien auch in derartigen Fällen nicht mehr möglich. „Damit erschwert die überschießende Reform eine abgestufte, tat- und schuld­angemessene Bestrafung im Einzelfall und bindet viel Personal in der Strafjustiz, das dringend gebraucht würde, um eine wachsende kriminelle Szene noch intensiver zu verfolgen.“

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Das Problem hat auch Minister Buschmann erkannt und eine Reform im Laufe des Jahres angekündigt. Dem Richterbund geht der Prozess aber nicht schnell genug. „Der Bundes­justizminister sollte die Forderungen der Justizpraxis und der Landes­justizministerien jetzt schnellstmöglich aufgreifen und noch vor der Sommerpause einen Vorschlag zur Korrektur der missglückten Strafvorschriften machen“, sagte Sven Rebehn vor der Justiz­minister­konferenz, die am Donnerstag in Berlin beginnt.

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BKA fordert Korrektur des Strafrechts

Die Forderungen nach einer Korrektur des Strafrechts­paragrafen gegen die Verbreitung von Kindesmissbrauchs­darstellungen bekräftigten am Dienstag auch der Präsident des Bundes­kriminalamts (BKA), Holger Münch, und die Missbrauchs­beauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus. Die beiden stellten in Berlin die Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik zu Gewalt und Missbrauch gegen Kinder im Jahr 2022 vor.

Mehr als 40 Prozent der Tatverdächtigen in Fällen der Verbreitung von „Kinderpornografie“ waren demnach im vergangenen Jahr selbst Kinder und Jugendliche. Es handele sich bei den Taten etwa um Bilder oder Videos, die in Klassenchats herumgeschickt würden, sagte die Missbrauchs­beauftragte Kerstin Claus – „oft, ohne zu verstehen, dass es sich um Darstellungen realer, sich tatsächlich ereignender Gewalt handelt“.

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„Es ist ein hochsensibles Feld“

„Es ist natürlich ein hochsensibles Feld“, sagte die Missbrauchs­beauftrage der Bundesregierung, Kerstin Claus. Deshalb tue sich die Politik schwer zu sagen: „Wir senken jetzt das Strafmaß bei Missbrauchs­darstellungen.“ Zu groß sei die Sorge vor einer verkürzten Darstellung, vor Fragen und Kritik. „Deswegen ist es mir so wichtig, dass verstanden wird, um was es geht“, sagte Claus. Wenn es um Kinder und Jugendliche oder um Eltern und Lehrkräfte gehe, spreche man eben nicht per se von hochkriminellen Täterinnen und Tätern.

Auch für die Polizei bedeute die 2021 beschlossene Strafverschärfung eine erhebliche Mehrbelastung, sagte BKA-Chef Münch. Weil Staats­anwaltschaften Verfahren etwa gegen Minderjährige heute grundsätzlich nicht mehr einstellen könnten, müssten die Polizei­dienststellen in den Ländern „immer alle Maßnahmen treffen“, also beispielsweise Datenträger sicherstellen und auswerten. Die Zeit, die Ermittler und Ermittlerinnen dafür aufwenden müssen, fehlt dann etwa für Ermittlungen gegen wirkliche Sexualstraftäter.


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