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Politikwissenschaftler ordnet ein

Parteifreunde in Ministerien: Filz oder alles ganz normal?

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, neben seinem Staatssekretär Patrick Graichen (links) in der Bundespressekonferenz.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, neben seinem Staatssekretär Patrick Graichen (links) in der Bundespressekonferenz.

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Herr Jun, derzeit kursieren Schaubilder mit vielen Pfeilen, die „Filz“ im Wirtschaftsministerium belegen sollen. Sind die Besetzungen von Posten, die derzeit diskutiert werden, tatsächlich „Filz“?

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Den Fall von Patrick Graichen, der seinen Trauzeugen zum Chef der Deutschen Energie-Agentur machen wollte, haben er und sein Chef Robert Habeck ja selbst als problematisch beziehungsweise als Fehler eingestuft. Da gibt es schon eine Befangenheit. Aber der Begriff „Filz“ ist viel zu vage und ungenau. Jeder stellt sich darunter etwas anderes vor. Man sollte eher von parteigebundenen Netzwerken sprechen. Die gibt es schon so lange, wie es Politik gibt – und sie sind immer mal wieder Gegenstand der Diskussion.

Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun

Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun

Jetzt gibt es auch Vorwürfe gegen weitere Ampelminister: Verkehrsminister Volker Wissing und Verteidigungsminister Boris Pistorius beziehungsweise dessen Vorgängerin Christine Lambrecht sollen Abteilungsleiterposten ohne Ausschreibung an Parteifreunde vergeben haben. Ist das problematisch?

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Die Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter sind wie die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre sogenannte politische Beamte. Diese können jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, anders als andere Beamte. Das heißt, dass die Leitung des Ministeriums diese Posten zur Disposition stellen kann. Das ist auch nachvollziehbar, weil Ministerinnen und Minister auf Personen setzen wollen, denen sie vertrauen können. Außerdem sollen die Beamtinnen und Beamten die Politik umsetzen, die die Ministeriumsleitung favorisiert. Abteilungsleiterposten werden deshalb in der Regel parteigebunden besetzt. Das ist weitaus häufiger der Fall, als dass es Personen ohne Verbindung zur Partei sind.

Aber warum wurde in den genannten Fällen auf eine Ausschreibung verzichtet?

Man kann in Ausnahmefällen, die in der Bundeslaufbahnverordnung festgelegt sind, Personen ohne Ausschreibung einstellen. Das ist wohl auch im Verkehrsministerium und im Verteidigungsministerium geschehen. Die Frage ist aber, ob eine formale Ausschreibung ein anderes Ergebnis gebracht hätte. Denn am Ende werden auch dann meist Parteifreundinnen oder Parteifreunde ausgesucht. Trotzdem sollte man die Ausnahmen ohne Ausschreibung nicht allzu weit ausdehnen.

Warum kocht die Diskussion um angeblichen „Filz“ gerade jetzt wieder hoch?

Wir diskutieren über Ministerien, die über längere Zeit von anderen Parteien besetzt waren. Das Verkehrsministerium lange von der CSU, das Verteidigungsministerium lange von der CDU und das Wirtschaftsministerium von CDU und SPD. Nach den Wechseln zu Ministerinnen und Ministern anderer Parteien wurden jetzt besonders viele Umbesetzungen vorgenommen. Bei einem Regierungswechsel ist dann möglicherweise einer der Gründe für den Verzicht auf die Ausschreibung, dass ein formales Verfahren zu lange dauern würde. Das ist nicht nur bei der Ampel so, sondern häufiger, wenn die Parteifarben eines Ministeriums wechseln. Es wäre der Öffentlichkeit auch kaum zu vermitteln, wenn viele Abteilungsleiter von Oppositionsparteien weiterarbeiten würden. Es geht schließlich darum, inwieweit gewählte Parteien ihre Inhalte tatsächlich durchsetzen können.

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Das müsste die CDU, von der besonders laute Kritik kommt, aber eigentlich auch wissen. Schließlich hat sie ebenfalls schon einige Regierungswechsel hinter sich.

Die CDU will vermutlich nur zum Ausdruck bringen, dass aus ihrer Sicht formale Aspekte im Moment nicht immer eingehalten werden. Kritik an Besetzungen kommt aber sehr häufig vor und wird im politischen Wettbewerb gerne für eigene Zwecke genutzt. Denn das ist ein Thema, das Wählerinnen und Wähler kritisch sehen, wenn der Anschein von Vetternwirtschaft entsteht.

Ist das eigentlich eine deutsche Debatte, oder kommt das auch in anderen Ländern vor?

Großbritannien und die skandinavischen Länder werden besonders dafür gerühmt, dass es formal eine striktere Unabhängigkeit von regierender Partei und der Bürokratie in Ministerien gibt. Aber das hat zum Beispiel dazu geführt, dass die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher „Sondereinheiten“ aufgebaut hat, die an der eigentlichen Bürokratie vorbei agiert haben. Die Regierungsparteien versuchen also auch bei strikteren Regeln die Bürokratie zu ihren Gunsten zu besetzen und für ihre Zwecke nutzbar zu machen.

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