Russland simuliert den Atomschlag: Expertin sieht „psychologisches Spiel mit der Angst“
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Das russische Verteidigungsministerium veröffentlicht Bilder einer Militärübung mit einer Iskander-Rakete (Archivfoto).
© Quelle: IMAGO/SNA
Berlin. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hat geraten, die jüngsten Versuche Russlands mit atomwaffenfähigen Raketen in der Exklave Kaliningrad nicht überzubewerten. „Es gehört zur Kriegsführung des Wladimir Putin, uns solche Szenarien vor Augen zu führen, um uns psychologisch unter Druck zu setzen – und das historisch eingebettet in den Jahrestag des Kriegsendes des Zweiten Weltkrieges“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir sollten uns sein Narrativ nicht zu eigen machen und schon gar nicht geradezu paralysiert auf den 9. Mai schauen.“ Es gelte vielmehr, „Ruhe zu bewahren“.
In der Exklave Kaliningrad an der Ostsee übte die russische Armee zuletzt Angriffe mit dem atomwaffenfähigen Raketensystem Iskander-M. Etwa 100 Soldaten rückten mit 20 Fahrzeugen aus, wie das Militär mitteilte. Dann seien einzelne oder massenhafte Starts simuliert worden, um gegnerische Raketensysteme, Flugplätze, Bunker oder Truppen zu treffen. Iskander-M kann mit Marschflugkörpern oder Raketen bis zu 500 Kilometer weit schießen. Von Kaliningrad aus liegen damit Warschau, Berlin und andere Hauptstädte in Reichweite.
„Die Simulation eines Nuklearschlags ist ein psychologisches Spiel mit der Angst“, meint auch Marina Henke, Expertin für nukleare Sicherheit und Professorin für internationale Beziehungen an der Hertie School in Berlin. Sie fürchtet, dass Putin mit der Übung die Angst der westlichen Bevölkerung vor einem Weltkrieg weiter anheizen wolle. „Putin will verdeutlichen, dass er nicht nur einen taktischen Nuklearschlag androhen kann, sondern auch in der Lage ist, ihn durchzusetzen“, so Henke. Sie rät daher: „Die Nato sollte diese Übung ignorieren und sich nicht provozieren lassen.“
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul, bewertet die Übung ähnlich. „Das ist Teil der russischen Drohkulisse“, sagte er dem RND. „Man muss da nüchtern bleiben und Kurs halten. Das ist das Wichtigste. Alles andere wird nur als Ermutigung missverstanden.“
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn, sagte am Rande eines Besuchs in Lettland, die Übung in Kaliningrad stelle „keine Niveauveränderung“ in der Bedrohung dar. Diese sei ohnehin hoch. Im Baltikum habe die Übung nach seiner Wahrnehmung auch nicht zu einer noch größeren Beunruhigung geführt. Der Sicherheitsexperte Liviu Horovitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik wies im Übrigen darauf hin, dass Sprengköpfe und die Trägersysteme, zum Beispiel Raketen und Bomben, getrennt gelagert würden und vor dem Einsatz zusammengefügt werden müssten. „Bisher gibt es aber überhaupt keine Anzeichen, dass Russland Sprengköpfe und Trägersystem zusammenbringt“, sagte er.
Expertin Henke hält den Einsatz einer taktischen Atomwaffe aber für plausibel, jedoch eher über der Ostsee und nicht über bewohnten Gebieten. Es gehe darum, im Westen Angst zu verbreiten, nicht um größtmögliche Zerstörung. „Putin will, dass die Menschen aus Angst vor einem Atomkrieg auf die Straßen gehen, die Nato gespalten wird und er viele Forderungen durchsetzen kann.“
Putin sendet mit der Simulation eines Atomschlags auch ein Signal an die eigene Bevölkerung, sind sich Henke und Horovitz sicher. Nachdem Russland in der Ukraine enorme Truppenverluste hinnehmen musste, wolle der Kreml die hohe Bedeutung des Kriegs untermauern. „Gleichzeitig demonstriert die russische Führung mit solchen Übungen, wie stark Russland ist und dass man fähig sei, einen nuklearen Gegenschlag zu verüben“, sagte Horovitz. Dies lasse sich auch als Signal der Abschreckung und Warnung an den Westen verstehen, keine eigenen Soldaten in die Ukraine zu schicken.
Laut Henke könnte Putin darauf setzen, mit der Machtdemonstration eines simulierten Atomschlags den Kriegswillen und die Befürwortung des Kriegs in der russischen Bevölkerung zu stärken.
Verteidigungspolitiker Hahn warf der Bundesregierung unterdessen vor, bei der militärischen Unterstützung der Ukraine weiter zu zögerlich vorzugehen. Die Regierung müsse „schneller und agiler handeln“, sagte er. Das Engagement sei aber übersichtlich: Vor allem die SPD sei offenkundig „sehr bemüht, tarifliche Arbeitszeiten einzuhalten“.
Bei der Ankündigung der Lieferung des Panzers Gepard scheine die Regierung auf Show gesetzt zu haben; sie habe für die internationale Militärhilfekonferenz in Ramstein kurzfristig ein Angebot gebraucht. Nun kümmere sie sich nicht genug darum, den Gepard einsatzfähig zu liefern. Unverändert sei auch keine Munition für den Panzer verfügbar. Eine Bitte Polens um Leopard-1-Panzer als Ersatz für die Lieferung von Panzern sowjetischer Produktion in die Ukraine habe die Bundesregierung schließlich noch gar nicht beantwortet.
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