Insel der Oligarchen: Russlands Krieg gegen die Ukraine bringt Zypern in Zugzwang
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Ein Pier am Hafen von Limassol (Archivfoto). Die meisten der rund 40.000 Russen auf Zypern leben in der Hafenstadt Limassol.
© Quelle: imago images/NurPhoto
Athen. Seit Montag um null Uhr ist der Luftraum Zyperns für russische Flugzeuge gesperrt. Damit folgt Zypern dem Beschluss der EU-Außenminister. Leicht dürfte der Regierung das nicht gefallen sein. Denn wenn es bei der Sperre bleibt, droht der zyprischen Tourismusindustrie, die sich gerade von den Folgen der Pandemie zu erholen begann, ein schwerer Rückschlag. Im vergangenen Jahr kamen vier von zehn ausländischen Urlauberinnen und Urlaubern aus Russland.
Die drohende Tourismusflaute ist nur eine von mehreren Auswirkungen, die der Krieg in der Ukraine auf die Inselrepublik haben wird. Zypern unterhält traditionell besonders enge Beziehungen zu Russland. Fast fünf Prozent der Bevölkerung der Republik Zypern sind Russen, darunter nicht wenige Oligarchen mit guten Kontakten zum Kreml. Sie bunkern Milliardenbeträge bei den Banken auf Zypern. Die zyprische Regierung muss nun prüfen, welche Bankkunden auf der EU-Sanktionsliste stehen.
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Die russische Präsenz auf Zypern ist nicht zu übersehen. Die meisten der rund 40.000 Russinnen und Russen auf der Insel leben in der Hafenstadt Limassol, auch als Limassolgrad bekannt. Hier gibt es russische Lebensmittelgeschäfte, Boutiquen und Restaurants. Es gibt auf Zypern fünf russische Schulen, vier russische Radiosender und zwei Zeitungen. Der russische Mineralölkonzern Lukoil betreibt ein Tankstellennetz auf der Insel.
Die Russian Commercial Bank (RCB) hat ein Dutzend Zweigstellen in Limassol, Nikosia und Paphos sowie Repräsentanzen in Luxemburg, London und Moskau. Zweitgrößter Aktionär der RCB war bisher die russische Staatsbank VTB. Am vergangenen Donnerstag übertrug sie ihren 46-prozentigen Anteil an der RCB an private zyprische Aktionäre. So wurde aus der RCB über Nacht eine zyprische Bank. Damit ist sie von den Sanktionen gegen die VTB nicht betroffen.
Erste große Einwanderungswelle nach Zusammenbruch der UdSSR
Die russisch-zyprischen Beziehungen haben eine lange Tradition. Schon vor 900 Jahren gab es enge Kontakte zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und den griechisch-Orthodoxen auf Zypern. Die Religion ist noch heute ein starkes Band. In den 1950er Jahren unterstützte die damalige UdSSR die Zyprer in ihrem Kampf gegen die britischen Kolonialherren. Nach der Unabhängigkeit 1960 knüpfte der erste zyprische Präsident Erzbischof Makarios enge Beziehungen zu Moskau. Makarios galt deshalb als „Castro des Mittelmeeres“.
Die erste große Einwanderungswelle aus Russland erlebte Zypern nach dem Zusammenbruch der UdSSR in den 1990er Jahren. Weitere Russen folgten nach der Aufnahme der Inselrepublik in die EU 2004 und ihrem Beitritt zur Euro-Zone 2008. Die zyprischen Banken lockten mit hohen Zinsen und Diskretion. Man stellte nicht viele Fragen. Russische Unternehmen und Oligarchen entdeckten die Insel als Steuerparadies und Schwarzgeldbunker.
Die zyprische Finanzkrise von 2013 stellte die Freundschaft auf eine schwere Probe. Bankguthaben von mehr als 100.000 Euro wurden mit einer Zwangsabgabe von 47,5 Prozent an der Bankenrettung beteiligt. Viele reiche Russen verloren durch dieses Bail-In die Hälfte ihres Geldes. Als eine Entschädigung führte der konservative Inselpräsident Nikos Anastasiades 2013 das Golden-Passport-Programm ein: Wer mindestens zwei Millionen Euro in eine Immobilie auf Zypern investierte, bekam die zyprische Staatsbürgerschaft.
Zypern musste das Programm für „Goldene Pässe“ einstellen
Der zyprische Pass ermöglicht freie Niederlassung in allen 27 EU-Staaten und visafreie Reisen in mehr als 160 Drittländer. Fast 7000 solcher „Goldenen Pässe“ hat Zypern vergeben, die Hälfte davon an Russen. Nachdem der TV-Sender Al-Dschasira 2020 Korruption und kriminelle Machenschaften bei der Passvergabe aufdeckte, musste Zypern das Programm auf Druck der EU einstellen.
Seit einigen Jahren geht die Regierung zwar entschlossener gegen Geldwäsche vor. Aber Zypern bleibt eine Drehscheibe für russisches Geld. Russische Firmen und Privatleute leiten ihre Einnahmen wegen der günstigen Steuern über die Insel. So kommt die Kuriosität zustande, dass Zypern auf dem Papier mit kumulativ 147 Milliarden Dollar der größte ausländische Investor in der russischen Föderation ist. Die ist ihrerseits mit 193 Milliarden der bedeutendste Investor auf Zypern.
Die Summe entspricht nahezu dem Achtfachen des letztjährigen Bruttoinlandsprodukts Zyperns. Schon das ist ein klarer Hinweis darauf, dass viele russische Gelder über Zypern zu anderen Destinationen fließen, auch nach Russland zurück.
Präsident Anastasiades verurteilte zwar jetzt die russische Invasion in der Ukraine „auf das allerschärfste“. Aber dass er in den Beziehungen zu Russland eigene Wege geht, zeigte der zyprische Staatschef schon bei der Besetzung der Krim 2014. Ein Jahr nach der Annexion reiste Anastasiades zu Wladimir Putin nach Moskau. Die Präsidenten unterzeichneten eine Vereinbarung, die der russischen Kriegsmarine Zugang zu zyprische Häfen ermöglicht. Damit erfüllte Anastasiades einen alten Wunsch Russlands, das seit Jahrzehnten nach einem Stützpunkt für seine Kriegsflotte im Mittelmeer suchte.
Russische Kriegsschiffe legen seither regelmäßig in zyprischen Häfen an – trotz beständigen Drucks der USA, solche Flottenbesuche zu unterbinden. Putin revanchierte sich für das Flottenabkommen mit der Restrukturierung eines Hilfskredits über 2,5 Milliarden Euro, den Russland 2011 Zypern gewährt hatte – die Zinsen wurden gesenkt, die Laufzeit gestreckt. Drei Monate später reiste Anastasiades demonstrativ als einziger EU-Staatschef nach Moskau, zur Militärparade am „Tag des Sieges“, mit dem Russland an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert.
Anastasiades muss nun entscheiden, ob er, wie während der Krim-Krise, auch jetzt einen Sonderweg geht oder ob er die Sanktionen der EU voll umsetzt. Dann müssten wohl auch die russischen Flottenbesuche in Limassol und Larnaca auf den Prüfstand kommen und die russischen Bankkonten auf Zypern durchleuchtet werden.