Waffenlieferungen an die Ukraine: Moralisch geboten
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Reservisten der Bundeswehr mit der Fliegerfaust „Strela", die jetzt an die Ukraine geliefert wird.
© Quelle: Bundeswehr/Michael Mandt/dpa
Berlin. Der Wille kann Berge versetzen, sagt der Volksmund. Und lange hatte dieser Satz keine solche Berechtigung mehr wie seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine. Man sieht es an den Menschen dort, die der russischen Militärmaschinerie ein ums andere Mal in die Speichen greifen. Teilweise mit selbst gefertigten Molotowcocktails – oder erhobenen Händen vor gepanzerten Fahrzeugen. Egal, ob man es mutig, heldenhaft oder verrückt findet: Es geschieht. Und es hat Wirkung.
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Eine noch größere Wirkung könnten die Ukrainerinnen und Ukrainer entfalten, wenn sie mehr Waffen hätten – und bessere Waffen. Dass dies nicht der Fall ist, liegt auch an uns. Dafür wiederum gibt es Erklärungen – Erklärungen, die Deutschland leider nicht zur Ehre gereichen.
Unentschuldbares Versagen
Die eine Erklärung ist, dass wir das Naheliegende nicht geglaubt haben, obwohl es genug Gründe dafür gab, es doch zu tun. Schließlich hat der russische Präsident Wladimir Putin dutzendfach Belege für seine Brutalität geliefert: bei den Kriegen in Tschetschenien, Georgien oder Syrien – aber auch beim Umgang mit Unliebsamen im eigenen Land, mit Anna Politkowskaja, Boris Nemzow oder Alexej Nawalny. Einen Unliebsamen hat Putin im Berliner Tiergarten erschießen lassen, wenige Hundert Meter vom Kanzleramt entfernt. Spätestens das hätte uns die Augen öffnen müssen.
Überdies haben die US-amerikanischen Geheimdienste schon vor Wochen darauf hingewiesen, dass ein Angriff bevorstehe – und zwar so deutlich und klar, dass uns dies ebenfalls hätte zu denken geben müssen. Gleichwohl verfing bis Anfang voriger Woche in Deutschland die Erzählung, der Mann im Kreml fühle sich bedroht.
Die Erzählung war teilweise versehen mit antiamerikanischen Ressentiments – links wie rechts und in der politischen Mitte übrigens –, wonach denen in Washington im Zweifel weniger zu trauen sei als denen in Moskau. Das ist unentschuldbar.
Entschuldbar ist da schon eher die Vor-Krieg-Einschätzung, dass die Ukraine ohnehin chancenlos und es daher besser sei, sie gäbe im Fall des Falles gleich auf. So dachten nicht zuletzt Vertreter der Bundesregierung. Realpolitisch nachvollziehbar war allein der Gedanke, man dürfe Putin mit Waffenlieferungen nicht jenen billigen Kriegsgrund liefern, nach dem er so dringend suchte.
Angesichts des Widerstandes der Ukrainer muss man rückblickend jedenfalls sagen: Der deutsche Verzicht auf Waffenlieferungen war falsch – politisch und moralisch.
Allerdings: Spät ist nicht zu spät. Darum ist es richtig, dass die Ampelkoalition ihren Kurs ändert – wenn auch behutsam. Das gebietet die bereits erwähnte Moral, selbst wenn Moral ein Wort geworden ist, das in den letzten Jahren gezielt und bei verschiedenen Gelegenheiten als „moralisierend“ diskreditiert worden ist. Es ist moralisch nicht in Ordnung, wehrlose Menschen wehrlos bleiben zu lassen, wenn man Mittel hat, dies zu ändern.
Kampf auf Zeit
Die Lieferung von Waffen – vorausgesetzt, sie kommen noch an – ist aber auch deshalb richtig und wichtig, weil sie helfen können, Putin das zu rauben, was er nicht hat oder wovon er zu wenig hat: Zeit. Denn je mehr Zeit vergeht, desto besser können die Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen den Diktator und seine Helfershelfer – die eigentlichen Waffen des Westens – greifen.
Das Verblüffende an den echten Waffen ist übrigens, dass sie gar nicht so kompliziert sein müssen, um zu wirken. Militärexperten weisen vielmehr darauf hin, dass manche Waffen gerade deshalb wirken, weil sie einfach sind und damit einfach zu bedienen. Das Entscheidende in diesen Tagen ist schließlich der Wille von Menschen. Und der Wille kann – wenngleich in Grenzen – Berge versetzen.