Bauwerk am Asowschen Meer

„Ziel Nummer eins“: Will die Ukraine wirklich die Krim-Brücke zerstören?

Ein Zug fährt am 17. Februar 2022 mit russischen Militärfahrzeugen über die Krim-Brücke. Das Bild wurde vom russischen Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt.

Ein Zug fährt am 17. Februar 2022 mit russischen Militärfahrzeugen über die Krim-Brücke. Das Bild wurde vom russischen Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt.

Am Steuer eines orange leuchtenden Trucks mit russischen Flaggen an den Seitenspiegeln überquerte Wladimir Putin am 15. Mai 2018 die Krim-Brücke zwischen Taman und Kertsch. „In verschiedenen historischen Epochen träumten die Menschen vom Bau dieser Brücke“, sagte Putin bei der Eröffnungszeremonie. Schon unter den Zaren habe es die Idee dazu gegeben, in den 1930er-, 40er- und 50er-Jahren sei sie immer wieder aufgekommen. „Und jetzt ist das Wunder geschehen.“

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Dieses russische „Wunder“ will die Ukraine nun zerstören. Das sagt der ukrainische General Dmytro Martschenko, er hat die Brücke gar zum „Ziel Nummer eins″ ausgerufen. Am Donnerstag veröffentlichte der ukrainische Militärgeheimdienst dann angeblich offizielle Baupläne der Brücke am westlichsten Zipfel der Krim. Die Botschaft: Wir wissen, wie die Brücke konstruiert ist, und daher auch, wie sie zerstört werden kann.

Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Eröffnung der Krim-Brücke.

Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Eröffnung der Krim-Brücke.

Für die Ukraine war die Errichtung der Eisenbahn- und Autoverbindung über die Meerenge zwischen Schwarzem und Asowschem Meer alles andere als ein „Wunder“, sondern die Folge des schmerzhaften Verlusts der Krim durch die russische Annexion der Halbinsel im Jahr 2014. Russland hatte, so die eigene propagandistische Erzählung, die Halbinsel durch ein Referendum mit dem Festland „wiedervereinigt“. Gustav Gressel, Militärexperte vom European Council on Foreign Relations (ECFR), wertet die Errichtung der Brücke als den symbolträchtigen Abschluss dieser Aktion.

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Nachschub in den Süden der Ukraine

Schon vor der russischen Invasion im Februar 2022 sei die Brücke strategisch wichtig gewesen, betont Gressel. „Zum einen wurde durch den Bau der ukrainische Zugang zum Asowschen Meer erschwert. Durch die verengten Fahrspuren für Schiffe und die russische Dominanz in der Meerenge von Kertsch war der Zugang zu den ukrainischen Häfen Mariupol und Berdjansk eingeschränkt.“ Zudem habe die Brücke schon vor dem Krieg den Vorteil gehabt, dass Truppenverlagerungen und Militärtransporte per Eisenbahn unauffälliger seien als zum Beispiel mit dem Schiff.

Mit Beginn der russischen Angriffe auf die ganze Ukraine wurde die Versorgungslinie über die Brücke dann essenziell. „Mit dem Zug können Soldaten, Kriegsgerät und Munition auf die Krim gebracht und dort umgeschlagen werden. Von dort geht der Nachschub dann nach Mariupol, Saporischschja und Cherson“, erklärt Gressel. „Im Donbass sind die Eisenbahnlinien an den alten Kampfstellungen unterbrochen, im Süden der Ukraine reichen sie aber nahe an die aktuelle Front heran. Das ist eine sehr leistungsfähige Route.“

Schwieriges Ziel

Das macht die Krim-Bücke zu einem interessanten Angriffsziel für die Ukraine – strategisch wie symbolisch. Ein einfaches Unterfangen ist das aber nicht: Brücken seien grundsätzlich schwierige Angriffsziele, meint Militärexperte Gressel. Die inklusive Auffahrt knapp 20 Kilometer lange Krim-Brücke müsse zielgenau getroffen werden, damit zum Beispiel bei einem Raketenangriff der Sprengkopf nicht an der Oberfläche verpuffe oder erst unter der Brücke explodiere. Außerdem sei die Brücke ein massives und damit stabiles Bauwerk.

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Ein weiteres Problem: „Mit den vorhandenen Raketen ist die Brücke für die Ukraine am Rande der Reichweite“, vermutet Gressel. Von Stellungen um Saporischschja könnten Harpoon-Marschflugkörper die Brücke möglicherweise gerade noch treffen. Ausländische Waffen mit dieser Reichweite seien bislang nicht geliefert worden.

Gressel sieht neben Raketenangriffen noch ein zweites Szenario: Die Brücke könnte von Spezialkräften mit Sprengstoff versehen werden. Allerdings sei das Bauwerk eng durch russische Grenztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB bewacht. „Russlands größte Verwundbarkeit ist aber die Korruption, vielleicht könnte es gelingen, Einsatzkräfte vor Ort zu bestechen, den Einsatz auszuführen.“

Russlands Erfolg hängt an der Eisenbahn

In beiden Szenarien – mit Raketen oder Sprengstoff vor Ort – sei eine vorübergehende Einschränkung des Verkehrs über die Brücke wahrscheinlicher als deren vollständige Zerstörung, meint Gressel. Aber auch das könnte die Lage im Süden der Ukraine beeinflussen: „Je nachdem, wie lange die Unterbrechung des Nachschubs dauert, könnte Russland Schwierigkeiten dabei bekommen, Cherson gegen ukrainische Gegenangriffe zu verteidigen.“ Zwar gebe es wahrscheinlich auf der Krim noch einen Materialpuffer, dieser sei aber irgendwann aufgebraucht.

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Zumindest für Cherson könne ein ähnlicher Effekt auch erzielt werden, wenn einer der Bahndämme auf dem ukrainischen Festland zerstört würde. „Das sind einfachere Ziele, weil sie weniger stark bewacht werden. Und die lokale Bevölkerung kennt beispielsweise die Routen von Patrouillen und weiß, wann ein günstiger Zeitpunkt für einen Angriff wäre“, sagt Gressel.

Am Beispiel der Krim-Brücke lässt sich ein allgemeines Problem der russischen Invasion beschreiben: Nach Einschätzung des Militärexperten spielt in dem Krieg in der Ukraine die Eisenbahn eine besonders große Rolle. „Zum einen hat sich schon die sowjetische Armee auf lange Transportwege gestützt. Und zum anderen ist Russland durch seinen Fokus auf Artillerie besonders stark auf Nachschub angewiesen“, erklärt Gressel. Rund 50.000 Granaten würden an der Front täglich von Russland abgeschossen. „Den Nachschub für diese enorme Menge kann man nur mit der Eisenbahn transportieren.“

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Bei der versuchten Eroberung Kiews habe Russland aber genau damit ein Problem gehabt. Vom belarussischen Gomel aus hätten russische Truppen Nachschub über Hunderte Kilometer nach Süden in Richtung Kiew schaffen müssen – über teilweise unbefestigte Straßen oder über marode Schienen. „Im Norden der Ukraine sind seit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl viele Gleise unbenutzt und verrostet. Darüber Kriegsgerät und Truppen zu schicken ist schwierig“, erklärt Gressel. Das habe mit dazu geführt, dass Russland von der Hauptstadt abgelassen und sich in Folge auf den Osten und Süden konzentriert habe. Denn im Donbass sei durch die dort vor dem Krieg angesiedelte Industrie das Schienennetz gut ausgebaut. Und im Süden gebe es die Krim-Brücke.

„In erster Linie will man Russland nervös machen“

Alle Faktoren zusammengenommen hält Gressel eine tatsächliche Attacke der Ukraine auf das Bauwerk für unwahrscheinlich. „Von den Harpoon-Marschflugkörpern hat die Ukraine nur wenige. Sie werden diese bei der niedrigen Erfolgschance, die Brücke zu zerstören, nicht verschwenden wollen.“ Die öffentliche Ausrufung zum „Ziel Nummer eins″ habe einen anderen Zweck: „In erster Linie will man Russland damit nervös machen und beschäftigen. Es wäre schon etwas gewonnen, wenn Putin zum Schutz der Brücke Truppen von anderswo abziehen würde.“ Denn in Russland sei man, was das „Wunder“ der Krim-Brücke angehe, etwas paranoid.

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Sollte dennoch ein Angriff erfolgen, würde Russland das vor allem rhetorisch ausnutzen, glaubt Gressel. Putin – der einst selbst über die Brücke fuhr – werde versichern wollen, die Attacke habe mit westlicher Technik stattgefunden. In russischer Logik sei das auch ein Angriff auf eigenes Staatsgebiet. „Russland wird versuchen, eine neue Diskussion um Waffenlieferungen im Westen zu entfachen. Aber entscheidend ist, was die USA als größter Unterstützer der Ukraine sagen: nämlich dass die Krim nicht mit Russland wiedervereinigt, sondern immer noch ukrainisches Gebiet ist.“

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