Warnende Grüße nach Moskau
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Der ukrainische Präsident Selenskyj reist in die USA.
© Quelle: Ukrainian Presidential Press Off
Der ukrainische Präsident Selenskyj ist als freier Mann und aus freien Stücken nach Washington gereist. Das ist sehr viel mehr, als ihm die Welt kurz nach dem Überfall Russlands auf sein Land zugetraut hatte. Unter dem Druck der nur scheinbar überlegenen russischen Armee hatten die Amerikaner Selenskyj angeboten, ihn aus Kiew herauszuholen. Der antwortete damals knapp, er brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Munition. Dieser Mut des Präsidenten und die Tapferkeit seines Volks hat dem Westen die Augen dafür geöffnet, dass die Ukrainer mehr verteidigen als ihr Leben und ihre Städte. Längst ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zur systemischen Auseinandersetzung zwischen Autoritarismus und Demokratie geworden.
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Der Besuch Selenskyjs in den USA ist Symbol dieser Auseinandersetzung - ein moralischer Schlag gegen Moskau. Selenskyj ist als Freund nach Washington gereist, um sich der weiteren Unterstützung der USA und in deren Gefolge anderer Nato-Mächte zu vergewissern. Dieser Besuch ist für den ukrainischen Präsidenten auch eine innenpolitisch dringend notwendige Geste. Die Ukrainerinnen und Ukrainer leiden furchtbar unter dem Bombardement ihrer Infrastruktur durch die russische Armee. Weitere Zusagen der Unterstützung werden den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken. Das ist umso wichtiger, da leider auch über Weihnachten mit Angriffen gerechnet werden muss.
Putin steht militärisch mit dem Rücken so eng zur Wand, dass er nur durch gesteigerte Grausamkeit für sich Erfolge erzielen kann. Und da kennt der Kremlherrscher keine Grenze. Auch innenpolitisch ist er unter Druck geraten. Die Sanktionen machen sich in der Versorgung der Bevölkerung bemerkbar. Immer mehr Familien müssen den Verlust von Vätern, Ehemännern und Brüdern betrauern, die an der Front gefallen sind. Es besteht aber nur ein Funken Hoffnung, dass Putin durch die Macht der Straße weiter in die Enge getrieben werden könnte. Zu viele oppositionelle Kräfte und Vordenker, die solche Proteste organisieren könnten, sind eingesperrt oder haben das Land verlassen.
Waffenstillstand nicht bald absehbar
Die Schwäche Putins ist nicht nur eine gute Nachricht. Sie macht diesen Krieg erst recht gefährlich und unberechenbar. Niemand weiß, zu welchen Mitteln der Kremlherrscher als nächstes greift. Aktuell nutzt er das abhängige Belarus als Aufmarschgebiet - eine weitere Bedrohung für die Ukraine.
Washington bestätigt: Selenskyj auf dem Weg in die USA
Seit Kriegsbeginn am 24. Februar hat Selenskyj sein Land nicht verlassen.
© Quelle: dpa
Während sich also Putin verschätzt hat, wie man sich nur verschätzen kann, ist die Rechnung des Westens bisher aufgegangen. Nach der Entscheidung der Ukrainer, ihr Land zu verteidigen, hat der Westen Waffen und Geld geliefert sowie humanitäre Hilfe geleistet - immer unter der Maßgabe, nicht selbst zur kriegführenden Partei zu werden. Die Einladung Selenskyjs nach Washington darf als Versicherung und warnende Grüße nach Moskau gewertet werden, dass die USA Solidarität und Waffenlieferungen so lange aufrechterhalten werden, wie die Ukraine sie benötigt. Das Kalkül des Westens, dass Putin seine Drohung mit Atomwaffen nicht einfach wahrmachen wird, hat sich ebenfalls bewahrheitet.
Europa sollte sich in diesem Fall ein Beispiel an den USA nehmen und nicht nachlassen bei der Unterstützung der Nachbarn. Leider wird sich der europäische Kontinent auf viele weitere Monate des Kriegs einstellen müssen. Waffenstillstandsverhandlungen sind nur möglich, wenn die Ukraine Sicherheitsgarantien bekommt, die Russland auf absehbare Zeit nicht bereit ist zu gewähren. Jeden Waffenstillstand ohne Bedingungen würden Putin und seine Schergen nutzen, sich für weitere Angriffe neu aufzustellen. Dafür haben die Ukrainer nicht so viel gelitten.