In der Ampelkoalition knirscht es gewaltig
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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nehmen an der Generaldebatte der Haushaltswoche im Bundestag teil.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
es sind ja die kleinen Gesten, an denen man stets viel ablesen kann. Am Mittwoch im Bundestag saß ich auf der Pressetribüne – vom Präsidium aus gesehen oben links, mit freiem Blick auf die Regierungsbank. Vor Beginn der Sitzung stand Scholz vor seinem Stuhl im Gespräch, als Wirtschaftsminister Robert Habeck durchs Plenum kam und sich am Kanzler vorbei zu seinem Platz schlängelte.
Selbst wenn man sein Gespräch nicht unterbrechen möchte, könnte man ja die Hand zu einem kurzen Gruß heben oder einmal freundlich nicken. Nichts. Scholz hat seinen Vize keines Blickes gewürdigt.
Der wird darüber hinwegkommen. Schließlich liegt er in den Beliebtheitswerten weit vor dem Kanzler. Und wenn sich mal wieder jemand darüber beklagt, dass Scholz nicht gut kommuniziere, bekommt er im nächsten Atemzug den promovierten Philosophen als leuchtendes Beispiel vorgehalten.
„Die Maßnahmen wirken“ – Scholz warnt dennoch vor dauerhafter Inflation
Ziel müsse es sein, den Inflationsdruck nachhaltig zu mindern, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch im Bundestag.
© Quelle: Reuters
Dabei hätte Scholz an diesem Morgen großzügig sein können. Er war für seine Rede zum Kanzleretat sehr gut präpariert – in seinem Manuskript standen die Flugabwehrwaffen für die Ukraine und der Vorstoß für die „konzertierte Aktion“ mit Gewerkschaften und Arbeitgebern im Kampf gegen die Inflation. Insgesamt ein starker Aufschlag.
Allerdings knirscht es derzeit in der Ampelkoalition. SPD, Grüne und Liberale müssen im parlamentarischen Alltag viel Kraft, Zeit und Disziplin aufwenden, um nicht vor dem nächsten Mikrofon oder der nächsten Kamera die Nerven zu verlieren und offen zu sagen, was sie wirklich übereinander denken. So wie es dem früheren verteidigungspolitischen Sprecher der FDP, Marcus Faber, passiert ist, der eine Sitzung des Verteidigungsausschusses aus Protest frühzeitig verließ und sich vor laufender Kamera darüber beklagte, dass der Kanzler die Fragen der Abgeordneten nicht beantwortet habe.
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Christian Lindner und Hubertus Heil freundlich zugewandt: Intern dagegen platzte Lindner zuletzt nach Heils Vorschlag für ein Klimageld der Kragen.
© Quelle: Getty Images
Zuletzt platzte Christian Lindner intern der Kragen, als er den Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil für ein Klimageld zur Kenntnis nehmen musste. Öffentlich beherrschte er sich so weit, dass er nur süffisant kundtat, er sei gespannt auf Heils Finanzierungsvorschläge. Dass Scholz nun am Mittwoch im Bundestag die Einhaltung der Schuldenbremse ab dem kommenden Jahr bekräftigte, freute den Finanzminister offensichtlich. Die Achse Scholz-Lindner, die auch schon vor der Ampelregierung bestand, funktioniert recht stabil.
Diskussion über Ukraine-Politik löst Schlagabtausch im Bundestag aus
Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Vorwurf etwa aus Reihen der Union zurückgewiesen, Deutschland liefere keine schweren Waffen an die Ukraine.
© Quelle: Reuters
Sie wird in den kommenden Monaten noch einer Belastungsprobe unterzogen werden. In den Fraktionen von SPD und Grünen gibt es zahlreiche Abgeordnete, die im Einhalten der Schuldenbremse keineswegs einen Selbstzweck sehen. Wirtschaftsminister Habeck gehört übrigens auch in dieses Lager.
Kurzum: Die Liste der teuren Ampelvorhaben ist lang. Das Geld ist inzwischen knapp, das es noch zu den Bedingungen des Finanzministers zu verteilen gibt. Für die einzelnen Parteien in der Ampelkoalition wird die Luft dünner, ihre Prestigevorhaben durchzubringen und ihre Wählerklientel zu bedienen.
Aus der Union ist übrigens immer wieder die Hoffnung zu vernehmen, die Ampel könne möglicherweise frühzeitig zerbrechen. Dass Vizekanzler Habeck in dieser Woche ausgerechnet dem CDU-Wirtschaftsrat einen Besuch abgestattet hat, nimmt man in der Union jedenfalls mit Genugtuung zur Kenntnis. Bereitet sich da etwa jemand auf den Tag x vor, an dem die Ampel zerbricht?
Bislang ist bei der Union eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Noch schaffen es die Ampelkoalitionäre, ihre gegenseitigen Abwehrreflexe zumindest in der Öffentlichkeit zu kaschieren. Stark ausgeprägt sind sie aber.
Bittere Wahrheit
Wir hatten eine sehr hitzige Debatte darüber, Putin anzurufen.
Kaja Kallas,
Premierministerin von Estland
Nicht alle in Europa sind glücklich darüber, dass der deutsche Bundeskanzler Scholz und der französische Präsident Macron immer wieder mit dem russischen Machthaber Putin telefonieren. Vor allem die Osteuropäer sehen in diesen Gesprächen keinen Sinn mehr, weil sich eben mit Putin nicht reden lasse und weil man mit ihm ohnehin keine verlässlichen Absprachen treffen könne. Andererseits sind Macron und Scholz wahrscheinlich die einzigen, die Putin noch spiegeln, wie die westliche Welt zu ihm steht. Nach mehr als 20 Jahren an der Macht hat er in Moskau nur noch Hofschranzen um sich herum. Und wer die Hoffnung auf einen Waffenstillstand noch nicht aufgegeben hat, sollte zumindest einen dünnen Gesprächsfaden aufrechterhalten.
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Kaja Kallas, Premierministerin von Estland, spricht zu Journalisten vor dem zweiten Tag eines außerordentlichen Treffens der Staats- und Regierungschefs der EU zur Erörterung der Themen Ukraine, Energie und Ernährungssicherheit im Europagebäude.
© Quelle: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Selbst im Umfeld der Finanzkrise 2008 war dem Umfrageinstitut Forsa zufolge der Blick der Bevölkerung auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht so pessimistisch wie in diesem Frühjahr seit Beginn des Ukraine-Kriegs. 56 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gaben in dieser Woche an, dass sie von weiter steigenden Preisen ausgehen. Eine Mehrheit von 65 Prozent meint, dass die Bundesregierung mehr tun müsse, um die Inflation zu bekämpfen. Ob der aktuelle Vorstoß von Scholz für eine „konzertierte Aktion“ gegen die Inflation durchschlagen wird, werden die kommenden Wochen zeigen. Der Kanzler könnte auf jeden Fall ein paar Erfolgsmeldungen gebrauchen. In dieser Woche ist seine SPD in der Sonntagsfrage unter 20 Prozent gesackt.
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