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Eilanträge vor Gericht gescheitert

„Tag X“ in Leipzig: Polizei spricht von „massiven Ausschreitungen” – Wasserwerfer einsatzbereit

Die Polizei fährt Wasserwerfer in Leipzig auf. Zuvor war es zu Ausschreitungen auf einer Demonstration für Versammlungsfreiheit in Leipzig gekommen.

Die Polizei fährt Wasserwerfer in Leipzig auf. Zuvor war es zu Ausschreitungen auf einer Demonstration für Versammlungsfreiheit in Leipzig gekommen.

Leipzig. Die Leipziger Polizei hat nach gewalttätigen Auseinandersetzungen bei einer Demonstration von „massiven Ausschreitungen” im Leipziger Süden gesprochen. Es hätten rund 1500 Teilnehmer an der Demonstration auf der Karl-Liebknecht-Straße teilgenommen, erklärte Polizeisprecher Olaf Hoppe in einem Videostatement am Samstagabend. „Darunter nach unser Einschätzung ein Drittel davon gewaltgeneigt oder gewaltsuchend.” Zunächst war von 1000 Teilnehmern die Rede – angemeldet waren 100. Das Motto der Demo war „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig”. Ein Teil der Demonstranten wurde von den Einsatzkräften eingekesselt.

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Zahlreiche Teilnehmer seien vermummt gewesen, so Hoppe. Dem Versammlungsleiter sei es nicht gelungen, die Auflagen für die Demonstration durchzusetzen. Laut Hoppe wurden die Beamten mit Steinen, Pyrotechnik und anderen Gegenständen beworfen, mehrere Polizisten wurden verletzt. Mehrere Wasserwerfer seien zwar in Stellung gebracht worden, aber nicht zum Einsatz gekommen. Die Lage am Abend sei „ruhig, aber angespannt”. Die Straftaten stellten schweren Landfriedensbruch dar, sagte Hoppe. Es gebe daher verschiedene Maßnahmen der Polizei.

Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde gegen Demo-Verbot ab

Die Situation hatte sich im Laufe des Nachmittags aufgeheizt. „Die Lage auf der Karl-Liebknecht-Straße wird unfriedlich. Unsere Kräfte werden immer wieder attackiert und mit Steinen/Pyrotechnik beworfen”, hatte die Polizei am Samstagabend bei Twitter geschrieben. Man appelliere an alle Personen dort, sich von Straftätern zu distanzieren und friedlich zu verhalten. „Unbeteiligte werden gebeten, den Bereich zu verlassen bzw. zu meiden.”

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Nach den Krawallen gab es Kritik der Linken am Vorgehen der Polizei. Ihr Parlamentsgeschäftsführer im sächsischen Landtag, Marco Böhme, warf der Polizei bei Twitter vor, sie habe die Lage durch das „faktische Verbot” eskalieren lassen. Die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz kritisierte die Entscheidung, die Demonstranten nicht laufen zu lassen. „Deeskalation sieht anders”, so die Politikerin bei Twitter. Das linksgerichtete Bündnis „Dresden Nazifrei” bezeichnete das Auftreten der Polizei als „martialisch”.

Die eigentlich erlaubte Demo unter dem Motto „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig" auf dem Alexis-Schumann-Platz geriet außer Kontrolle. Böller und Steine flogen, die Polizei umstellte den Platz.

Die eigentlich erlaubte Demo unter dem Motto „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig" auf dem Alexis-Schumann-Platz geriet außer Kontrolle. Böller und Steine flogen, die Polizei umstellte den Platz.

Die Stadt Leipzig hatte die „Tag X“-Demo der linksradikalen Szene verboten. Dieser Protestzug blieb auch nach einem Eilantrag verboten. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Verfassungsbeschwerde der Veranstalter nicht zur Entscheidung angenommen. Dennoch war die Polizei in Leipzig auf den Zulauf Tausender Menschen vorbereitet. So waren Kontrollstellen an Zufahrtswegen eingerichtet worden. Die Polizei Sachsen bekam Unterstützung aus elf anderen Bundesländern sowie von der Bundespolizei.

Bis zum Nachmittag war die Lage zunächst friedlich geblieben. Für die Polizei war der Samstag in Leipzig nicht nur wegen der linken Proteste ein Großeinsatztag. In der Stadt fanden zudem das Sachsenpokal-Finale, das Stadtfest sowie ein Konzert von Herbert Grönemeyer statt. An Zufahrtswegen in die Stadt sowie am Bahnhof gab es den ganzen Tag Kontrollstellen. Am frühen Samstagnachmittag brannten mehrere Fahrzeuge und Mülltonnen.

Urteil gegen Lina E.: Polizei bereitet sich vielerorts auf Großeinsatz vor

Zahlreiche Demonstranten sind nach dem Urteil in Leipzig auf der Straße – Steine und Flaschen fliegen auf Beamte, Barrikaden werden errichtet.

In linken Kreisen war bundesweit für die Solidaritäts-Demonstration am Samstag mobilisiert worden. Anlass ist das Urteil gegen Studentin Lina E. und drei Mitangeklagte wegen Überfällen auf vermeintliche oder tatsächliche Neonazis. Die 28-Jährige war am Mittwoch vom Oberlandesgericht Dresden wegen linker Gewalttaten zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Die Stadt hatte die Demo unter dem Motto „United we stand – Trotz alledem, autonomen Antifaschismus verteidigen!“ verboten. Grund waren Gewaltandrohungen in sozialen Netzwerken, die Gefahrenprognose der Polizei und Einschätzungen des Verfassungsschutzes. Beschwerden dagegen hatten vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg.

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Zwar gehe mit dem Verbot ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit einher, heißt es in einer Mitteilung des Oberverwaltungsgerichts. Er sei aber zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter zulässig. Die Stadt habe „einen zu erwartenden gewalttätigen Verlauf der Versammlung und damit eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ plausibel prognostiziert. So sei sehr wahrscheinlich, dass Teilnehmer Gewalt gegen Personen oder Sachen planten oder ein solches Verhalten anderer zumindest billigten.

Steine und Pyrotechnik: 23 verletzte Beamte am Freitag

Schon am Freitagabend hatten Vermummte Polizisten angegriffen. Nach dem zunächst friedlichen Verlauf einer Versammlung am Wiedebachplatz im Stadtteil Connewitz flogen aus einer Menge von bis zu 700 Vermummten heraus Steine und Pyrotechnik. Sowohl dort als auch in Nebenstraßen brannten Barrikaden aus Mülltonnen und Baustellenabsperrungen. Die Polizei setzte Tränengas ein und wurde nach eigenen Angaben von Hausdächern „mit Gegenständen beworfen“.

Überall im Leipziger Stadtteil Connewitz brannten am Freitagabend Barrikaden.

Überall im Leipziger Stadtteil Connewitz brannten am Freitagabend Barrikaden.

Die meisten brennenden Barrikaden waren kurz nach Mitternacht gelöscht, teils mit der Hilfe von Wasserwerfern. Nach ersten Erkenntnissen wurden 23 Beamte verletzt. Einer von ihnen musste im Krankenhaus behandelt werden. Ein Journalist sei von einer unbekannten Person attackiert und leicht verletzt worden. 17 Einsatzfahrzeuge der Polizei wurden beschädigt, acht Fahrzeuge waren in Brand gesetzt worden. Darunter seien auch Autos von Anwohnern gewesen, hieß es. Bis zum frühen Morgen habe es vier vorläufige Festnahmen unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs gegeben.

Leipzigs Oberbürgermeister besorgt um Sicherheit

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zeigte sich angesichts zahlreicher Gewaltaufrufe in sozialen Medien besorgt um die Sicherheit in der Messestadt.

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Antifa-Anhänger protestieren in Leipzig gegen die Verurteilung der Studentin Lina E. – teilweise gewaltsam.

Antifa-Anhänger protestieren in Leipzig gegen die Verurteilung der Studentin Lina E. – teilweise gewaltsam.

Zwar waren die meisten brennenden Barrikaden kurz nach Mitternacht gelöscht, teils mithilfe von Wasserwerfern. Im Verlauf der Nacht wurden laut Polizei aber weiter „Straftaten begangen“. Demnach wurden mehrere Beamte leicht verletzt, einer sei zur Behandlung ins Krankenhaus gekommen. Ein Journalist sei von einer unbekannten Person attackiert und leicht verletzt worden. Bis zum frühen Morgen habe es drei vorläufige Festnahmen wegen schweren Landfriedensbruchs gegeben.

Lina E. vorerst frei

Das Quartett um Lina E. war am Mittwoch vom Oberlandesgericht Dresden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden wegen Körperverletzung und Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Lina E., die seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft saß, kam nach der Urteilsverkündung vorläufig frei – zur Begründung verwies das Gericht auf eine Rheuma-Erkrankung der 28-Jährigen und eine Vorverurteilung infolge medialer Berichterstattung.

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Schon seit Freitag 18 Uhr galt in Leipzig ein sogenannter Kontrollbereich, der große Teile des Stadtgebiets im Osten, Süden und Westen umfasst. Dort kann die Polizei ohne besonderen Anlass Menschen anhalten und deren Personalien überprüfen. Auch der Anreiseverkehr auf den Straßen und am Hauptbahnhof solle kontrolliert werden, hatte die Polizei mitgeteilt.

Kritik an Vorgehen gegen Linken-Landtagsabgeordnete

Am Donnerstagabend geriet die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel als Anmelderin einer Jugenddemo am Kindertag in eine polizeiliche Maßnahme. Videobilder vom Vorgehen der Polizei lösten heftige Kritik aus. In den sozialen Netzwerken wurde der Polizei, dem Innenministerium und der Stadt Leipzig vorgeworfen, die Situation rund um den „Tag X“ zu eskalieren. Ein Polizeisprecher wies darauf hin, dass bei der Jugenddemo zahlreiche polizeifeindliche Sprüche gerufen worden seien.

Einen Tag vor dem sogenannten Tag X wurde im Leipziger Stadteil Connewitz zum sog. Massen Cornern aufgerufen. Am Abend kam es zu schweren Ausschreitungen.

Einen Tag vor dem sogenannten Tag X wurde im Leipziger Stadteil Connewitz zum sog. Massen Cornern aufgerufen. Am Abend kam es zu schweren Ausschreitungen.

Nach Polizeiangaben traf sich Nagel am Freitag mit dem Leipziger Polizeipräsidenten René Demmler und dem sächsischen Innenminister Armin Schuster (CDU) zum Gespräch. Dabei habe man sich sachlich und kritisch mit dem Polizeieinsatz am Donnerstag und der Versammlung auseinandergesetzt. Die Beteiligten seien sich einig gewesen, dass vor dem „Tag X“ Verunsicherung und Ängste vor Ausschreitungen bestünden und Deeskalation das Gebot der Stunde sein müsse. Auch Nagel forderte „Deeskalation auf allen Seiten“.

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Gegen die Verurteilung von Lina E. protestierten am Samstag Menschen aus der linken Szene in Freiburg. Zu Vorfällen sei es nicht gekommen, sagte ein Sprecher der Polizei. Zu der „Spontankundgebung“ war über Twitter aufgerufen worden. Die Veranstaltung fand unter dem Titel „Freiheit für Lina! Free All Antifas!“ statt. Etwa 50 bis 60 Teilnehmer waren dabei.

RND/dpa

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