Noch nichts passiert

Trotz Versprechens der Koalition: Saisonarbeiter immer noch mit schlechtem Gesundheitsschutz

Rumänische Erntehelfer pflücken auf einem "Gurkenflieger" Einlegegurken. Dank 5G könnte dieser Prozess bald vollautomatisiert ablaufen.

Rumänische Erntehelfer und ‑helferinnen pflücken Gurken in Brandenburg: Die Arbeit ist körperlich oft sehr belastend.

In der prallen Sonne Spargel stechen, auf den Knien Erdbeeren pflücken, schwere Kisten mit Äpfeln schleppen: Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter aus dem Ausland übernehmen oft die harte, körperliche Arbeit in deutschen Landwirtschaftsbetrieben. Trotzdem genießen sie nicht die gleichen Rechte wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen, kritisieren Arbeit­nehmervertreter.

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„Gerade zur Erntezeit sind die Helfer enormem Hitzestress und einer starken UV‑Strahlung ausgesetzt. Auch das akute Verletzungsrisiko in den Betrieben ist hoch“, sagt Ben Luig von der Initiative Faire Landarbeit, die in einem Bündnis mit der Gewerkschaft IG BAU ist. Lang­fristig drohten Krankheiten wie Hautkrebs durch die Sonne. „Wer aber nur kurzfristig in Deutsch­land beschäftigt ist, hat einen schlechten Krankenversicherungsschutz.“

Krankenversicherung für 38 Cent am Tag

Die Regelungen sind kompliziert: Wer weniger als drei Monate in Deutschland arbeitet, ist nicht sozialversicherungspflichtig. Die Helferinnen und Helfer müssen mit einem Dokument nachweisen, dass sie in ihrem Heimatland versichert sind. „Das ist aber selten der Fall“, so Ben Luig. Deshalb werden die kurzzeitig Angestellten der Bundesagentur für Arbeit gemeldet und meist eine private Gruppenversicherung für den Krankheitsfall abgeschlossen. Im Internet werden diese Versicherungen schon für 38 Cent pro Tag und Arbeiter angeboten.

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Entsprechend sind auch die Leistungen, so Luig: „Diese Versicherungen bieten kaum Schutz. Chronische Krankheiten sind nicht abgedeckt, und Beschäftigte können auf einem Teil der Behandlungskosten sitzen bleiben.“ Außerdem würden viele Arbeitgeber ihre Saisonkräfte schlicht nicht über ihre Rechte informieren und ihnen die Nachweise über ihre Versicherung nicht aushändigen. Diese wissen dann nicht, dass sie überhaupt einen Versicherungsschutz haben, sagt Ben Luig. „Es kommt auch immer wieder vor, dass Arbeiter im Falle einer Krank­heit einfach gekündigt und ins Heimatland zurückgeschickt werden.“

Mit dem Versprechen, die prekäre Situation der Erntehelferinnen und ‑helfer zu verbessern, war die Ampelregierung 2021 angetreten. Im Koalitionsvertrag findet sich folgender Satz: „Für Saisonbeschäftigte sorgen wir für den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag.“ Auf Nachfrage, welche Fortschritte nach über zwei Jahren gemacht oder welche Vorschläge ausgearbeitet wurden, antwortete das zustände Bundesgesundheitsministerium knapp: „Wie ein solcher Versicherungsschutz konkret gestaltet werden könnte, wird regierungsintern noch abgestimmt.“

Genau das stößt in der Opposition auf Kritik. Statt endlich zu handeln, werde zwischen den Ministerien „eine Verzögerungstaktik an den Tag gelegt“ und so die Interessen der industriellen Landwirtschaft nach billigen Arbeitskräften bedient, sagte die stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl dem RND. „Dieses unwürdige Spiel auf dem Rücken der Saisonbeschäftigten, die so oder so häufig von ausbeuterischen Arbeits­bedingungen betroffen sind, muss beendet werden“, so die Linken-Politikerin. „Der volle Krankenversicherungsschutz muss ab dem ersten Tag gelten, dazu muss die Ampel endlich gesetzgeberisch aktiv werden.“

Der Deutsche Bauernverband (DBV) hält die bestehenden Gruppenkrankenversicherungen für ausreichend. „Aus unserer Sicht ist eine neue Regelung nicht erforderlich“, sagte DBV‑General­sekretär Bernhard Krüsken auf RND‑Anfrage. Für nur vorübergehend in Deutsch­land Beschäftigte sei der Nutzen eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes gering, so Krüsken. „In den meisten Fällen werden wegen der kurzen Dauer des Aufenthalts in Deutsch­land etwa Präventions-, Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen nicht in Anspruch genommen werden.“ Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb ausländische Saisonkräfte mit einer Versicherungs- und Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung belastet werden sollen.

Die Grünen-Fraktion sieht das anders. „Gerade Saisonbeschäftigte brauchen ausreichend Schutz“, sagte die Arbeitsmarktpolitikerin Beate Müller-Gemmeke. Die Gruppen-Kranken­versicherungen der Landwirte reiche dafür nicht aus. „Deshalb wollen wir den Anspruch auf vollen Krankenversicherungsschutz durchsetzen.“

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