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ATACMS und GLSDB

Ukraine hofft auf zweiten Himars-Effekt: Warum die Russen vor diesen Raketen zittern

Auf diesem vom südkoreanischen Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellten Foto wird eine Rakete des Army Tactical Missile Systems (ATACMS) während einer gemeinsamen Militärübung zwischen den USA und Südkorea abgefeuert.

Auf diesem vom südkoreanischen Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellten Foto wird eine Rakete des Army Tactical Missile Systems (ATACMS) während einer gemeinsamen Militärübung zwischen den USA und Südkorea abgefeuert.

Es war ein Albtraum für die russischen Generäle, als die Ukraine im Sommer fast täglich mithilfe der westlichen Himars-Mehrfachraketenwerfer Munitionsdepots und Militärstützpunkte der russischen Truppen dem Erdboden gleichmachte. Ziele, die oft 50 bis 70 Kilometer von der Front entfernt lagen und erst mit der Lieferung der Himars erreicht werden konnten. Das präzise Waffensystem wurde zum Gamechanger für die ukrainische Armee und ermöglichte den Streitkräften erfolgreiche Offensiven im Spätsommer. Nun hofft die Ukraine auf neue Raketen und einen zweiten Himars-Effekt.

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Eigentlich sind es Kurzstrecken, um dies es geht. Doch wer glaubt, dass sie wegen ihrer vermeintlich „kurzen“ Distanz keinen Unterschied machen, der irrt sich gewaltig. Mit Reichweiten von 160 und 300 Kilometern fliegen diese Präzisionsraketen mindestens doppelt so weit wie die bisherigen Raketen für die Himars-Raketenwerfer – und lassen die Russen nun zittern.

Die Lieferung der ersten Raketen ist bereits beschlossene Sache: Die USA haben in der vergangenen Woche ein weiteres milliardenschweres Militärhilfspaket geschnürt, das Präzisionsraketen des Typs GLSDB enthält. „Die Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB) ist eine Boden-Boden-Waffe mit Raketenantrieb und einer Reichweite von etwa 160 Kilometern“, erklärt Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer im Gespräch mit dem RND. „Dieses System kann eine entscheidende Wirkung haben, da es die russischen Munitionsdepots oder Gefechtsstände zerstören kann.“

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Die GLSDB wird von Boeing und der schwedischen Saab-Gruppe produziert und ist laut Hersteller vergleichsweise günstig. Besonders praktisch für die ukrainische Armee an diesen Präzisionsraketen: Sie lassen sich von Himars- und MLRS-Waffensystemen abfeuern, die es in der Ukraine schon gibt und mit denen die ukrainischen Soldaten bereits Erfahrung haben. Außerdem können die Raketen noch während des Fluges ihre Richtung ändern. Den Russen bereitet die Rakete Sorgen. Sie stellt eine „ernsthafte Bedrohung“ dar, schrieb der Leiter des Zentrums für die Entwicklung von Verkehrstechnologien, Alexei Rogosin, in seinem Telegram-Kanal. „Das ist eine gewaltige Waffe.“

Der Militärexperte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München erklärt, dass die russische Armee Berichten zufolge viele ihrer Munitionsdepots 90 bis 120 Kilometer hinter der eigenen Frontlinie habe. „Damit sind sie außerhalb der Reichweite jener Raketen, die bislang von Himars oder Mars-II-Raketenwerfern liegen.“ Mit GLSDB könnten diese nun wieder erreicht und zerstört werden.

Doch die ukrainische Regierung setzt noch auf eine zweite Rakete mit noch viel größerer Reichweite: „Wir werden alles dafür tun, um vom Westen ATACMS und ähnliche Waffen zu erhalten“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende Januar in seiner täglichen Videoansprache. „Die Lieferung von Waffen zum Schutz vor russischem Terror darf kein Tabu sein.“ Die ATACMS (Army Tactical Missile System) fliegen bis zu 300 Kilometer weit und haben damit eine größere Reichweite als alles, was der Westen der Ukraine jemals geliefert hat. Die Ukraine bittet die USA seit Langem um diese Kurzstreckenrakete. Laut dem US-Magazin „Politico“ hatte Selenskyj sogar in einem persönlichen Gespräch mit US-Präsident Joe Biden am 21. Dezember in Washington um ATACMS gebeten – ohne Erfolg.

Die Ukrainer hätten völlig neue Möglichkeiten.

David Ochmanek,

Rand-Militärexperte

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Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Ukraine eines Tages auch diese Raketen erhalten wird. „Die Ukrainer hätten völlig neue Möglichkeiten“, sagt David Ochmanek vom US-Militärthinktank Rand in einem Pressegespräch. „Mit den ATACMS wäre die ukrainische Armee erstmals in der Lage, Ziele in einer Größenordnung zu bekämpfen, die weit über den Einsatzort der russischen Streitkräfte hinausgeht.“ Die ukrainische Armee könne Logistikdepots, Hauptquartiere und Truppenstützpunkte in 300 Kilometern Entfernung angreifen. „Das würde Russland empfindlich treffen und möglicherweise davon abhalten, weiterhin zivile Ziele in der Ukraine anzugreifen.“

ATACMS des US-Konzerns Lockheed Martin lassen sich ebenfalls von Himars-Fahrzeugen abfeuern, was sie für die Ukraine noch attraktiver macht. Auch andere Länder verfügen über ATACMS und könnten der Ukraine im Fall eines gemeinsamen Übereinkommens Raketen liefern, darunter Polen, Griechenland und Finnland.

Russland musste bereits mehrmals seine Logistik in der Ukraine umstellen, zuletzt, weil die Armee nicht mehr mit der Eisenbahn bis an die Frontlinie heranfahren konnte. Zu groß waren die Zerstörung und die Bedrohung durch die Artillerie der Ukraine. Die ATACMS würden der Ukraine erneut die Möglichkeit geben, Russland die Logistik lahmzulegen, sagt Militärexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Mit ATACMS kann die Ukraine Munition und Nachschub der Russen angreifen und deutlich erschweren“, so Mölling im Gespräch mit dem RND. Da Russland Munition, Treibstoff, Ausrüstung und Verpflegung nicht mehr per Bahn bis zur Front bringen könne, müsse alles auf Lastwagen verladen werden. „Mit einer Raketenartillerie von größerer Reichweite ist Russland gezwungen, den Umschlagort, wo Nachschub von der Eisenbahn auf Laster verladen werden, noch weiter ins Hinterland zu verlegen“, erklärt Mölling. Das könnte die russische Offensive verlangsamen.

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Militärexperte Mölling sieht aber noch einen zweiten Grund, warum ATACMS die Russen vor neue Herausforderungen stellen wird. „Die Raketen könnten Russland vor ein neues Dilemma stellen, weil die Ukraine den Angriff auf die Krim als militärische Option in der Hinterhand hat.“ Das bedeute zwar nicht gleich, dass die Ukraine auch die Krim einnehmen werde. „Aber die Ukraine kann die logistischen Versorgungsrouten der Krim und der russischen Soldaten im Süden der Ukraine angreifen.“

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Es gibt also viele Gründe, warum die Ukraine nach den GLSDB-Raketen nun um die noch reichweitenstärkeren ATACMS-Raketen bittet. Auf die russische Frühjahrsoffensive dürften diese Raketen allerdings keinen Einfluss haben. Denn es könnte noch Monate dauern, bis überhaupt die GLSDB in der Ukraine eintreffen. Sie müssen erst einmal beim Hersteller bestellt und produziert werden, genau wie die US-amerikanischen Abrams-Kampfpanzer.

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