Kommentar

Wo man den Bundespräsidenten auslädt, kann Scholz kaum hinfahren

Was treibt ihn an? Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, will den Bundespräsidenten nicht treffen.

Was treibt ihn an? Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, will den Bundespräsidenten nicht treffen.

Noch am Tag danach bleibt das politische Berlin wie vor den Kopf gestoßen. Noch immer versuchen sich Bundesregierung, Koalitionsparteien und Präsidialamt einen Reim auf den Affront zu machen, den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gegen das deutsche Staatsoberhaupt gesetzt hat: Frank-Walter Steinmeiner sei in Kiew nicht willkommen, hatte er wissen lassen – und dabei nicht allgemein gesprochen, wie noch in der Vorwoche der ukrainische Botschafter in seiner ungewohnt harschen Kritik an einer zu großen Russland-Nähe Steinmeiers.

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Schlimmer noch: Selenskyj reagierte auf konkrete Reisepläne Steinmeiers, der gemeinsam mit den Präsidenten von Polen und der Baltenrepubliken nach Kiew kommen wollte. Sprich: Der ukrainische Präsident hat den deutschen regelrecht ausgeladen. Klar ist: Damit steht nicht nur Steinmeier brüskiert da, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland insgesamt, ebenso Polens Präsident Andrzej Duda, auf dessen Initiative die Reise zurückgegangen war.

Putin kann sich freuen

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Der ukrainische Präsident hat seinem Land mit dieser Ausladung keinen Gefallen getan. Musste der russische Präsident Putin bislang fürchten, er könne den westlichen Zusammenhalt in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine – wider Erwarten – nicht knacken, so dürfte er sich über diesen Vorgang gefreut haben.

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Das westliche Bündnis mit Kiew zeigt Risse: Der langjährige Putin-Freund Viktor Orban ist in Ungarn zum Ministerpräsidenten wiedergewählt und erklärt bereits, dass er sich gegen EU-Sanktionen auf russisches Gas einsetzen wird – und dieses notfalls auch in Rubel zahlen würde, wie Putin sich das wünscht.

Steinmeier in Kiew nicht erwünscht: FDP-Vizechef Kubicki zeigt Verständnis

Eine geplante Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Kiew ist geplatzt, weil er dort offensichtlich nicht willkommen ist. Das sagt Kubicki dazu.

Und in Kiew tritt man zugleich den Polen auf die Füße, die bislang stets Antreiber für stärkere, auch militärische, Unterstützung der Ukraine waren, wie auch den Deutschen, die nach den USA ihr zweitgrößter Geldgeber waren und die sich nach Kräften um die Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge kümmern.

Zudem steckte die Viererrunde der Balten und Polen nun in einer Zwickmühle, was das Signal ihrer Reise nach Kiew betraf – und ist sie nun ohne Steinmeier angetreten.

Was sind Selenskyjs Motive?

So rätselt man in Berlin: Was also sind Selenskyjs Motive? Sicher haben die deutsche Politik und auch die deutsche Öffentlichkeit Verständnis dafür, dass der Anführer einer Nation im Krieg emotional reagiert, sich vielleicht auch irrational äußert. Nur war Selenskyj ja bisher durch eine sehr kluge und kalkulierte Öffentlichkeitsarbeit auch gegenüber den westlichen Parlamenten aufgefallen.

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Hat er also einfach die Hoffnung aufgegeben, dass Deutschland sich in Sachen Energieembargo oder Waffenlieferungen noch bewegen wird, und wollte das zeigen, indem er alle Diplomatie fahren lässt? Dann ginge es gar nicht um die Person Steinmeiers und dessen Russland-Nähe als Außenminister, sondern um die Politik der Bundesregierung.

Klar ist, dass man in Kiew enttäuscht über die Umfänge deutscher Waffenlieferungen ist und man den Bundeskanzler als Bremser empfindet, was ein Energieembargo gegen Russland betrifft. Hat Selenskyj also geglaubt, er könne so den Druck auf Olaf Scholz erhöhen?

Das wäre eine grobe Fehleinschätzung. Die Bundesregierung wird nicht dadurch anzutreiben sein, dass man das – bei den Deutschen laut Umfragen durchaus beliebte – Staatsoberhaupt zur unerwünschten Person erklärt und stattdessen den Kanzler einbestellt, um ihm die Leviten zu lesen und bei ihm zusätzliche Panzer ordern zu können.

Das Gegenteil ist der Fall. Hatte sich der innenpolitische Druck auf Scholz seit dem Wochenende gerade erhöht, er möge sich nach Ursula von der Leyen, Boris Johnson und Karl Nehammer auch endlich einmal in Kiew zeigen, und war die Kritik an seiner Zögerlichkeit gerade unüberhörbar geworden, so hat ihm Selenskyj nun die beste Begründung für einen weiteren Aufschub geliefert: Wo der höchste Repräsentant des Staates unerwünscht ist, kann sich der Kanzler nicht einbestellen lassen.

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SPD in Russland-Frage unsortiert

Dass die Kanzlerpartei SPD in der Russland-Frage noch immer unsortiert ist, war längst offenkundig. Das zeigte nicht nur manche SPD-Kritik am ukrainischen Botschafter und der Eiertanz um die Waffenlieferungen. SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht war noch am Wochenende als deutscher Beitrag gegen den russischen Angriffskrieg die Bemerkung wichtig, sie fühle sich langfristig der Abrüstung verpflichtet und wolle Deutschland als Friedensmacht sehen.

So ist es sicher richtig, dass die SPD einiges aufzuarbeiten hat, was ihren bisherigen Blick auf die Diktatur Wladimir Putins angeht. Allerdings darf man nicht vergessen, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung gute Kontakte zu Russland stets befürwortet hat – und dass Frank-Walter Steinmeier als Außenminister auch im russisch-ukrainischen Konflikt eine Vermittlerrolle eingenommen hat, die auf diese guten Kontakte gebaut hat. Zugleich hat Steinmeier früher als andere klare Worte gegen Putin gefunden und inzwischen auch selbstkritische Worte über frühere Fehleinschätzungen geäußert.

Eine schnelle kritische Aufarbeitung der Russland-Politik der großen Koalition, der früheren Kanzler Merkel und vor allem Schröder sowie der SPD insgesamt hat Selenskyj nun aber eher ausgebremst, statt sie zu beschleunigen.

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