US-Lob für deutsche Ukraine-Politik: das Sorgenkind als Musterschüler
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LHRCZQ2Q4VCAPNH7XA435SOKD4.jpg)
Damals sprach er das „Nord-Stream“-Wort noch nicht aus. Inzwischen hat Bundeskanzler Olaf Scholz – hier bei seinem Treffen mit US-Präsident Joe Biden vor knapp einem Monat – nach Einschätzung von US-Beobachtern eine Kehrtwende in der deutschen Russland-Politik hingelegt.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Washington. Es passiert nicht oft, dass Deutschland im Washingtoner Politikbetrieb gelobt wird. Lange galt Berlin als zögerlicher Bedenkenträger. Umso stärker ist der Eindruck, den Bundeskanzler Olaf Scholz auf der anderen Seite des Atlantiks mit seiner Regierungserklärung zum Ukraine-Krieg hinterlassen hat.
„Großartig! Danke Deutschland!“, twitterte Obamas einstiger Russland-Botschafter Michael McFaul, ein entschiedener Kreml-Falke, spontan. Der russische Präsident Wladimir Putin habe „versehentlich eine Revolution in Deutschland ausgelöst“, staunt Jeff Rathke, der Chef des American Institute for Contemporary German Studies an der renommierten Johns Hopkins Universität. Und Richard Haass, der konservative Präsident des Council of Foreign Relations, bekundet seine „Hochachtung vor dem neuen Kanzler und seiner Regierung“.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Nicht nur Haass hat angesichts der deutschen Unterstützung der Swift-Sanktionen, der Bereitstellung von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und der angekündigten Lieferung von Panzerabwehrwaffen und Stinger-Raketen an die Ukraine seine Meinung über Deutschland revidiert. Noch nach dem Scholz-Besuch im Weißen Haus hatte er moniert, dass Berlin weiter bei der Ostseepipeline Nord Stream 2 zaudere. „In wenigen Tagen hat sich Deutschland vom wackeligsten Verbündeten zum vollwertigen Partner entwickelt“, staunt er nun.
Die herkömmlichen Weisheiten werden widerlegt
„Überrascht und beeindruckt“, zeigt sich auch der Demokrat McFaul. Und Max Bergmann, der Europa-Experte beim linken Center for American Progress, wundert sich: „Nach herkömmlicher Auffassung ist Europa sehr zimperlich bei der Anwendung von ökonomischem Druck, und Deutschland ist besonders widerstrebend. Diese Weisheit hat sich als falsch erwiesen.“
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Tatsächlich hat Deutschland nach Einschätzung der „New York Times“ eine außenpolitische „180-Grad-Wende“ hingelegt. Jahrzehntelang habe das Land nach den Erfahrungen des Dritten Reiches militärischer Gewalt ablehnend gegenübergestanden. „Aber als sich Kanzler Olaf Scholz zum Handeln entschied, war die Kehrtwende des Landes rasant“, berichtet Berlin-Korrespondentin Melissa Eddy. Nun sei klar, dass sich Deutschland „nicht länger zurücklehnt und darauf vertraut, dass andere Länder für sein Gas oder seine Sicherheit sorgen“.
„Putin verliert Deutschland“
„Solche Worte hat man im Reichstag der Nachkriegsära noch nicht gehört“, heißt es im „Wall Street Journal“. Der Leitartikler des konservativen Blatts spricht von einer „Erleuchtung der deutschen Verteidigungs- und Außenpolitik“ durch Russlands brutalen Überfall auf die Ukraine. Berlin habe sich lange als Brücke zwischen Washington und Moskau gesehen. Nun gehe es „all-in on Nato“. Das sei ein schwerer Rückschlag für den russischen Präsidenten. „Putin verliert Deutschland“, ist der Kommentar überschrieben.
Deutlich nuancierter beschäftigt sich der Deutschland-Kenner Rathke in der Zeitschrift „Foreign Policy“ mit der Berliner Russland-Politik. „Innerhalb von sieben Tagen hat Deutschland sein größtes Projekt mit russischer Energie beerdigt, Sanktionen verhängt, die im eigenen Land spürbare Schmerzen bereiten dürften und sei auf einen Kurs gesteuert, der Deutschland die höchsten Verteidigungsausgaben in Europa auferlegen wird“, notiert Rathke anerkennend.
Scholz habe den transatlantischen Pfeiler der deutschen Politik gestärkt und Berlin als „stärkere Führungsmacht in Europa und für Jahrzehnte als Bollwerk gegen russische Einschüchterungen positioniert“. Mit einem unausgesprochenen Seitenhieb gegen die Republikaner im US-Senat merkt Rathke an: „Man darf gespannt sein, ob das die passionierten Deutschland-Kritiker in Washington zur Kenntnis nehmen werden.“