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Vor dem Parteitag Ende Juni in Erfurt

Gruppe um Sahra Wagenknecht startet „Aufruf für eine populäre Linke“

Sahra Wagenknecht von der Partei Die Linke während der Sitzung des Deutschen Bundestags am 12.05.2022 in Berlin.

Sahra Wagenknecht von der Partei Die Linke während der Sitzung des Deutschen Bundestags am 12.05.2022 in Berlin.

Berlin. Während in den letzten 14 Tagen verschiedene Linken-Politiker von sich Reden machten, indem sie ihre Kandidaturen für den Parteivorsitz bekannt gaben, war es um Sahra Wagenknecht kurzzeitig etwas still geworden. Jetzt greift die prominente Linken-Politikerin in die Führungs­debatte ein, wenn auch nur indirekt und ohne, dass Namen genannt werden.

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„Aufruf für eine populäre Linke“, heißt ein dreiseitiges Papier, das am Dienstag von einer Gruppe um Wagenknecht veröffentlicht und mutmaßlich von ihr selbst initiiert wurde. Es nennt einige Kernpunkte, um die sich die Partei aus Sicht der gut 80 Erst­unter­zeichner jetzt kümmern muss, „um politisch zu überleben“.

Linke ist schwer angeschlagen

Die Linke ist seit der Bundestagswahl 2021 und nach drei Landtags­wahlen in diesem Jahr, bei denen sie unter der 5‑Prozent-Hürde blieb, schwer angeschlagen. Sie will Ende Juni auf einem Parteitag in Erfurt ihre Spitze neu wählen und hofft dabei auf einen Befreiungs­schlag.

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Ausgehend von der These, dass die Linke „in einer existenziellen Krise“ steckt, stellt das Wagenknecht-Papier fest: „So wie bisher darf es nicht weitergehen – sonst verschwindet unsere Partei in der Bedeutungs­losigkeit“.

Wer jetzt einen revolutionären Neuansatz erwartet, sieht sich jedoch getäuscht. Die Forderungen nach Arbeit, sozialer Sicherheit, Gesund­heits­schutz und Bildung für alle sind nicht neu und stehen auch nicht im Widerspruch zu dem, was die amtierende Parteichefin Janine Wissler und der EU‑Abgeordnete Martin Schirdewan wollen, die beide Ende Juni auf dem Parteitag für den Parteivorsitz kandidieren.

Erfolgreiche Postfaschisten in Italien: Giorgia Melonis Marsch auf Rom

Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und hundert Jahre nach Benito Mussolinis Machtübernahme im Jahr 1922 ist eine postfaschistische Gruppierung – die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni – in den Umfragen stärkste Partei des Landes.

Auch den beiden anderen Kandidaten für das Parteispitzenamt, den Bundestags­abgeordneten Sören Pellmann und Heidi Reichinnek, liegt das Soziale am Herzen, wie sie bei der Bekanntgabe ihrer Kandidaturen deutlich machten. Aber während Reichinnek in ihrem Statement zur Bewerbung schreibt, des dürfe kein „Weiter-so“ geben und damit letztlich auch auf Wisslers Verantwortung für schlechte Wahl­ergebnisse abhebt, vermeidet das Wagenknecht-Papier den Eindruck einer Kampfansage und lässt Kritik an handelnden Personen nur indirekt mitschwingen.

Etwa wenn kritisch von einem „opportunistischen Streben nach Mitregieren um den Preis der Aufgabe linker Ziele“ die Rede ist und man bedenkt, dass beispielsweise Fraktionschef Dietmar Bartsch sich im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 zeitweilig für Rot-Rot-Grün ausgesprochen hatte. Bartsch gehört übrigens nicht zu den Unterzeichnern des Papiers, das quasi eine Rückbesinnung auf traditionelle linke Werte fordert: sich „für die Mehrheit der Bevölkerung“ einsetzen, sich nicht „nicht auf bestimmte Milieus verengen“.

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Wagenknecht hatte vor der Bundestagswahl in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ mit „Lifestyle-Linken“ abgerechnet, die die Bodenhaftung verloren hätten und „mit der sozialen Frage persönlich kaum in Kontakt geraten“. In dem dreiseitigen Aufruf klingen ähnliche Motive an, etwa wenn eine „allgemein verständliche Sprache“ gefordert wird. Wissler wollte sich auf RND-Anfrage nicht zu dem Papier äußern.

Im Herbst 2018 hatte Wagenknecht mit großem medialen Aufschlag die linke Sammlungs­bewegung Aufstehen initiiert, sich dann aber schon im März 2019 wieder zurückgezogen; das Projekt ist inzwischen tot. Den „Aufruf für eine populäre Linke“ als einen Neuanlauf in dieser Richtung zu sehen, würde das Papier überbewerten. „Es ist der Versuch, klarzustellen, was der Kern linker Politik sein muss, nämlich sich um die abhängig Beschäftigten, die Rentner und die Sozial­hilfe­empfänger zu kümmern“, sagte der ehemalige Parteichef und Erst­unterzeichner Klaus Ernst gegenüber dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

Der Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin Hoff, der Schirdewan nahesteht, sagte dem RND: „Es ist gut, dass sich viele Genossinnen und Genossen Gedanken über die Zukunft der Linken machen. Der Aufruf führt jedoch die Legende weiter, dass die Linke die Interessen ihrer Kern­wähler­schaft vergessen hätte. Dem widerspreche ich entschieden. Die Linke ist und bleibt die Gerechtigkeits­partei.“ Dies zeige sie dort, wo sie gemeinsam agiere, statt gegeneinander. In der Opposition genauso wie in der Regierungs­verantwortung.

Heidi Reichinnek sagte dem RND: „Mein Ziel ist, Parteivorsitzende für die gesamte Partei zu sein. Ich freue mich grundsätzlich über alle Initiativen von Genossinnen und Genossen, die gemeinsam für einen Aufschwung kämpfen wollen.“ In der letzten Zeit habe es ihres Wissens zwei weitere Aufrufe gegeben, sagte Reichinnek. Aus all diesen Papieren könne man positive Anregungen ziehen. „Im aktuellen Aufruf begrüße ich zum Beispiel einen stärkeren Fokus auf Nichtwähler. Menschen, die sich von der Politik abgewandt haben, müssen wir doch ein Angebot machen“, so Reichinnek.

Weitere Unterzeichner des Aufrufs sind unter anderen Co‑Fraktions­chefin Amira Mohamed Ali, die Abgeordneten Sevim Dagdelen und Andrej Hunko, der Friedensaktivist Willi van Ooyen und die Publizistin Luc Jochimsen oder die Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Simone Oldenburg.

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