Warum wir uns den Luxus der freien Arztwahl nicht mehr leisten können
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/SKL4LZXS3TG6EWIYPTXXLYSVR4.jpg)
Die Probleme im Gesundheitswesen sind groß: Langfristig wird sich das nur mit einer besseren Steuerung der Patienten lösen lassen.
© Quelle: dpa
Berlin. Die Ärzteschaft ist sauer auf Karl Lauterbach. Das ist an sich noch keine Nachricht, schließlich eckt der Gesundheitsminister mit seiner wenig durchdacht erscheinenden Politik bei fast allen Professionen im Gesundheitswesen an. Interessant ist der wichtigste Grund für den Ärger: Lauterbach lehnt es ab, die Honorierung für die Behandlung von Privatversicherten zu reformieren. Die finanziell lukrative Klientel, es handelt sich gerade einmal um ein Zehntel der Bevölkerung, ist Ärztepräsident Klaus Reinhardt so wichtig, dass er dem Thema in seiner Rede auf dem Ärztetag mehr Zeit widmete als der vorgesehenen Krankenhausreform, die die gesamte Bevölkerung betreffen wird.
Finanzielle Schieflage im Gesundheitswesen
Der Vorgang ist nicht nur unrühmlich für die Ärzteschaft, er ist auch bezeichnend für die Schieflage, die Debatten über das Gesundheitswesen erreicht haben. Es wird allenfalls über Details gesprochen, doch das große Ganze ist aus dem Blickfeld geraten. Jahrelang waren die Kosten kein Thema, schließlich sorgte der Boom beim Aufbau sozialversicherungspflichtiger Jobs in Deutschland zu sprudelnden Beitragseinnahmen auch in der Krankenversicherung. Mehrere Gesundheitsminister beschäftigten sich allein damit, die Leistungen für die Versicherten auszubauen und die Honorierung für alle Akteure anzuheben.
Doch jetzt ist das Jobwunder am Ende, weil der demografische Wandel in der gesamten Wirtschaft zu einem akuten Fachkräftemangel führt. Die Folgen sind mittlerweile sehr deutlich zu sehen: Die Ausgaben der Krankenkassen steigen schneller als die Einnahmen. Mit anderen Worten: Das Defizit wird von Jahr zu Jahr immer größer.
Freie Arztwahl ist für viele Menschen eine Belastung
Die Lösungsmöglichkeiten sind begrenzt: Höhere Krankenkassenbeiträge sind eine schlechte Variante, weil sie insbesondere die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen treffen. Höhere Steuerzuschüsse wären zwar begrüßenswert, werden aber von Finanzminister Christian Lindner strikt abgelehnt und scheiden daher realistischerweise in den kommenden Jahren aus. Leistungskürzungen schließt Lauterbach aus – wobei es tatsächlich keine sinnvollen Vorschläge gibt, was gestrichen werden soll. Sportunfälle? Damit würden auch Menschen getroffen, die sich im Vereinssport gesund halten. Übrig bleibt, die Versorgung der Bevölkerung effizienter zu gestalten. Das ist nicht nur aus Geldnot notwendig, sondern weil der Fachkräftemangel nicht vor dem medizinischen Personal haltmacht.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Der Newsletter mit persönlichen Eindrücken und Hintergründen aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Nötig ist neben einer umfassenden Krankenhausreform, die nicht wieder von den Bundesländern zerpflückt wird, auch eine Steuerung der Patientinnen und Patienten. Sinnvoll sind Modelle, bei denen der Hausarzt immer der erste Ansprechpartner ist und der bei einer Erkrankung einen Behandlungspfad entwickelt. Die in Deutschland so hoch gehaltene freie Arztwahl ist in Wahrheit für viele Menschen eine Belastung, weil sie sich im Gesundheitswesen nicht zurechtfinden und im Gegensatz zum Hausarzt des Vertrauens nicht wissen, wo sie richtig und sehr gut behandelt werden.
Wer dagegen die uneingeschränkte Wahlfreiheit behalten möchte, kann weiter eigenständig jeden Arzt aufsuchen, muss dann aber zuzahlen oder einen höheren Krankenkassenbeitrag tragen. Insofern geht der Vorschlag von Kassenärztechef Andreas Gassen und der Union, künftig in der Notaufnahme ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung eine Gebühr zu kassieren, in die richtige Richtung. Hier geht es – anders als von Sozialverbänden beklagt – nicht um eine Eintrittsgebühr oder ein Abkassieren. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wer die kostengünstigere Variante wählt, wird schneller und besser behandelt.