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Was hinter dem diplomatischen Fiasko zwischen Berlin und Kiew steckt

Bundeskanzler Olaf Scholz (links) traf Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, zuletzt Mitte Februar zu seinem Antrittsbesuch als Kanzle

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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kennen Sie das Spiel die Reise nach Jerusalem? Im Osten Deutschlands ist es auch als Stuhltanz oder Stuhlpolka bekannt – ein Klassiker auf Kindergeburtstagen. Alle laufen um eine Reihe von Stühlen herum. Es ist stets einer zu wenig da. Wenn die Musik stoppt, müssen sich alle schnell setzen. Wer keinen Stuhl findet und stehen bleibt, scheidet aus.

Bundeskanzler Olaf Scholz scheint es in der Frage, wann er nach Kiew reist, ein wenig wie bei dem Kinderspiel zu ergehen. In jeder Runde scheidet er frühzeitig aus. Erst wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom ukrainischen Präsidenten zurückgewiesen. Dann unternimmt niemand etwas, dieses diplomatische Fiasko zu reparieren. Das wiederum führt dazu, dass dem Kanzler und auch der Außenministerin Annalena Baerbock der nicht gereiste Steinmeier „im Wege“ sind, um selbst der ukrainischen Hauptstadt den längst fälligen Solidaritätsbesuch abzustatten. Und dann kommt auch noch der Spruch mit der „beleidigten Leberwurst“ dazu, den der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk gegen den Kanzler richtete.

„Steht der Sache im Weg“: Scholz reist wegen Steinmeier-Ausladung nicht in Ukraine

Der Bundeskanzler und SPD-Politiker betonte am Montag in der ZDF-Sendung „Was nun?“: Das könne man nicht machen.

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Nun ist der Krieg in der Ukraine viel größer, dramatischer und verheerender als die Streitereien zwischen Berlin und Kiew. Umso ratloser lässt es einen zurück, warum kein ernster Versuch unternommen wird, die diplomatischen Verstimmungen auszuräumen. Im Gegenteil: Sie werden von beiden Seiten weiter angeheizt. Scholz verweist im ZDF darauf, dass er nicht reisen kann, solange Steinmeier nicht erwünscht ist. Die Begründung ist nachvollziehbar, da Steinmeier eben unser Staatsoberhaupt ist und es nicht allein um den früheren SPD-Politiker mit zu großer Nähe zu Russland geht, sondern eben um den obersten Repräsentanten Deutschlands.

Andererseits hätte Scholz in diesem Interview auch mühelos eine Tür öffnen können für eine Beilegung des Streits. Hat er aber nicht, woraufhin Melnyk die beleidigte Leberwurst auftischte. Der Ausspruch ist eines Diplomaten wirklich unwürdig. Zumal er nicht wirklich eine Kritik in der Sache ist, sondern einfach nur dafür sorgt, dass ein vorhandener Graben nur tiefer wird. Die Jobbeschreibung eines Diplomaten sieht das Gegenteil vor.

Scholz kann nicht mit leeren Händen nach Kiew fahren

Kurzum: Es muss also Gründe geben, dass sich weder die deutsche noch die ukrainische Führung Mühe geben, eine Reise von Kanzler Scholz in die Ukraine zu ermöglichen. Scholz wird gar nicht scharf darauf sein, nach Kiew zu reisen. Denn anders als Oppositionsführer Friedrich Merz muss er mit Hilfen für die Ukraine im Gepäck reisen.

CDU-Chef in Kiew: „Auf unserem Land ruhen viele Hoffnungen“

Bei seinem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat CDU-Chef Merz auch ein unerwartetes Gespräch mit Präsident Selenskyj geführt.

Inzwischen hat sich Deutschland zwar entschlossen, mit dem Panzer Gepard und wahrscheinlich auch den Panzerhaubitzen 2000 der Ukraine schwere Waffen zur Verfügung zu stellen. Auf der Lieferantenliste der Westmächte rangiert Deutschland aber nach wie vor weit hinten. Aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass Deutschland seit Beginn des Krieges bis zum 21. April Waffen und Munition im Wert von etwas mehr als 190 Millionen Euro geliefert hat. Zum Vergleich: Die Amerikaner lieferten im gleichen Zeitraum Material im Wert von 3,5 Milliarden Euro und sogar das kleine Estland versorgte den Nachbarstaat mit Waffen im Wert von mehr als 200 Millionen Euro.

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Für die ukrainische Führung ist es also praktisch, den als zögerlich verschrienen deutschen Kanzler noch ein wenig zappeln zu lassen. So lange es durch einen Besuch von Scholz in Kiew keine symbolische Absolution für Deutschland gibt, steht die Regierung auch international, insbesondere bei den osteuropäischen Verbündeten unter Druck, endlich in die Puschen zu kommen.

Wahrscheinlich wird Außenministerin Baerbock das erste Regierungsmitglied sein, das im Krieg nach Kiew reist. Sie hat schon angekündigt, reisen zu wollen. Sie wird nicht mehr lange auf die düpierten Herren Steinmeier und Scholz Rücksicht nehmen wollen.

 

Bittere Wahrheit

So was kann man nicht im Fernsehen alleine nur sehen, das muss man gesehen haben, um die ganze Tragik solcher Angriffe zu erfassen.

Friedrich Merz,

CDU-Chef

Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, bei seinem Besuch in Irpin in der Ukraine.

Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, bei seinem Besuch in Irpin in der Ukraine.

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Klar hat Merz mit seinem Besuch in Kiew auch die Gelegenheit genutzt, die Bundesregierung vorzuführen. Aber die Lage ist viel zu ernst, um ihm nur Oppositionstaktik zu unterstellen. Der Besuch eines hochrangigen Vertreters aus Deutschland war überfällig. Und mit seinen Worten, dass man die Tragik der Angriffe erst erfassen kann, wenn man die Lage vor Ort gesehen hat, liegt Merz ja richtig. Eine dauerhafte Hilfe für die Ukraine, militärisch wie humanitär, lässt sich übrigens leichter leisten, wenn man diesen Krieg eben auch emotional an sich rankommen lässt.

 

Wie Demoskopen auf die Lage schauen

Der Krieg in der Ukraine ist in der öffentlichen Meinung weiter das absolut dominante Thema. In Sachen Waffenlieferungen macht sich Skepsis breit. Im aktuellen Bericht des Meinungsforschungsinstituts Forsa heißt es: „Waren Anfang April noch 60 Prozent der Bundesbürger für die Lieferung auch von schweren Waffen an die Ukraine, so ist dieser Anteil nach dem Beschluss des Bundestags auf 46 Prozent gesunken. Fast ebenso viele (44 Prozent) sind jetzt dagegen.“

Der Bundestagsbeschluss unter Führung der Ampelregierung zur Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine macht sich für die SPD offensichtlich nun auch dämpfend in den Umfragen bemerkbar:

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Das ist auch noch lesenswert

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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!

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Herzlichst

Ihre Eva Quadbeck

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