Schäden von 1,3 Billionen Euro: Worum geht es bei den Reparationsforderungen aus Polen?
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Blick auf das zerstörte Warschau im Jahr 1944. Mit der Vorstellung eines Gutachtens über die Höhe der im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden will Polen Entschädigungsforderungen an Deutschland Nachdruck verleihen.
© Quelle: EPU CAF/dpa
Warschau. Mit der Vorstellung eines Gutachtens über die Höhe der im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden hat Polen am Donnerstag Entschädigungsforderungen an Deutschland Nachdruck verliehen. Der Bericht einer 2017 eingesetzten Parlamentskommission umfasst über 500 Seiten und ist in neun Kapitel unterteilt. Dabei geht es unter anderem um die Bewertung menschlicher Verluste, materieller Zerstörungen und den Verlust von Kultur- und Kunstgütern.
Der Bericht beziffert den von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schaden auf rund 1,3 Billionen Euro. Nach früheren polnischen Schätzungen, die auf einer Bestandsaufnahme von 1946 plus Zinsen beruhten, beliefen sich die von Deutschland verursachten Kriegsschäden auf 800 Milliarden Euro.
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Worauf beziehen sich die polnischen Forderungen nach Entschädigung?
Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 war der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit mindestens 55 Millionen Toten – andere Schätzungen kommen sogar auf bis zu 80 Millionen. Genaue Zahlen gibt es nicht. Polen hatte gemessen an der Gesamtbevölkerung so viele Tote zu beklagen wie kein anderes Land. Vier bis sechs Millionen Polen kamen ums Leben – bis zu ein Fünftel der Bevölkerung. Auch der Grad der Zerstörung durch den Vernichtungskrieg der Nazis war vergleichsweise hoch. So wurde etwa die Hauptstadt Warschau fast vollständig zerstört.
Dietmar Nietan (SPD), Koordinator für die deutsch-polnische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt in Berlin, hat den 1. September als „Tag der Schuld und Scham für Deutschland“ bezeichnet. Der Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen mahne, die Verbrechen, die von Deutschland ausgingen, nicht zu vergessen. „Die grausamen deutschen Verbrechen wirken in Polen bis heute schmerzvoll im kollektiven Gedächtnis fort“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag in Berlin.
Nietan sagte, die gemeinsame Erinnerung an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte nehme einen wichtigen Platz in den deutsch-polnischen Beziehungen ein. „Dass wir heute Seite an Seite - als Freunde, Nachbarn und Partner - der Opfer gedenken, erfüllt mich mit Demut“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete und fügte hinzu: „Das verdanken wir der ausgestreckten Hand der Versöhnung durch Polinnen und Polen und ist Grundlage dafür, dass wir in einem vereinten Europa gemeinsam in die Zukunft blicken können.“
Hat Deutschland die Kriegsschuld denn nie beglichen?
Im Potsdamer Abkommen von 1945 einigten sich die vier Siegermächte, dass die Sowjetunion aus der sowjetischen Besatzungszone im Osten Deutschlands entschädigt wird und Polen einen Anteil zukommen lässt. Bis 1953 wurden nach Schätzungen etwa 3000 Betriebe in der DDR demontiert und zusätzlich Güter aus laufender Produktion abtransportiert. Die Regierung in Warschau argumentiert aber, dass Polen seinen Anteil durch Kohlelieferungen an die Sowjetunion habe ausgleichen müssen. Außerdem seien westliche Staaten wie Frankreich und die Niederlande deutlich besser behandelt worden.
Wie steht die Bundesregierung zu Reparationsforderungen aus Polen?
Aus Sicht der Bundesregierung ist das Reparationsthema mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit von 1990 rechtlich und politisch abgeschlossen. In dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik, der DDR und den vier ehemaligen Besatzungsmächten USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien sind Reparationen allerdings nicht ausdrücklich erwähnt. Außerdem waren zahlreiche von Nazi-Deutschland angegriffene und besetzte Staaten wie Griechenland und Polen an den Verhandlungen darüber nicht beteiligt.
Zuletzt wies Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Antrittsbesuch in Warschau im Dezember Polens Forderungen nach Weltkriegs-Reparationen zurück. Und er verwies darauf, dass Deutschland „sehr, sehr hohe Beiträge“ zur Finanzierung des EU-Haushalts leiste. Polen ist der größte Netto-Empfänger von EU-Geldern.
Warum veröffentlicht Polen seinen Bericht zu den Kriegsschäden genau jetzt?
Vertreter der nationalkonservativen Partei PiS, die seit 2015 in Polen regiert, haben das Thema Reparationsforderungen immer wieder aufgebracht. 2017 entstand auf Initiative der PiS eine Parlamentskommission, die einen Bericht zur geschätzten Höhe der Kriegsschäden erarbeiten sollte. Die Veröffentlichung dieses Gutachtens wurde zwar öfters angekündigt, aber immer wieder hinausgezögert. Im November gründete Polen zudem ein Forschungsinstitut für Kriegsschäden. Damals sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki, das Thema Entschädigung sei nicht vom Tisch, „weil Polen sehr schlecht behandelt wurde, indem es keine Reparationen erhalten hat.“
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Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bei einem Besuch in Prag.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Welche könnte sich die Vorstellung des Reparationsgutachtens auf das deutsch-polnische Verhältnis auswirken?
Noch ist nicht klar, ob die polnische Regierung das Gutachten nutzen wird, um eine konkrete Forderung nach einer Geldsumme an die Bundesregierung zu richten. Aber schon die Veröffentlichung des Berichts werde die deutsch-polnischen Beziehungen belasten, sagt Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt. „Die antideutsche Rhetorik der PiS-Regierung wird sich danach noch verschärfen.“
Dies habe vor allem innenpolitische Gründe: Die PiS habe schon die Parlamentswahl im Herbst 2023 vor Augen und hoffe, sich mit Stimmungsmache gegen Deutschland ihre Kernwählerschaft zu erhalten. Nicht nur in der deutschen Politik, auch in der deutschen Öffentlichkeit werde das auf Unverständnis stoßen. „Das schafft in Deutschland kein Vertrauen, aber dieses Vertrauen im deutsch-polnischen Verhältnis ist derzeit dringend notwendig, um der Ukraine gemeinsam zu helfen.“
Gibt es noch andere Reparationsforderungen an Deutschland?
Ja. Griechenland hat Deutschland Anfang Juni offiziell mit einer sogenannten Verbalnote offiziell zu Verhandlungen über Reparationen aufgefordert. Die Regierung in Athen - damals noch unter dem linken Regierungschef Alexis Tsipras – war dazu vom Parlament aufgefordert worden. Eine griechische Parlamentskommission hatte die Summe für die von Deutschland verursachten Schäden im Zweiten Weltkrieg zuvor auf 289 Milliarden Euro geschätzt - inklusive einer Zwangsanleihe, die Griechenland der Deutschen Reichsbank während des Kriegs gewähren musste. Der derzeitige konservative griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat sich die Forderung nach Verhandlungen zu eigen gemacht.
RND/dpa/epd/je