Gil Ofarim über Antisemitismus: „Anderen Betroffenen fehlt das Sprachrohr“
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Der Musiker Gil Ofarim. (Archiv)
© Quelle: imago images/Future Image
Hannover/München. Alles beginnt mit einem Video auf Instagram: Der Musiker Gil Ofarim macht dem Hotel Westin in Leipzig schwere Vorwürfe. Ein Mitarbeiter habe ihn aufgefordert, seinen Davidstern an einer Kette abzunehmen – erst dann habe er einchecken dürfen. Das Video hat inzwischen mehr als drei Millionen Aufrufe, es entbrennt eine riesige Debatte über Antisemitismus im Alltag, sogar internationale Medien berichten.
Heute, eine Woche später, blickt Ofarim mit gemischten Gefühlen auf die Ereignisse der vergangenen Tage, wie er im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland erklärt. „Ich freue mich, dass ich eine Debatte angestoßen habe – aber ich hoffe, dass sie nicht nach kurzer Zeit wieder verpufft“, so der Musiker.
„Es geschehen jeden Tag in Deutschland so viele verbale und körperliche Übergriffe, antisemitische Beleidigungen und Diskriminierungen an Menschen, die sich nicht zu helfen wissen“, sagt Ofarim. „Menschen, die wahrscheinlich auch die Klappe halten und kein Sprachrohr haben. Und die wenigsten bekommen von diesen Übergriffen etwas mit. Jetzt passiert es mal einem, der eine etwas größere Reichweite hat, und der wird dann gehört.“
„Antisemitismus ist salonfähiger geworden“
Laut Ofarim sei Antisemitismus in den vergangenen Jahren nie weg gewesen – zuletzt aber spürbar salonfähiger geworden. „Ich bin säkularer Jude, ich bin weder streng gläubig noch fromm noch orthodox noch geh‘ ich einmal die Woche in die Synagoge noch trage ich jeden Tag eine Kippa. Und trotzdem wurde ich verbal angegangen. Wie muss es erst Menschen gehen, die diese Religion leben, die beispielsweise Kippa tragen? Die ständig angefeindet und sogar körperlich angegangen werden?“
Am Dienstag wird Ofarim nun seine Zeugenaussage gegenüber der Polizei machen. Dafür werden die ermittelnden Polizeibeamten und die Staatsanwaltschaft von Leipzig nach München reisen, wie Ofarim erklärt. Gleichzeitig wolle er dann auch Anzeige gegen den beschuldigten Hotelmitarbeiter stellen.
„Angriff aus der Mitte der Gesellschaft“
Der Rezeptionist selbst hatte bereits vorab Anzeige gegen Ofarim gestellt – wegen Verleumdung und Bedrohung. Das Westin in Leipzig hat inzwischen eigene Ermittlungen angestellt, um den Fall zu klären. So sollen etwa Zeugen befragt werden, die sich am besagten Abend in der Schlange an der Rezeption aufgehalten haben.
Ofarim sagt dazu: „Ich kann nur sagen: Mir ist der Fall genau so widerfahren, und ich bin nach wie vor sprachlos und schockiert darüber. Weil dieser Angriff nicht von rechts außen oder links außen kam, sondern aus der Mitte der Gesellschaft. Und dann auch noch in einem Hotel. Ein Ort, an dem jeden Tag Menschen aus aller Welt einchecken und der eigentlich für Weltoffenheit stehen sollte. Dass es ausgerechnet dort passiert, hätte ich einfach nicht gedacht.“
Das Interview in voller Länge lesen Sie hier.
RND/msc