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Designer Guido Maria Kretschmer: „Ich falle genauso auf Verkäufer rein wie jeder andere“

Designer Guido Maria Kretschmer steht seit zehn Jahren für „Shopping Queen“ vor der Kamera.

Designer Guido Maria Kretschmer steht seit zehn Jahren für „Shopping Queen“ vor der Kamera.

Seit zehn Jahren beurteilt Designer Guido Maria Kretschmer den Geschmack der Deutschen im TV – nun feiert „Shopping Queen“ Jubiläum. Im Gespräch mit dem RND spricht der Wahl-Hamburger darüber, ob man Geschmack lernen kann, wie oft er um seine Meinung gebeten wird und warum man in der Modebranche mit nur einem Fehler seine Existenz zerstören kann.

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Herr Kretschmer, seit zehn Jahren stehen Sie für „Shopping Queen“ vor der Kamera. Wie ist ihr Eindruck: Wie gut kann Deutschland Mode und wie viel Stil haben wir?

Kretschmer: Ich finde uns gar nicht schlecht. Deutsche Mode wird oft so kritisiert, wir Deutschen haben angeblich keinen Geschmack. Das sehe ich nicht so. Es gibt auch viele Ecken in Frankreich, wo die Leute nicht immer perfekt angezogen sind. Es ist natürlich in manchen Regionen der Welt leichter, seinen Körper in Szene zu setzen: wenn es wärmer ist, kann man andere Kleidung tragen als in Ländern, wo man mehrere Schichten übereinander ziehen muss.

Macht es in Stilfragen heute noch einen Unterschied, ob man in einer Metropole oder auf dem Land wohnt?

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Kretschmer: Nein. Da muss ich echt mal eine Lanze brechen: Es heißt ja manchmal, die in der Stadt kennen sich mit Mode aus und die auf dem Land haben keinen Geschmack – das ist wirklich Quatsch. Ich habe für die nächste Staffel auch kleine Städte auf der Liste, in denen man tolle Mode kaufen kann. Es gibt so viel Kompetenz in diesem Land, so viele gute Berater. Klar ist es auf dem Land vielleicht manchmal schwieriger, einen guten Laden zu finden, aber es gibt sie – und die Leute können genauso einen guten Geschmack beweisen.

Kann man Geschmack eigentlich lernen?

Kretschmer: Es gibt ein Grundgefühl für Ästhetik, das ist angeboren. Also ein Gefühl für Symmetrie und auch für Irritationen, wenn etwas nicht optisch funktioniert. Das ist etwas, was man in sich trägt. Das muss aber auch gefördert werden. Macht man das nicht, geht es verloren. Man kann aber genauso aus einem sehr schlecht dekorierten Elternhaus kommen und trotzdem sehr hübsch durch die Gegend laufen. Das ist deutlich schwerer, weil man mehr lernen muss. Wichtig ist, dass man sich für Dinge begeistern kann. Das muss man noch nicht mal von den Eltern lernen, das können auch andere Personen, Filme oder Magazine in einem auslösen und beibehalten. Man kann einen guten Geschmack aber auch sehr schnell wieder verlieren, es gibt keine Garantie, dass dieses Gefühl für immer bleibt.

Wie ist das, wenn Sie selbst shoppen gehen: Trauen sich Verkäufer überhaupt, Sie zu beraten?

Kretschmer: Das Schlimme ist: Ich lasse mir wirklich alles andrehen (lacht). Ich war mal vor einiger Zeit an einem sehr kalten Tag in Leipzig, weil ich einen Adventskalender einweihen sollte. Dummerweise hatte ich meine Jacke vergessen und musste mir dann schnell vor Ort eine besorgen. In einem Geschäft hat mir dann ein Verkäufer den teuersten Mantel meines Lebens angedreht. Er hat mir noch erzählt, es handele sich da um ein ganz besonderes Model mit Thermofutter, einer ganz neuen Technologie bei kalten Temperaturen. Als ich dann 1,5 Stunden bei dem Termin in der Kälte stand, habe ich gemerkt, dass alles, was der mir erzählt hat, eine Lüge war. Ich falle also genauso auf Berater rein wie jeder andere auch (lacht).

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Wie viel Ruhe haben Sie denn beim Shoppen, bis Sie jemand erkennt und anspricht?

Kretschmer: Es ist schon wirklich so, dass die Leute in den Läden die Kabinen aufreißen und fragen: „Guido, kann ich das tragen?“, „Kann ich das zur Hochzeit meiner Schwester anziehen?“ oder „Wie viel Punkte bekomme ich dafür?“. An der Kasse bin ich auch schon gefragt worden: „Ist es das Geld wert?“ Das passiert ständig.

Ist das auf Dauer nicht sehr anstrengend?

Kretschmer: Ich finde das lustig. Und es ist ja auch nett, dass die Leute meinen Einschätzungen so vertrauen. Manchmal geht das sogar noch viel weiter. Mir hat ein Mann mal zwei Fotos geschickt und 20 Euro beigelegt mit der Bitte, einzuschätzen, welche von beiden Damen er als Sekretärin einstellen soll. Die 20 Euro habe ich ihm zurück geschickt und ihm geantwortet, dass er nicht die mit dem besseren Outfit, sondern die mit dem besseren Herz nehmen soll. Oder in einem anderen Fall hat mir eine Frau ein Foto von der Freundin ihres Sohnes geschickt und meinte: „Bitte sagen Sie auch, dass die Frau billig aussieht. Die ist doch nichts für meinen Rüdiger.“ Da tat mir die Schwiegertochter schon sehr leid. Ich hab‘ ihr dann geschrieben, dass sie ihr eine Chance geben soll.

Die Mode hat sich in den vergangenen Jahren verändert: Geschlechtergrenzen wurden aufgebrochen, Plus-Size-Mode ist mehr in den Läden vertreten. Ist die Arbeit für Designer schwieriger geworden?

Kretschmer: Die Möglichkeiten, Mode zu machen, sind weiter UND enger geworden. Weiter geworden, weil so viel mehr möglich ist. Bei Jungdesignern gibt es die Geschlechtergrenzen oft gar nicht mehr, es gibt nicht mehr nur „Mode für Frauen“ und „Mode für Männer“. Ich bin weiterhin der Meinung, dass es da noch einen Unterschied gibt, weil die Körper ja schon unterschiedlich sind: Eine Brust macht nun mal eine andere Form in einem Outfit, als wenn man keine hat. Aber klar, die Intention dahinter hat sich verändert: Jeder kann alles tragen. Eins hat sich aber grundlegend geändert: die Zeit der Bestellungen und der Einkäufe. Heute will man einen Wintermantel haben, wenn es kalt ist. Früher hat man im Sommer schon die Herbstmode gekauft. Die Mode war immer sehr zeitversetzt, ich habe die Sommermode im Winter entworfen und umgekehrt. Dieses antizyklische Arbeiten machen wir Designer weiterhin, aber der Markt macht das nicht mehr mit. Wenn der Herbst warm bleibt, dann verkaufen wir nicht die Ware, die sonst im Herbst weggehen würde. Und wenn es dann plötzlich doch kalt wird, dann steigt mit einem Mal die Nachfrage so enorm, dass wir viel kurzfristig viel mehr produzieren müssen und die Preise fallen. Das ist für die Branche und die Nachhaltigkeit sehr schlecht.

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Ist die Onlinebranche Fluch oder Segen für die Mode?

Kretschmer: Für die Nachhaltigkeit ist das Onlinegeschäft oftmals schwierig. Die Menschen gehen nicht mehr hin und probieren im Laden die Größen durch. Sie bestellen online gleich zehn Outfits nach Hause, obwohl sie nur eins brauchen. Manchmal probieren sie es an, manchmal tragen sie es sogar und geben es dann benutzt zurück. Wir Designer müssen die Ware dann oft entsorgen, weil sie als getragen gilt. Das zerstört Existenzen.

Welchen Wunsch haben Sie da als Designer?

Kretschmer: Ich appelliere da immer an die Vernunft: Wenn ihr wirklich nachhaltig sein wollt, geht es nicht darum, dass ihr nichts Neues mehr kauft oder nicht online einkauft, sondern darum, dass ihr im Vorfeld schon bewusster aussucht.

Welchen Einfluss hatte Corona auf die Mode?

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Kretschmer: Die Grenzen, wann man was trägt, haben sich verschoben. Der Casual Look wurde durch Homeoffice wieder sehr beliebt. Dadurch wurden ja plötzlich statt Casual Fridays Formal Fridays eingeführt, damit man sich zumindest am Freitag mal wieder etwas schicker anzieht als den Rest der Woche. In der Pandemie sind auch Dinge nahezu ganz weggefallen: Anlassmode zum Beispiel, Glamour und hohe Absätze. Das revidiert sich aber langsam wieder. Aber Corona war natürlich für viele Geschäfte finanziell ein Desaster, wenn man nicht auf Online- und stationären Handel gesetzt hatte. Die Modebranche ist aus meiner Sicht eh die mit einem besonders harten Reglement. Man kann vielleicht länger ein schlechter Zahnarzt oder Gynäkologe sein, aber in der Mode ist mit einem Fehler alles vorbei. Eine schlechte Kollektion, ein billiger Produzent und du bist ruiniert. Mit jeder Kollektion fängst du bei null an und musst dich neu beweisen. Der Druck ist enorm.

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