„Rassismus-Inception“: Dieter Nuhr blamiert sich mit Buchkritik und gesteht Fehler ein
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Dieter Nuhr hat in seiner Fernsehsendung ein Buch kritisiert – das er jedoch offenbar nicht selbst gelesen hat. (Archivbild)
© Quelle: imago images/Future Image
Berlin. Wussten Sie, dass ausgerechnet das scheinintellektuelle Buch einer deutschen Autorin mitschuldig am Aufstieg von Donald Trump ist? Wussten Sie nicht? Stimmt auch nicht. Aber ungefähr so klingt eine Pointe von Dieter Nuhr, die er am Donnerstagabend seinen Zuschauern in der Sendung „Nuhr im Ersten“ präsentierte.
In dem Stück – gesendet zwischen Auftritten von Wolfgang Trepper und Simone Solga – versucht Nuhr zu ergründen, warum Millionen Amerikaner schon wieder Donald Trump gewählt haben. Nach einem kleinen Exkurs kommt er zu der These: Wahrscheinlich sind die Linken schuld.
Als Beleg für diese Annahme präsentiert Nuhr ein Buch, das ihm am Flughafen angeboten worden sei. Es trage den Titel „Was Weiße über Rassismus nicht hören wollen“ – das Buchcover wird auf einem Bildschirm eingeblendet. Das Buch hätte ihn „vielleicht sogar interessiert“, so Nuhr. „Aber mir war der Titel ein bisschen zu rassistisch. Zu glauben, die Hautfarbe (ob weiß oder schwarz egal) bringe automatisch eine bestimmte Haltung mit sich. Das ist ja klassischer Rassismus.“
Dann spricht Nuhr über die Autorin des Buches: „Die Frau behauptet ernsthaft, als Weißer wäre ich automatisch Rassist. Und das wird in den USA ernsthaft so diskutiert. Das Buch war in den USA ein Riesenrenner. Und ehrlich gesagt glaube ich, dass diese Form der Scheinintellektualität einer arroganten Linken maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass es so etwas wie Donald Trump geben konnte.“
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Buch ist gar nicht in den USA erschienen
Nun gibt an der ganzen Sache einen kleinen Haken. Denn das Buch, das Nuhr in seinem Stück beschreibt, stammt gar nicht aus den USA. Es war dort auch kein „Riesenrenner“, im Gegenteil: Es ist dort bislang nicht einmal erschienen. Der Titel des Buches lautet, anders als von Nuhr vorgetragen: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten.“ Und die Autorin des Buches, nämlich Alice Hasters, kommt aus Köln.
Hasters Buch hatte sich nach seinem Erscheinen im September vergangenen Jahres zum Bestseller entwickelt, der auch häufig an Flughäfen und Bahnhofsbuchhandlungen ausliegt. In dem autobiografischen Buch klärt die Autorin darüber auf, wie Rassismus ihren Alltag als schwarze Frau in Deutschland prägt. Denn Rassismus, so Hasters, sei nicht nur ein Problem am rechten Rand der Gesellschaft.
Für Dieter Nuhr ist diese Tatsache gleich doppelt unglücklich. Denn er bespricht in seiner Fernsehsendung sehr offensichtlich ein Buch, das er selbst gar nicht gelesen hat. Zugleich offenbart er genau das, was in dem Buch beschrieben wird: Er tritt in ein Rassismusfettnäpfchen, ohne das überhaupt zu merken – indem er die schwarze Autorin Alice Hasters in den USA verortet.
„Rassismus-Inception“
Auf Twitter sorgt die Sequenz aus der Sendung verlässlich für einen gehörigen Backlash. Hasters twitterte am Abend süffisant: „Wusstet ihr schon, dass mein Buch in den USA ein ‚Riesenrenner‘ war?“
Und die Autorin Samira El Ouassil postete einen Ausschnitt aus der Nuhr-Sendung, den sie mit folgenden Worten überschrieb: „Das ist wirklich der formvollendete Dunning-Kruger-Effekt der eigenen Blindfleckigkeit und belegt ironischerweise fantastisch, warum Alice Hasters' Buch notwendig ist, und ich hoffe, dass nach Nuhrs komplett stumpfsinniger Kritik die aktuelle Auflage morgen ausverkauft ist.“
„Weißt du, was der Treppenwitz ist?“, analysiert die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl, „er raunt etwas von ‚Riesenrenner in den USA‘ (...), weil er vermutet, dass das eine deutsche Übersetzung ist. Weil er Alice Hasters in den USA verortet. So viel dazu. Er hätte das Buch besser gelesen.“ „Zusätzlich witzig, weil er offensichtlich nicht hören will, was drin steht, und somit den Titel belegt“, ergänzt Marina Weisband. Für El Ouassil ist die Sache einfach nur „ein unfassbares rassinception“.
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Der Twitter-Nutzer @surfgard analysiert: „Weißer Mann, der von einem Buch nur den Titel kennt und die deutsche Autorin aufgrund Name und Hautfarbe für eine US-Amerikanerin hält, kritisiert die Arroganz der Behauptung, er wolle etwas über Rassismus nicht wissen, als rassistisch. Keine Pointe.“ Und Hazel Brugger kommentiert: „Lesen bildet (aber man muss die Bücher lesen und nicht an ihnen vorbeilaufen und sich danach einreden, dass man zu gebildet sei, um sie zu lesen).“
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Verleger äußert sich
Auch Jo Lendle, Verleger des Carl-Hanser-Verlages, in dem Hasters' Buch erscheinen ist, äußerte sich auf Facebook. Lieber Dieter Nuhr, in Ihrer gestrigen Sendung haben Sie sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Sie hatten die originelle Idee, einem Buch Rassismus an Weißen vorzuwerfen. Und zwar wegen seines Titels (...), schreibt Lendle.
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„Erfrischenderweise waren Sie so freundlich, darauf aufmerksam zu machen, das Buch sei in den USA ein ‚riesen Renner‘. Wird schon so sein, dachten Sie sich (und Ihrer Redaktion ging es nicht anders). Immerhin hat man viel von dem Buch gehört, und dieses Black-Lives-Ding ist doch da drüben. Aber, lieber Nuhr, das ist alles nur in Ihrem Kopf. Der Rassismus ist hier, Sie baden gerade Ihre Hände darin. Das Buch ist zwar tatsächlich ein ‚Riesenrenner‘. Aber eben bei uns. Alice Hasters ist eine deutsche Autorin, sie hat es auf Deutsch geschrieben, die englischen Rechte haben wir leider noch nicht verkauft. Rassismus ist nah. Horchen Sie mal ganz aufmerksam in sich rein. Irgendwo in diesem leeren, hallenden Raum macht er ganz leise Pieps."
Dann kündigt Lendle an, Nuhr das Buch zuzuschicken: „Sie wollen ja immer gerne was entlarven. Wie wäre es mal mit etwas anderem als Ihren Vorurteilen? Das Buch ist in der Post zu Ihnen.“
Nuhr: „Habe mich falsch ausgedrückt“
Für Dieter Nuhr selbst ist die Sache übrigens ein Missverständnis – und „große Aufregung“, wie der Kabarettist am Morgen auf seiner Facebook-Seite schrieb. „In meiner Sendung habe ich erzählt, dass ich am Flughafen ein Buch mit dem Titel ‚Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten‘ gesehen habe. Ich habe zudem gesagt: ‚Dieses Buch war in den USA ein großer Renner.‘ Ich hatte mich falsch ausgedrückt“, gibt Nuhr zu.
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„Sagen wollte ich eigentlich: SOLCHE Bücher sind gerade in den USA ein großer Renner. Darüber gab es nun riesige Diskussionen, weil das Buch in den USA gar nicht erschienen ist. Was eigentlich Diskussionen hätte auslösen SOLLEN, bleibt allerdings, dass der Titel meines Erachtens Menschen eine bestimmte Denkart aufgrund von Hautfarbe unterstellt. Völlig berechtigte Empörung über Rassismus gegenüber schwarzen Menschen sollte meines Erachtens nicht mit pauschalen Vorurteilen gegenüber Weißen beantwortet werden. Das vertieft nur die Gräben.“
Das erste „Missverständnis“ dieser Art ist der Fall derweil nicht: Nuhr hatte zuletzt immer wieder mit seinen provokanten Aussagen für Diskussionen gesorgt, etwa mit seinen Sticheleien gegen die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Mehrfach sprach Nuhr zuletzt von einer angeblichen „Cancel Culture“, die unbequeme Meinungen wie seine unterdrücken wolle. Zuletzt hatte der Kabarettist Shitstorms im Netz mit „Pogromen“ verglichen.