Trauer um Tina Turner

Ein Mädchen aus Tennessee umarmte die Welt

Tina Turner bei einem Konzert in Oslo im Jahre 1987.

Tina Turner bei einem Konzert in Oslo im Jahre 1987.

Die Welt trauert um eine der bekanntesten und erfolgreichsten Sängerinnen überhaupt: Tina Turner ist tot. Die Sängerin starb im Alter von 83 Jahren in ihrem Haus in Küsnacht in der Nähe von Zürich, wie ihr Management am Mittwoch mitteilte.

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Nur „T. Turner“ stand 1973 als Autorenangabe auf der Single unter dem Titel „Nutbush City Limits“ – bis heute ist der Song der Klassiker des Duos Ike und Tina Turner. Und bei ihrem anderen Superhit „River Deep, Mountain High“ war zwar auch Ike auf dem Cover erwähnt, aber für die Aufnahme hatte Produzent Phil Spector nur Tina ins Studio bestellt. Solche Zurücksetzungen ertrug der ehrgeizige und eifersüchtige Bandleader und Ehemann Ike Turner nicht gut. Wenn Leute ihr Talent hervorhoben und seines übersahen, musste Tina das büßen. Ausgleichende Gerechtigkeit: Der Name jenes gewalttätigen, 2007 verstorbenen Studio- und Haustyrannen ist nur noch eine Fußnote der Rockgeschichte, der seiner Ex-Frau, die jetzt im Alter von 83 Jahren starb, wird bis in alle Ewigkeit mit dem Attribut „Superstar“ geführt werden.

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Tina Turner hieß eigentlich Annie Mae Bullock und kam aus dem winzigen Örtchen Nutbush, dessen vor allem für Schwarze enge „Grenzen“ sie in „Nutbush City Limits“ besang. Sie war die Tochter einer Mussehe, ein Mädchen aus den Bergen von Tennessee, aus einer Baptistengemeinde der Vierzigerjahre. Als sie zehn war, verließ ihre Mutter die Familie und zog nach St. Louis. Diese Selbstbefreiung erschütterte Tina zunächst: „Ich kam mir vor wie ein Außenseiter, als wäre ich die Einzige von meiner Art“, schrieb sie 1990 in ihrer Autobiografie „Ich, Tina“. Später versöhnte sie sich, besuchte Mama Zelma in der Stadt am Mississippi.

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13 war sie, da gab auch der Vater die Familie auf. Er ging nach Detroit, ließ sie und ihre Schwester Alline bei einer Cousine zurück. Aus ebendieser Erfahrung heraus blieb Tina später bei Ike – ihren Söhnen Craig und Ronald und den beiden Ziehkindern Ike junior und Michael zuliebe. Die Geschichte sollte sich nicht wiederholen, die Kinder sollten Liebe spüren. Ein Selbstopfer. „Die Liebe habe ich nicht gefunden. Aber ich habe überlebt“, gestand sie später in einem Interview. „Ich bin eine überlebende Seele“, sang sie auch im Song „I Might Have Been Queen“.

Den Künstlernamen hatte sie von Ike verpasst bekommen, der sie entdeckte. Als Ike und Tina Turner waren sie ab 1959 eine Klasse für sich, schon 1960 hatten sie mit „A Fool for Love“ den ersten US-Hit. Als Tina sich 1976 endlich von ihm losriss und all seine Schulden übernahm, folgten bis 1983 Jahre des Tingeltangels. „Nie aufgeben, immer alles geben“, mit diesem Motto überstand sie die harten Zeiten.

„Tina explodierte, als wäre es ihr letztes Konzert“

Der inzwischen verstorbene Chef der Konzertagentur Hannover Concerts, Wolfgang Besemer, erinnerte sich in einem Gespräch an einen Auftritt, den Turner 1983 im Großen Sendesaal des NDR gab. „Da waren nur 400 Leute, eine kommerzielle Katastrophe, das verlief sich alles. Und trotzdem explodierte Tina, als wäre es ihr letztes Konzert.“ Die Fans, die gekommen waren und Versionen von David Bowies „Catpeople“ und Rod Stewarts „Hot Legs“ hörten, sahen einen Popstar am Wendepunkt – freilich ohne es zu ahnen. Zehn Tage später enterte Tinas Single „Let’s Stay Together“ die britischen Charts, stieg und stieg bis hinauf auf Platz sechs (Deutschland: Platz 18). Das Comeback aller Rock-Comebacks rollte an, die Zeit ihres Streunens durch Clubs und kleine Hallen war endgültig vorbei.

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Und die 1984 schon 45-jährige Tina wandelte sich mit dem Album „Private Dancer“ von einer Soulsängerin zu einer Ikone „weißer“ Mainstream-Rockmusik. Dabei gelang ihr das Kunststück, in fremden Songs ihre Erfahrungen und Hoffnungen auszudrücken. Das Album liest sich als Biografie und Seelenspiegel. Nie war Tina so emotional wie auf diesem rettenden Liederbuch, mit dem sie alle Erwartungen übertraf, mit dem sie zu „Tina Superstar“ aufstieg.

„People“ zählte Tina 1999 zu den 50 schönsten Menschen der Welt

Turner sang in der Folge mit Mick Jagger und Sting, machte mit dem Duettrocker „It’s Only Love“ den Kanadier Bryan Adams in Deutschland populär. 1996 steuerte sie zu Pierce Brosnans 007-Debüt den glamourösen Titelsong „Golden Eye“ bei. Zum Rhythm ’n‘ Blues ihrer frühen Jahre aber fand sie bis zuletzt nicht zurück. Auch ihr finales Popalbum „Twenty Four Seven“ von 1999 – vier buddhistische Gebetsalben folgten noch bis 2017 – war letztlich hübscher, kantenarmer Pop, der unter der viel zitierten Rockröhre an Format gewann.

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Ab Februar 2009 stand Tina ein letztes Mal in deutschen Arenen, und sie sauste auf der dritten und wirklich letzten „Farewell“-Tour in Empire-State-Stöckelschuhen über den Bühnenboden. Und auch wenn Tina es dementierte, glaubten alle, man würde sie ein paar Jahre später, so etwa mit 75 Jahren, wiedersehen. Das schien so sicher wie das Amen in der Kirche, passierte dann aber nicht. Am 5. Mai 2009 endete mit einem Konzert im britischen Sheffield eine beispiellose Popkarriere.

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Wer sie hinter der Bühne kennenlernen durfte, war überrascht, wie anders sie dort war, wie ruhig, mit einer völlig gelassenen Mimik, Gestik, Körperhaltung. In der Garderobe schon streifte sie ihr Alter Ego, die Hochspannungs-Tina ab. Sie gehörte nicht zu den Stars, die Aftershowpartys bis zum Morgengrauen feiern. Nach der Show war Stille, Rückzug, Privatleben.

„Ich hatte keine Lust mehr, zu singen und alle anderen glücklich zu machen“, wurde Turner 2018 von einer Journalistin der „New York Times“ zitiert, der sie – äußerst selten – Zugang gewährte. Sie liebe die Ruhe, hatte Tina schon 2009 in der ARD bei „Beckmann“ gesagt. „Ich bin einfach gern zu Hause. Dort kann ich die Musik hören, die mir gefällt, und meinen eigenen Lieblingswein trinken.“

Im Ruhestand: Krankheiten und ein schwerer Schicksalsschlag

Schweizerin war Tina Turner seit 2013, schon seit 1994 lebte sie dort mit dem deutschen Musikmanager Erwin Bach, den sie 2013 heiratete. Im Ruhestand – so war zuletzt in ihrem Buch „My Love Story“ zu lesen – hatte sie mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. 2013 erlitt sie einen Schlaganfall, 2016 erkrankte sie an Darmkrebs, 2017 spendete ihr Mann ihr eine Niere. 2018 musste die vierfache Mutter (sie adoptierte zwei Kinder ihres Ex Ike aus einer anderen Beziehung) den Selbstmord ihres Sohnes Craig verkraften. Sie hatte eine enge Beziehung zu ihm und den Abschied nannte sie auf Instagram „meinen traurigsten Augenblick als Mutter“.

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Und nun ist sie selbst gegangen. Aber die Erinnerungen von Millionen Konzertbesuchern sind lebendiger denn je. Ihre Konzerte waren anders als die meisten Megashows. Inmitten der grandios ausgetüftelten Choreografien war sie die Zauberin, die das Kalkül zum Leben erweckte. Im gewaltigen Theater aus Licht und Klang verwandelte sie, die Frau mit der Raubtierstimme, das Wiederholbare ins Einmalige, Unvergessliche.

Tina herrscht für immer in den Herzen ihrer Fans

„Kitsch, lass nach“, dachte man nur einmal, anno 2000 – eine Schrecksekunde lang –, als zur Blues-Version des Beatles-Brenners „Help“ im Stadion ein Fake-Komet seinen Schweif über Sternenhimmel-Leinwände zog. Dann aber wurde einem selbst ganz kitschig zumute und man holte das Feuerzeug raus (damals war das noch erlaubt), gesellte seinen Funken zu den Zigtausenden, die für diese Frau glommen. Die Nacht glühte für die Königin des Rock, die jetzt abgedankt hat und doch für immer in den Herzen ihrer Fans herrscht.

Ein kleines Mädchen aus Tennessee hat die ganze Welt umarmt.

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