Über Nacht reisen

Immer mehr Verbindungen: Was ist dran am Boom der Nachtzüge?

Die Meldungen zu neuen Nachtzugverbindungen haben in den letzten Monaten zugenommen. Doch lässt sich wirklich von einem Boom sprechen?

Die Meldungen zu neuen Nachtzugverbindungen haben in den letzten Monaten zugenommen. Doch lässt sich wirklich von einem Boom sprechen?

Abends in Berlin in den Zug einsteigen, es sich im Schlafwagen bequem machen und am nächsten Tag munter in Stockholm aussteigen – das soll ab dem 31. März möglich sein. Immer mehr neue Nachtzugverbindungen tauchen auf dem Radar der Zugreisenden auf.

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Über die Website der Deutschen Bahn (DB) lassen sich zwar Verbindungen buchen, eigene Schlafwagen hat das Unternehmen jedoch nicht. Stattdessen kooperieren sie mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und stellten gemeinsam mit dem Unternehmen im vergangenen Juli neue Liegewagen in Hamburg vor. Bis 2026 wolle die ÖBB die Nightjet-Reisenden auf jährlich drei Millionen Menschen verdoppelt haben, sagte Vorständin Sabine Stock gegenüber dem „Spiegel“. Nachtzugfahren scheint also das neue Ding zu sein. Oder?

„Aus Berliner Sicht ist kaum Angebot vorhanden“

„Von einem Boom zu sprechen ist ein Trugschluss“, sagt Andreas Knie. Er ist Professor am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin und Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung. Seiner Meinung nach sind es nicht mehr Verbindungen geworden, es werden lediglich neue angekündigt. „Wir können immer noch nicht von Berlin mit dem Nachtzug nach Krakau oder Breslau fahren. Aus Berliner Sicht ist kaum Angebot vorhanden.“

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Zwar könne man laut Knie noch nicht von einem Hype sprechen, „aber immerhin wird darüber diskutiert und mehr Leute interessieren sich für das Thema.“ Er selbst ist das erste Mal vor vielen Jahren mit dem Nachtzug von Berlin nach Zürich gefahren und hat während der Fahrt kein Auge zugemacht, wie er erzählt. Nach etwa zehn Fahrten habe er sich aber an die Geräusche und die Dynamik gewöhnt und die Nacht schlafend im Zug verbracht.

„Die Billigflugangebote von Air Berlin waren der Todesstoß für die Nachtzüge“, erklärt Andreas Knie die zwischenzeitliche Flaute bei Nachtzügen. Zwar seien die Verbindungen nicht direkt abgeschafft worden, ein Ticket von Berlin nach Zürich kostete dann aber schnell mal 380 Euro, während ein Flug nur 19 Euro kostete, erinnert er sich.

Flugzeug oft nur noch das Fernreisemittel

Aber zurück zur heutigen Zeit und dem Reiseverhalten der Deutschen: „Die Suche nach Alternativen zum Auto hat stark zugenommen, das sehen wir in unseren Studien“, sagt Knie. Auch habe die Zahl der Flugbuchungen noch nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht, vor allem nicht im Inlandsverkehr.

„Es ist fraglich, ob diese Zahlen je wieder erreicht werden“, mutmaßt der Professor. Seine Forschung zeigt, dass das Flugzeug immer häufiger nur noch für Fernreisen genutzt werde und vor allem bei innereuropäischen Reisen vermehrt nach Alternativen geschaut werde. „Die Menschen sind bereit, abends in den Zug zu steigen, sich in ein Bett zu legen und morgens am Zielort auszusteigen“, ist er sich sicher.

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Die Menschen, die Zugunternehmen betreiben, müssen laut Professor Knie endlich den Zug als Hauptverkehrsmittel betrachten und nicht nur als Alternative zum Auto. „Unsere Grundhaltung gegenüber dem Zug muss sich grundlegend ändern. Es muss mehr Geld investiert werden, die Nachtzugangebote müssen ausgebaut werden. Die Kapazitäten sind da, doch der Wille fehlt.“

Deutsche Bahn plant weitere Nachtzugverbindungen

Die DB hat eigene Schlafwagen schon lange abgeschafft und setzt stattdessen auf Kooperation: „Die Deutsche Bahn ist Teil einer erfolgreichen Nachtzugallianz. Gemeinsam mit unseren Partnern werden wir 13 europäische Millionenmetropolen auf der Schiene über Nacht verbinden“, sagt eine DB-Sprecherin auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Außerdem bietet das Unternehmen eigene Nachtstrecken mit dem IC und ICE an, beispielsweise Zürich-Berlin-Prag. Hier muss dann allerdings im Sitzen geschlafen werden, Schlaf- oder Liegewagen gibt es nicht.

So sieht es im Schlafwagen Comfort plus eines Nightjets der ÖBB aus.

So sieht es im Schlafwagen Comfort plus eines Nightjets der ÖBB aus.

Neue Nachtzugangebote mit den Partnerbahnen sind in Planung, heißt es aus dem Unternehmen. Ab Dezember sollen die beiden neuen Nachtzuglinien Berlin-Paris und Berlin-Brüssel an den Start gehen. Vom Konzept der Kooperation ist die Deutsche Bahn überzeugt: „Im Wettbewerb der Bahn mit Auto und Flieger braucht es Teamplay statt Einzelkämpfer. Und es braucht Spezialisten, zum Beispiel wie die ÖBB für das Wagenmaterial.“ Mithilfe der DB seien 2022 rund 6500 Züge mit Schlaf- und Liegewagen durch Deutschland gefahren.

Auch Flixtrain plant derzeit keine Nachtstrecken auf der Schiene, wie eine Sprecherin auf RND-Nachfrage mitteilt. Für die Zukunft ausgeschlossen sei es jedoch nicht.

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Das Problem der letzten Meile

Professor Andreas Knie sieht noch eine weitere Hürde beim Thema Zugreisen: „Bei Eisenbahnverbindungen gibt es immer noch das Problem der ersten und letzten Meile. Bedeutet: Wie komme ich zum Bahnhof und vom Bahnhof zum Zielort? Das muss aufgefangen werden.“

Bei der DB gibt es bereits Möglichkeiten: „An vielen Orten machen wir mit unseren Töchtern DB Regio Bus, Ioki und Clever Shuttle schon heute flexible Angebote zum bestehenden Linienverkehr oder ergänzen den öffentlichen Personennahverkehr auf der so genannten letzten Meile“, sagt die Sprecherin der Deutschen Bahn.

Diese Angebote sollen weiter ausgebaut werden. Im ländlichen Raum will die DB mit kleinen und flexibel einsetzbaren Fahrzeugen ohne feste Routen und Haltestellen arbeiten. Kundinnen und Kunden sollen diese Shuttles dann per App zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen können. Damit geht es dann von der Haustür zum Wunschbahnhof oder zurück. „So schließen wir eine Lücke, die bisher oft nur das Auto schließen kann.“

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