Fehlende Alternativen für russische Touristen: Wie voll wird es im Sommer in der Türkei?
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Hotels am Oststrand von Side an der Türkischen Riviera – trotz weniger russischer Reisenden wird es dort wohl voll.
Zypern habe sich selbst ins Bein geschossen, sagt der russische Botschafter in Nikosia, Stanislaw Ossadtschi, kürzlich. Zypern trage die Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskrieges in der Ukraine mit, der Luftraum ist geschlossen. Stattdessen, so Ossadtschi, würden seine Landsleute lieber in die Türkei fahren – denn Ankara beteiligt sich nicht an den Sanktionen.
Doch folgen seine Landsleute ihm in die Türkei? Reisen im Sommer mehr russische Touristinnen und Touristen an den Bosporus als sonst? Für die Türkei ist Russland der größte Markt, was Reisende angeht. Rund sieben Millionen Russinnen und Russen verbringen ihren Urlaub jährlich in der Türkei, selbst zu Pandemiezeiten waren es noch 4,7 Millionen – und damit deutlich mehr als aus Deutschland mit 3,1 Millionen. Kommen nun noch jene hinzu, die sonst etwa in Zypern oder Rumänien urlauben, weil Russinnen und Russen dort nicht mehr erwünscht sind?
Reiseveranstalter rechnen mit deutlich weniger russischen Gästen in der Türkei
Der Türkei-Experte des Reiseveranstalters FTI, Hicabi Ayhan, glaubt nicht, dass die Türkei im Sommer von russischen Urlauberinnen und Urlaubern überrannt werden wird. „Aufgrund der aktuellen Situation wird es wahrscheinlich weniger russische Urlauber in der Türkei als in den Vorjahren geben“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Auch Dertour geht von „deutlichen Rückgängen der russischen Gästezahlen aus“, so Türkei-Direktor Michael Kunkel.
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Wer Urlaub in der Türkei macht, kommt an den Stränden kaum vorbei.
© Quelle: imago images/Westend61
Der Türkei-Reisespezialist Bentour sieht mehrere Faktoren, die gegen steigende Gästezahlen aus Russland sprechen. Direktor Deniz Ugur sagt dem RND, dass vor allem die Kapazitäten nicht gegeben seien, russische Touristinnen und Touristen in die Türkei zu transportieren: „Viele Fluggeräte stehen gar nicht zur Verfügung, weil sie geleast sind und beispielsweise amerikanischen Firmen gehören.“
Die Türkei habe bereits deutlich gemacht, dass solche Flugzeuge im Rahmen der Sanktionen des Westens beschlagnahmt würden. „Die Airlines wissen das auch und fliegen nicht auf Risiko in die Türkei“, sagt Ugur. Die Kapazitäten an Maschinen erlauben es also nicht, Massen an Menschen zu transportieren. Die Türkei hatte deshalb unlängst verkündet, nicht nur Reiseveranstalter mit staatlichen Krediten helfen zu wollen, sondern auch eine Fluggesellschaft gründen zu wollen, die ausschließlich zwischen Russland und der Türkei verkehre.
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Ein Strand in der Bucht Ölüdeniz in der Türkei.
Hotels geben Zimmer an westeuropäische statt russische Veranstalter
Zudem sei zunächst nicht klar gewesen, wie sich der Wert des Rubels entwickle, denn zu Kriegsbeginn sank die Kaufkraft in Russland rapide. Auch wenn sich der Wert inzwischen stabilisiert hat und wieder auf Vorkriegsniveau liegt, treffen die Sanktionen auch die russische Bevölkerung. Insgesamt geht Ugur davon aus, dass nur 50 Prozent der üblichen Gästezahlen aus Russland erreicht werden.
Die Hotellerie in der Türkei rechnet offenbar mit einem ähnlichen Rückgang und hat die Kontingente bereits neu verteilt: Die meisten für russische Gäste vorgesehenen Zimmer wurden Reiseveranstaltern in Europa angeboten. Sowohl der deutsche als auch der britische, niederländische und österreichische Markt profitieren davon. Vor allem Hotels, die einen Gästemix haben, können durch die Umverteilung Leerstand verhindern. „Schwierig wird es für die 30 Prozent Hotels, vor allem in der Region Kemer, die zu 80 Prozent auf den russischen Markt gesetzt haben“, sagt Ugur.
Türkei muss wohl komplett auf ukrainische Reisende verzichten
Für die Tourismusbranche in der Türkei ist der Krieg in der Ukraine nach der Corona-Pandemie der nächste Risikofaktor. Denn nicht nur die Russinnen und Russen werden zu einem großen Teil wegbleiben, auch Reisende aus der Ukraine werden fehlen – und die stellten bisher die drittgrößte Urlaubsgruppe in der Türkei. Rund 2,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer kamen alleine im vergangenen Jahr zum Urlaub an den Bosporus, in diesem Jahr werden nur ein paar Tausend erwartet. „Es ist unmöglich, dass sie in der normalen Anzahl kommen“, sagt Ugur.
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Stadtstrand Halk in der Kumbahce-Bucht in Bodrum. Der Badeort liegt im Südwesten der Türkei.
Wer nun in den Hotels vor Ort auf Preisnachlässe hofft, wird wohl enttäuscht werden. Auch wenn Kunkel aufgrund der fehlenden russischen Gäste „aktuell noch sehr gute Preise und Verfügbarkeiten“ sieht, wird der Urlaub in der Türkei eher nicht günstiger, glaubt Ugur.
Urlaub in der Türkei wird wohl nicht günstiger werden
„Die Energiepreise steigen, die Auslastung in den Airlines ist gut, da gibt es keinen Grund für Rabatte.“ Die Hotels haben zudem nach zwei Corona-Jahren und den nun ausbleibenden russischen Gästen nichts zu verschenken. „Die Hoteliers sehen keine Notwendigkeit, die Preise zu senken“, sagt Ugur. Günstiger könnte aber das Shoppen in der Türkei werden, denn die Lira hat massiv an Wert verloren. „Der Restaurantbesuch, Shoppen oder auch maßgeschneiderte Anzüge sind deutlich billiger“, sagt Ugur.
Dertour, Bentour und FTI gehen davon aus, dass der Türkei-Tourismus jeweils deutlich über den Werten von vor der Pandemie liegen wird – auch, weil mit Thomas Cook ein großer Konkurrent weggefallen ist. „Die Leute haben zwei Jahre gespart, sie wollen jetzt richtig guten Urlaub machen. Der Nachholbedarf ist riesig“, so Ugur. Auch das Wegfallen von Corona-Maßnahmen trage dazu bei, wie FTI-Mann Ayhan sagt: „Mit der Abschaffung des Einreiseformulars und des HES-Codes sind weitere Hürden für einen Türkei-Urlaub gefallen.“