Rückzug aus Russland oder nicht?
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Die Bayer AG ist weiter im Russland-Geschäft tätig und führt dafür humanitäre Gründe ins Feld.
© Quelle: Jörg Carstensen/dpa
Berlin. „Ein Fast-Food-Restaurant lässt sich einfach schließen – ein Dialysezentrum nicht.“ Da kann man Stephan Sturm nicht widersprechen. Der Vorstandschef des Medizinkonzerns Fresenius hat gute Argumente, weshalb sein Unternehmen immer noch in Russland tätig ist. Fresenius betreibt dort 100 Dialysezentren, die für Menschen mit Nierenversagen überlebenswichtig sind.
Kein Aufrechnen von Menschenleben
In einem „Standpunkt“ für die „FAZ“ schrieb Sturm dieser Tage, Fresenius könne diese Patienten nicht einfach im Stich lassen. Und auch wenn es russische Soldaten seien, die in der Ukraine töten – man könne und dürfe Menschenleben nicht gegeneinander aufrechnen, argumentierte der Manager und fügte hinzu: „Das würde uns selbst unserer Menschlichkeit berauben.“
Damit spricht Sturm einen ganz wichtigen Punkt an: Sich nicht wegen der „gerechten Sache“ selbst der Entmenschlichung hingeben, wie sie im Krieg allgegenwärtig ist.
Viele Firmen stehen inzwischen am Pranger, weil sie ihr Russland-Geschäft bislang nicht aufgegeben haben und damit indirekt Putins Kriegsmaschinerie stützen. Der Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sonnenfeld und sein Team von der Universität Yale (Connecticut) haben eine „Liste der Schande“ ins Internet gestellt, auf der sie die Firmen veröffentlichen, die weiter in Russland Geld verdienen.
Einer Krebspatientin in St. Petersburg lebenswichtige Medikamente vorzuenthalten hieße in letzter Konsequenz nichts anderes, als den Tod weiterer Zivilisten in Kauf zu nehmen.
Werner Baumann
Bayer-Vorstandschef
Das Yale-Team ist da rigoros, aber kann man alle über einen Kamm scheren? Ist es dasselbe, wenn Coca-Cola weiter im russischen Staats-TV wirbt und wenn Bayer weiter in Russland Tabletten verkauft?
„Einer Krebspatientin in St. Petersburg lebenswichtige Medikamente vorzuenthalten hieße in letzter Konsequenz nichts anderes, als den Tod weiterer Zivilisten in Kauf zu nehmen“, begründet Bayer-Vorstandschef Werner Baumann, weshalb der Pharmariese noch in Russland präsent ist. Baumann spricht von einer „ethischen Verpflichtung für die Zivilbevölkerung“. Erfrischungsgetränk versus Krebsmedikament. Da ist schon ein Unterschied.
Jan Emendörfer ist RND-Chefkorrespondent für Osteuropa und Russland. Immer mittwochs gibt er Einblick in das Wirtschaftsleben zwischen Warschau und Wladiwostok – im wöchentlichen Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Washington, Peking und London.