Deutsche Unternehmen in Russland: Warum sich Henkel und SAP plötzlich doch zurückziehen
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Neben dem Technologiekonzern SAP will sich auch der Konsumgüterhersteller Henkel aus Russland zurückziehen.
© Quelle: Uwe Anspach/dpa
Moskau. Was darf Satire? Der Comedian und Grimmepreisträger Jesko Friedrich hat diese Frage vor einigen Jahren mal ausführlich beantwortet. Wer seine Erläuterungen ernst nimmt, kann Zweifel daran bekommen, ob die „heute-show“ Ende März noch Satire betrieb, und nicht schon Propaganda, als sie deutsche Firmen in einem Beitrag pauschal verspottete, weil sie im Gegensatz zu Unternehmen wie Apple, Starbucks oder H&M nach wie vor in Russland aktiv sind.
In der Rolle einer Moderatorin im Auftrag der deutschen Industrie sagte die Comedienne Valerie Niehaus: „Unsere Botschaft lautet: Frieden kann man in Russland vielleicht nicht kaufen, deutsche Mähdrescher und deutsches Shampoo aber schon.“ Zwei Musiker intonierten daraufhin John Lennons Friedensballade „Give Peace a Chance“, allerdings unter dem Titel „Give Business a Chance“.
Die Häme galt dem Landmaschinenhersteller Claas und dem Konsumgüterkonzern Henkel, denen unterstellt wurde, Gewinnstreben über die ethische Verpflichtung zu stellen, auf Geschäfte mit einem Land zu verzichten, das das Völkerrecht verletzt.
Claas und Henkel in einem Atemzug moralisches Versagen zu unterstellen, ist allerdings sehr schwarz-weiß gedacht und bestätigt wohl zumindest im Fall Claas Jesko Friedrichs zentrale Kritik an schlechter Satire. Sie lautet: „Der angebliche Feind hat bei genauerem Hinsehen recht.“
Das Beispiel Claas
Denn schon ein oberflächlicher Blick müsste genügen, um die Russland-Aktivitäten des Unternehmens umfassender zu bewerten als allein mit Profitgier. Es könnte sogar so sein, dass sich der Harsewinkler Konzern aufgrund von ethischen Erwägungen zu rechtfertigen hätte, sollte er sein Werk im südrussischen Krasnodar schließen.
„Wenn sich internationale Landmaschinen- und Düngemittelhersteller aus Russland zurückziehen“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Karsten Kilian von der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „kann das dazu führen, dass im Herbst die Ernten in Russland geringer ausfallen.“ Und das hätte ernst zu nehmende Konsequenzen zur Folge.
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Landwirte ernten mit ihren Mähdreschern Weizen auf einem Weizenfeld in der Nähe des Dorfes Tbilisskaya in Russland. Der Krieg in der Ukraine hat die Preise für Weizen weltweit in die Höhe getrieben.
© Quelle: Vitaly Timkiv/AP/dpa
Kollateralschäden in der weltweiten Nahrungsmittelproduktion
Denn immerhin seien zuletzt fast 18 Prozent der weltweiten Getreideexporte aus Russland gekommen, weitere 8 Prozent aus der Ukraine. „Sollte Russland aufgrund fehlenden Düngers und defekter Landmaschinen nur 20 Prozent seiner Getreideproduktion einbüßen, wären das weltweit fast 4 Prozent weniger Getreide.
Wenn die Ukraine ihren Getreideoutput wegen Russlands Invasion zudem halbieren sollte, würden in sechs Monaten weltweit 8 Prozent Getreide fehlen, was zu noch deutlicheren Preisanstiegen führen würde und in der Folge zu Hungersnöten in einer ganze Reihe von Staaten, insbesondere in Afrika. Die Folge wären wahrscheinlich zunehmende Flüchtlingsströme, insbesondere nach Europa.“
Putin und Ritter Sport
Verhöhnt wurde in der Sendung der „heute-show“ auch der schwäbische Schokoladenhersteller Ritter Sport, dessen Werbespruch „Quadratisch. Praktisch. Gut.“ von Andrij Melnyk, dem ukrainischen Botschafter in Berlin, auf Twitter zu „Quadratisch. Praktisch. Blut“ umformuliert wurde.
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Eine Bewertung, die möglicherweise ungerecht ist, wenn man bedenkt, dass Moral ganzheitlich gedacht werden sollte. Bei Ritter Sport stellt sich etwa die Frage, ob ein Rückzug des Unternehmens Wladimir Putin mehr schaden würde oder den Kakaobauern in Westafrika sowie in Mittel- und Südamerika.
Denn das Unternehmen müsste seine Produktion in Waldenbuch und im österreichischen Breitenbrunn erheblich runterfahren, wie es auf RND-Nachfrage schon im März sagte, wenn es Russland nicht mehr beliefern würde. Das Land ist der zweitgrößte Markt für Ritter Sport. 10 Prozent der Gesamtproduktion werden zwischen Smolensk und Wladiwostok verkauft.
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Kilian bestätigt die Angaben: „10 Prozent der Produktion in anderen Märkten unterzubringen ist im hochkompetitiven Markt für Schokolade kaum möglich. Hinzu kommt, dass Ritter Sport nur ein Produkt hat: Schokolade. Quersubventionen wie in vielen anderen Unternehmen gibt es nicht. Die Existenz des Familienunternehmens steht und fällt deshalb mit dem Verkauf der eigenen Schokolade.“
Rückzug nach anhaltender Kritik
Doch die Kritik an Unternehmen, die in Russland tätig sind, nimmt auf Einwände keine Rücksicht, sollten sie auch noch so berechtigt sein. Vielmehr werden die Beanstandungen inzwischen so laut, dass sich mehr und mehr Firmen dem öffentlichen Druck beugen. Jüngste Beispiele dafür scheinen der Konsumgüterkonzern Henkel und der Softwareriese SAP zu sein, die zu Beginn der Woche ankündigten, ihr Russland-Geschäft einzustellen.
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Der Konsumgüterkonzern Henkel gibt sein Russland-Geschäft nun doch auf.
© Quelle: Jan-Philipp Strobel/dpa
Besonders der Persil- und Schauma-Hersteller Henkel stand in der Kritik. Er war wie kein anderes Dax-Unternehmen in Russland engagiert, erzielte mit 2500 Beschäftigten in elf russischen Produktionsstätten jährlich eine Milliarde Euro Umsatz.
Bis zuletzt war Henkel-Chef Carsten Knobel nicht müde geworden, Gründe dafür anzuführen, warum der Investitionsstandort Russland nicht einfach so aufgegeben werden könne – auch unter moralischen Aspekten: So habe man etwa eine Fürsorgepflicht gegenüber dem lokalen Management, das bei einem Rückzug von der russischen Justiz persönlich haftbar gemacht werden könne. Außerdem müsse man mit der Enteignung der Standorte, Marken und Patente zugunsten eines Aggressorstaates rechnen. Diese Argumente wurden in der Abzugsmeldung dann aber mit keinem Wort mehr erwähnt.
Druck auch innerhalb des Unternehmens groß
Der Druck auf Henkel sei einfach zu groß geworden, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Tim Krieger von der Uni Freiburg. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, auch auf der Ebene des Managements, hätten sich dem Vernehmen nach dafür ausgesprochen, das Russland-Geschäft aufzugeben. Bei der Hauptversammlung Anfang April habe es zudem deutliche Kritik aus den Reihen der Aktionärsschaft gegeben.
Krieg gegen die Ukraine: Autohersteller Stellantis stellt Betrieb in Russland ein
Der Autohersteller Stellantis, der in Russland die Marken Peugeot, Citroёn, Opel, Jeep und Fiat produziert und verkauft, stellt die dortige Produktion ein.
© Quelle: Reuters
Natürlich sei auch die negative Berichterstattung in den Medien über Firmen mit weiterhin bestehendem Russland-Geschäft nicht unbemerkt geblieben. Schließlich hätten die jüngsten Sanktionen der USA gegen Russland eine Rolle gespielt, die sich zukünftig leicht auch in Form von „sekundären Sanktionen“ äußern könnten.
Das hieße, dass Firmen, die weiterhin in Russland aktiv sind, sich vom riesigen amerikanischen Markt zurückziehen müssten: „In der Abwägung zwischen einerseits Reputationsverlust, unzufriedenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und negativen Geschäftsauswirkungen anderswo“, verdeutlicht Krieger, „sowie andererseits der Aufgabe des Russland-Geschäfts dürften sich in den vergangenen Wochen die Gewichte zulasten des Russland-Geschäfts verschoben haben. Deshalb hat man nun die Reißleine gezogen.“
„Keine Frage des Profits“
Das klingt dann doch so, dass wirtschaftliche Erwägungen die Hauptrolle für Henkel gespielt haben. „Der moralische Kompass dürfte bei den meisten Unternehmen medial hervorgestellt werden“, sagt dazu Karsten Kilian, „spielt faktisch aber oft eher eine untergeordnete Rolle.“
Der russischsprachige Dienst der Deutschen Welle sieht diese Haltung jetzt im Nachhinein durch eine Aussage der Henkel-Aufsichtsratsvorsitzenden Simone Bagel-Trah von Anfang April bestätigt. Die Ururenkelin des Henkel-Gründers Fritz Henkel hatte da noch den Verbleib in Russland unter anderem damit verteidigt, dass der Standort ökonomisch nicht attraktiv sei: „Die aktuelle Fortsetzung unserer Geschäfte in Russland ist keine Frage des Profits“, hatte sie beteuert, „angesichts des schwachen Rubels und der Schwierigkeiten im Land. Wir stellen vor allem Güter des täglichen Bedarfs für die Bevölkerung her.“
Der russische Markt wird womöglich neu bewertet
Für die Deutsche Welle eine entlarvende Aussage: „Der Konzern macht in Russland entweder Verluste“, mutmaßt der deutsche Auslandssender, „oder landet, unter Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten, bestenfalls bei einer schwarzen Null.“
Es sei daher davon auszugehen, dass Henkel Russland nicht nur und nicht einmal so sehr wegen der weiteren militärischen Eskalation in der Ukraine und der deswegen wachsenden Imagerisiken verlasse, sondern weil der russische Markt unter den neuen Bedingungen schlicht keine Erfolgsaussichten mehr biete.
Wenn dies so sei, schlussfolgert die Deutsche Welle, „dann ist die Entscheidung Henkels in der Tat ein bahnbrechender Vorgang, denn sie markiert den möglichen Beginn der zweiten Welle der Abwendung westlicher Unternehmen von Russland – des Ausstiegs derjenigen, die zunächst geblieben sind, nun aber keinen Grund mehr sehen, weiterhin Geld und Mühe in Russland zu investieren.“
Dass am selben Tag wie Henkel die Großunternehmen SAP und der Opel-Mutterkonzern Stellantis ebenfalls ihren Rückzug aus Russland bekannt gaben, hält die Deutsche Welle für einen Beleg ihrer These.
„Give Business a Chance!“ Der spöttische Aufruf der „heute-show“ scheint in Russland immer weniger zu fruchten.