Naftogaz-Chef Yuriy Vitrenko im RND-Interview

„213.000 ukrainische Haushalte sind von der Gasversorgung abgeschnitten“

Yuriy Vitrenko (45) ist seit 2021 Vorstandsvorsitzender des ukrainischen Konzerns Naftogaz.

Yuriy Vitrenko (45) ist seit 2021 Vorstandsvorsitzender des ukrainischen Konzerns Naftogaz.

Berlin. Yuriy Vitrenko (45) ist Vorstandschef von Naftogaz, dem größten Öl- und Gasunternehmen der Ukraine. Der Staatskonzern beschäftigt mit allen Beteiligungen rund 60.000 Mitarbeiter und managt von der Gewinnung, dem Transport und der Raffination von Erdgas und Rohöl alle Leistungen im Energie-Rohstoffmarkt bis hin zur Lieferung an Verbraucher. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit Vitrenko per Videochat.

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Herr Vitrenko, wie geht es Ihnen in diesen Tagen des Krieges, managen Sie Ihre Firma von Kiew aus?

Ich habe zu Beginn des Krieges eine Zeit lang außerhalb Kiews gearbeitet, aber seit einigen Tagen bin ich zurück in der Hauptstadt. Mir geht es soweit gut, aber das ist relativ. 20 Mitarbeiter unseres Unternehmens sind bisher im Krieg ums Leben gekommen. Einige Kollegen dienen auch in der Armee, um unser Land zu verteidigen. Die anderen arbeiten jeden Tag unter sehr schweren Bedingungen. Täglich gibt es durch Bombardements neue Zerstörungen an der Infrastruktur, die wir ständig versuchen zu reparieren.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

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Wir haben viele zerstörte Leitungen in den kleineren Städten und Dörfern in der Ostukraine. Und die Menschen brauchen das Gas für die Heizung, zum Kochen und für warmes Wasser. 213.000 ukrainische Haushalte sind derzeit ohne Gas, das ist sehr schwer für die Menschen.

Woher bekommt die Ukraine überhaupt ihr Gas in diesen Tagen?

Wir haben derzeit keine Probleme mit der Lieferung. Unsere eigene Gasproduktion funktioniert und wir haben sehr große unterirdische Gasspeicher, aus denen wir schöpfen können. Zur Zeit produzieren wir sogar mehr Gas, als wir verbrauchen können. Während der Heizungsperiode im März hatten wir auch Gas zugekauft vom europäischen Markt, das über die Slowakei und Ungarn zu uns kommt. Das heißt, wir haben keine Probleme mit der Produktion, wohl aber mit dem Transport.

Wie kommen wir weg von Putins Gas?

LNG? Biogas? Oder lieber doch Wärmepumpen? „RND erklärt“ wirft einen Blick auf die Alternativen zur russischen Gasversorgung.

In verschiedenen Landesteilen sind Leitungen und Verteilstationen zerstört. Es sind auch viele große Städte betroffen. Mariupol ist ohne Gas, ohne Strom, ohne Wasser, ohne alles. Oder auch Charkiw im Nordosten und die Städte um Kiew herum, die von den Russen okkupiert waren. Überall gibt es schwere Zerstörungen.

Die Transitpipeline, die russisches Erdgas durch die Ukraine nach Deutschland bringt, ist von der russischen Armee offenbar bislang verschont worden.

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Ja, sie wurde bislang nicht zerstört. Es gab bisher keinerlei Unterbrechungen des Gastransports während des gesamten Krieges. Die Russen bombardieren diese Pipeline nicht, denn sie bekommen ja viel Geld für ihre Lieferungen nach Westeuropa. Gleichzeitig haben sie aber viele Gasleitungen und -Stationen in der Ostukraine zerstört. Wir haben Gazprom gewarnt, wenn die russische Armee diese Angriffe auf unsere Infrastruktur fortsetzt, dann gerät auch die Transitpipeline in Gefahr.

Russland zahlt etwa drei Milliarden Euro pro Jahr Transitgebühren an die Ukraine für die Durchleitung russischen Gases nach Westeuropa. Laufen diese Zahlungen weiter oder hat Moskau das gestoppt?

Die Gebühren sind nicht mehr so hoch, wie noch vor einigen Jahren. Es sind jetzt 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Aber ja, die Russen zahlen weiter. Sie haben für März bezahlt und auch für April.

Die ukrainische Regierung fordert, das Deutschland ganz auf russisches Gas und Öl verzichten soll, damit nicht weiterhin täglich Millionen in die Kriegskasse des Kreml fließen. Wie denken Sie darüber?

Ich unterstütze diese Forderung und denke, ein komplettes Embargo von russischem Gas und Öl sowie Ölprodukten ist notwendig. Wenn wir über Sanktionen reden, dann brauchen wir vernichtende Sanktionen, solche die wirklich geeignet sind, Putins Position zu schwächen. Ein solcher Schritt sollte ein Schock für Russland sein, es könnte ein Schock für Europa sein. Aber es wäre eine bewusste Wahl, auf die man sich auch vorbereiten kann.

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Oder man geht die Sache auf verschiedenen Wegen an. Zum Beispiel könnte der deutsche Staat es deutschen Firmen, die weiter russisches Gas kaufen, verbieten, das gesamte Geld dafür nach Russland zu zahlen. Sondern man könnte einen Teil des Geldes auf Treuhandkonten einfrieren. Eine andere Variante wäre es, dass der deutsche Staat Zollgebühren auf russisches Gas erhebt, so dass es für die Importeure so teuer wird, dass sich der Import nicht mehr lohnt.

Was würde das für Ihr Unternehmen bedeuten?

Wissen Sie, die Einnahmen, die wir mit dem Transport russischen Gases erzielen, können niemals die Zerstörungen wieder gutmachen, die unsere Land jeden Tag durch die russische Armee erfährt. Ja, wir erhalten 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, aber der materielle Schaden, den die Ukraine durch den Krieg erleidet, beträgt jetzt schon 300 Milliarden Euro. Das heißt 200 Mal soviel. Das heißt auch, wir brauchen 200 Jahre Einnahmen aus Transitgebühren, nur um die Schäden zu begleichen, die bis jetzt in den letzten zwei Monaten angerichtet worden sind.

Und da sprechen wir noch nicht über Tausende zivile Opfer und Millionen Flüchtlinge. Die humanen Kosten diese Aggressionskrieges sind enorm und niemals mit Transitgebühren aufzuwiegen. Der Grund, weshalb wir den Transit noch nicht gestoppt haben, ist die Bitte Deutschlands und anderer westeuropäischer Partner, das jetzt nicht zu tun. Auf der anderen Seite würde sich auch für uns das militärische Risiko erhöhen, denn Russland würde sofort beginnen, die gesamte Gasinfrastruktur zu bombardieren.

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Zu Wochenbeginn hat Russland seine Gaslieferungen an Polen und Bulgarien gestoppt. Wie schätzen Sie das ein?

Ich denke, die Russen wollen damit zeigen, dass sie Einfluss auf den europäischen Gasmarkt haben. Polen und Bulgarien unterstützen die Ukraine, das ist ein Grund. Der andere ist, dass diese beiden Länder aus Moskauer Sicht als Gasabnehmer eher schwach sind, im Vergleich beispielsweise zu Deutschland oder Österreich.

Russland stoppt Gaslieferung nach Polen und Bulgarien

Der tatsächliche Gasdurchfluss durch die Jamal-Pipeline von Belarus nach Polen lag am frühen Mittwochmorgen bei null Kilowattstunden.

Zugleich will Putin damit auch weiter Druck machen, dass sein Gas in Rubel bezahlt wird, um die eigene Währung zu stützen. Er will zeigen, dass er der Chef ist über die Gasversorgung und er will sicherstellen, dass Gazprom nicht von den westeuropäischen Finanzsanktionen betroffen wird.

Interview: Jan Emendörfer

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