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Fahrzeuggetriebe: Bald hat es sich ausgeschaltet

Handschaltgetriebe verschwinden zunehmend aus dem Programm.

Handschaltgetriebe verschwinden zunehmend aus dem Programm.

Kurve anvisieren, kurz anbremsen, einlenken, das Kupplungspedal treten, schnell einen Gang (oder auch zwei Gänge) runterschalten – und dann mit Volldampf aus der Kurve: Autofahren soll Spaß machen. Jahrzehntelang haben Automobilhersteller ihre Modelle auch nach diesem Grundsatz entwickelt: Drei Pedale, ein Lenkrad und ein Schaltstock – das waren die unabdingbaren Verbindungsstücke zwischen Mensch und Maschine.

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Doch damit dürfte in absehbarer Zeit Schluss sein: Mercedes und Volkswagen haben bereits angekündigt, Handschaltgetriebe aus dem Programm zu nehmen. Andere Marken werden folgen. Damit fällt eine der wichtigsten Schnittstellen im Mensch-Maschinen-Gefüge dem technologischen Wandel zum Opfer. Denn über das Getriebe hat der Fahrer bestimmt, wann hoch- und wann runtergeschaltet und wieweit das Drehzahlband ausgereizt wird. Beschleunigen, entschleunigen, Gas geben und bremsen – das alles war und ist untrennbar mit dem Schaltzeitpunkt verbunden.

Nüchtern, aber modern: Die Digitalisierung hat die Armaturen vollständig verändert. Geschaltet wird nicht mehr.

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Ein Fahrzeuggetriebe sorgt dafür, dass die Drehzahl des Motors auf die Antriebsdrehzahl übersetzt wird. Ein eher nüchterner Vorgang, hinter dem man nicht sonderlich viel Spaß vermutet. Doch Verbrennungsmotoren haben einen engen Drehzahlbereich. Um die Leistung auf die nächste Übersetzungsstufe zu hieven, braucht es ein Getriebe. Es muss geschaltet werden.

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Damit fängt der Spaß an. Jahrzehntelang war es für Millionen von Autofahrerinnen und Autofahrer ein Hochgefühl, die Maschine zu beherrschen, ihr zu befehlen, wann es wie schnell vorwärts geht. Gas geben, bremsen, kuppeln, schalten – im Motorsport wurde die Koordination von Kopf, Händen und Füßen zur Kunstform erhoben. Wer das am besten konnte, ging als Erster über die Ziellinie. Wobei den Rennfahrern schon fortgeschrittene Technik zur Verfügung stand.

Zwischengas, damit die Zahnräder greifen

In den Anfängen des Autofahrens war das Schalten eine komplizierte und manchmal auch riskante Angelegenheit. Die Gänge ließen sich nicht ohne Weiteres synchronisieren, deshalb musste gekuppelt und zwischendurch Gas gegeben werden – nur so griffen die Zahnräder ineinander, was nicht immer gelang. Schaltfehler, Überlastung oder zu wenig Öl – und schon war ein Getriebe Geschichte und der Ärger groß. Doch die Technik wurde besser und damit stieg der Spaßfaktor rapide.

Deutschland wurde zum Autofahrerland, was es noch heute ist. Dass es sich hier um mehr als nur eine romantische Verklärung handelt, lässt sich anhand von Zahlen belegen: Nach einer repräsentativen Umfrage unter deutschen Autofahrerinnen und Autofahrern von mobile.de aus dem vergangenen Jahr, erklärten 46,2 Prozent der Befragten, sie würden lieber manuell schalten. Der Anteil handgeschalteter Pkw liegt danach mit 56,9 Prozent sogar noch höher. Nur 22,2 Prozent gaben an, ein Modell mit Automatikgetriebe zu fahren.

Interessant sind dabei die Argumente, die fürs Handschalt- beziehungsweise das Automatikgetriebe sprechen: „Kontrolle über das Auto“ (41,5 Prozent), „günstiger Anschaffungspreis“ (31,7 Prozent) und das „sportliche Fahrerlebnis“ (28,2 Prozent) wurden als Hauptgründe für die Schaltgetriebe genannt, bei den Automatikfreunden waren es ein „komfortableres Fahrerlebnis“ (57,3 Prozent), „erleichtertes Anfahren“ (42,4 Prozent) sowie „geringer Verschleiß“ (17,1 Prozent).

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Allerdings lassen sich diese Zahlen nicht auf andere Länder übertragen: In den USA fahren rund 95 Prozent ein Auto mit Automatikgetriebe – viele Amerikanerinnen und Amerikaner dürften gar nicht mehr in der Lage sein, eine Kupplung zu bedienen. In Japan, auch eine Autonation, sieht es ähnlich aus. Denn wahr ist auch: Moderne Automatikgetriebe wie Doppelkupplungsgetriebe sind jedem Handschaltgetriebe überlegen. Der Fahrer kann den Schaltzeitpunkt bis zu einem gewissen Grad selbst bestimmen, die Automatik führt im Zweifelsfall allerdings im Hintergrund Regie.

ZF hat eine neue Generation seiner Achtgangautomatik vorgestellt.

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Tatsächlich hängt die Getriebeart auch vom Segment ab: Bei Fahrzeugen ab der Mittelklasse beträgt der Anteil der Automatikgetriebe inzwischen rund 70 Prozent, Tendenz steigend. Marktanalyst Jato bestätigt diese Entwicklung: Danach werden von den insgesamt 5838 Modellen aller Hersteller nur noch 1870 Fahrzeuge mit Handschaltgetrieben angeboten, 218 davon mit Fünfgang-, 1652 mit Sechsganggetrieben. Ob die nachfolgenden Automatikgetriebe – inzwischen mit sieben oder acht Gängen kleine Wunderwerke der Technik – die Handschalter lange überleben werden, ist schon heute fraglich.

Denn der Technologietransfer in der Automobilindustrie hin zu Elektrofahrzeugen bedeutet auch bei den Getrieben einen Paradigmenwechsel: E-Maschinen liefern ihre Drehzahlen über einen viel größeren Bereich als Verbrennungsmotoren. Deshalb reicht in der Regel ein Einganggetriebe. Besonders sportlich ausgelegte Modelle wie der Porsche Taycan oder der Audi e-tron GT bringen es immerhin auf zwei Gänge.

Doch das regelt die Technik im Hintergrund. Von Spaß am Schalten keine Spur mehr. Aber um Spaß geht es künftig beim Autofahren nur noch in zweiter Linie. Das Auto wird vielmehr zur Erlebnis- und Besinnungsinsel, ein Refugium für unterwegs. Davon träumen zumindest die Zukunftsplaner. Ganz sicher riecht es in diesen Fahrzeugen nicht mehr nach Benzin, sondern eher nach Lavendel. Und das ist dann ja auch ganz schön.

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