Handel nach Corona-Zwangspause: „Die ersten Kunden hatten ein Leuchten in den Augen“
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Eine Kundin geht in einer Filiale der Elektronik-Fachmarktkette Media Markt in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) an einem Hinweisschild mit der Aufschrift Maskenpflicht vorbei. Der Einzelhandel kann nach einer mehrwöchigen coronabedingten Schließung in Mecklenburg-Vorpommern landesweit unter Auflagen wieder öffnen.
© Quelle: Stefan Sauer/dpa-Zentralbild/dpa
Monatelang befand sich der Handel in Deutschland im wirtschaftlichen Stillstand. Jetzt erlauben die neuen Bund-Länder-Beschlüsse vielerorts eine Öffnung, zumindest dort, wo die Sieben-Tage-Inzidenz unter 50 liegt. Auch bei 50 bis 100 Corona-Neuinfektionen binnen einer Woche haben die Geschäfte die Chance auf einen Neustart, allerdings gelten dann Einschränkungen wie Terminvergaben zum Einkaufen. Das heißt: Pro angefangenen 40 Quadratmetern Verkaufsfläche darf ein Kunde bei vorheriger Buchung eines Zeitfensters einkaufen.
Die Lockerungen gelten seit dem 8. März. Seitdem hat sich viel in Deutschlands Städten getan: Vielerorts war die Nachfrage nach wochenlangem Onlineshopping und angesichts zahlreicher Rabattaktionen groß. „Viele Kunden haben das Einkaufen sehr vermisst“, sagt Stefan Genth, Geschäftsführer vom Handelsverband Deutschland (HDE), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Für ein vollständiges Stimmungsbild sei es zwar noch zu früh. Doch es gebe definitiv Händler, die durch die Wiederöffnung gute Umsätze machten.
Lockerungen kommen im Norden gut an
Einer von ihnen ist Alexander Grosse, der in Göttingen das Schreibwarengeschäft Wiederholdt betreibt. Mehrere Monate lang schmiss nur eine kleine Kernmannschaft den Laden, per Click und Collect war lediglich die Abholung vorher bestellter Waren möglich. „Jetzt ist es schön, wieder im Laden mit den Kunden sprechen zu können, anstatt draußen in der Kälte.” Auch berichtet Grosse, dass das neue Click und Meet „sehr gut“ angenommen werde. „Die ersten Kunden am Montag hatten ein Leuchten in den Augen, die waren schon sehr begeistert.”
Ähnlich sieht es andernorts im Norden aus: In der Lübecker Innenstadt zählte das Ordnungsamt am Montagnachmittag zwischen 12 und 15 Uhr um die 3700 Passanten – so viele wie seit Wochen nicht mehr. „Viele Menschen haben am Morgen angerufen und nachgefragt, weil sie gar nicht glauben konnten, dass wir wieder auf haben“, berichtet Gudrun Grimm-Magdanz, Managerin der Douglas-Filiale im Lübecker Citti-Park, den „Lübecker Nachrichten“ (LN). Bei den Kunden im Shop herrsche dagegen wenig Unsicherheit: „Hier ist es, als hätten wir nie zu gehabt. Die Leute kennen ja auch die Hygieneregeln und Einlassbeschränkungen.“ Den Ansturm bestätigt auf RND-Anfrage auch eine Sprecherin des Unternehmens: Douglas verzeichne an den Standorten, in denen jetzt Lockerungen eingesetzt haben, generell eine sehr gute Kundenfrequenz. Ähnliche Szenen spielten sich beim Shoppingstart in Kiel ab.
Die Corona-Beschränkungen für den Einzelhandel sind in Kiel gelockert worden. Die Innenstadt füllte sich sogleich wieder mit Kunden.
© Quelle: Ulf Dahl
Die Händler freut es: „Es ist so schön, dass an uns gedacht wird“, sagte Karla Dickreuter, Geschäftsführerin des Kieler Modegeschäfts Tofte den „Kieler Nachrichten“ (KN). Auch der Einzelhandel in Rheinland-Pfalz reagiert mit Erleichterung auf die seit Montag geltenden ersten Lockerungen der Corona-Beschränkungen, vereinzelt bildeten sich Schlangen vor den Geschäften. „Das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen“, sagte der Geschäftsführer des Handelsverbands Region Trier, Alfred Thielen. Das Privileg der Öffnungen wisse man zu schätzen und gehe entsprechend vorsichtig damit um.
Auch im Osten des Landes konnten Händler und Kunden anlässlich der neuen Lockerungen aufatmen. „Ich bin sehr erleichtert“, sagte Tatjana Göritz, Besitzerin eines Kosmetikstudios in Brandenburg, der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (MAZ). Sorgen bereiten ihr demnach nur die Bedingungen, die an eine Wiedereröffnung geknüpft sind: Einen negativen Covid-19-Test vorweisen zu müssen, schrecke manchen Kunden allein wegen des Aufwands ab. Und die Regelung trage dazu bei, dass Termine nur kurzfristig möglich sind – abhängig davon, ob ein Corona-Schnelltest vorliegt oder nicht.
In dem Bundesland sind sogenannte körpernahe Dienstleistungen seit Montag ebenfalls wieder erlaubt.
Trotz Lockerungen: Deutschlands Händler stehen vor Herausforderungen
Es wird nicht gelingen, die durch den Lockdown verlorenen Umsätze wieder einzuholen.
Stefan Genth
Geschäftsführer vom Handelsverband Deutschland (HDE)
Die Corona-Krise hat Spuren hinterlassen. Händler im Land stehen noch immer vor Herausforderungen. „Die Ware hängt noch wie Blei in den Regalen“, sagte Thielen. Das bestätigt auch HDE-Geschäftsführer Genth: Gerade im Modehandel gehe es jetzt darum, noch möglichst viel Winterware zu verkaufen und parallel bereits mit der Frühjahrsware erfolgreich zu sein. „Es wird jedoch nicht gelingen, die durch den Lockdown verlorenen Umsätze wieder einzuholen.“
Ähnlich geht es den Baumärkten im Land. Und obwohl auch bei ihnen monatelang Stillstand herrschte, bleibe der große Ansturm wie nach den Wiederöffnungen im April 2020 bislang aus, erklärt Hornbach-Sprecher Florian Preuß dem RND. „An fast allen Standorten haben wir die nach den Verordnungen zulässige Gesamtzahl nicht erreicht“, sagt er. Nur vereinzelt seien Wartezeiten und Schlangen vor den Märkten aufgetreten. Ähnlich schildert Alexander Reichelt, stellvertretender Marktleiter bei Obi, gegenüber der „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ) die Situation im Osten des Landes: „Auch in Sachsen-Anhalt hat sich gezeigt, dass der große Kundenstrom wahrscheinlich erst am Donnerstag und Freitag einsetzt.“
Der Grund: Die Hochsaison der Baumärkte beginnt allmählich. „Dieser hohen Nachfrage können wir nicht allein durch Onlineshopping und Click and Collect gerecht werden“, fürchtet Preuß.
Einzelhandel: Kritik an Click and Meet wird laut
Der Einkauf mit Terminvereinbarung ist für viele auf Dauer eine wirtschaftliche Herausforderung. Laut Genth wollen zwar 91 Prozent der Handelsunternehmen Click and Collect anbieten, zeitgleich sagen aber 37 Prozent, dass sich das kaum oder gar nicht lohnen werde. „Der Aufwand ist mit Blick auf die möglichen Umsätze in der Eins-zu-eins-Betreuung einfach zu hoch“, sagt der Experte. „In der Folge stehen nach wie vor Zehntausende Händler vor der Insolvenz, auch weil die Verluste der vergangenen Monate vielerorts einfach zu groß waren.“ Der HDE fordert deshalb eine klare bundesweite Öffnungsperspektive.
Zudem hält der Verband eine „einseitige Fokussierung auf die Inzidenzzahlen“ für falsch. Die Vorgaben ließen außer Acht, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) das Infektionsrisiko beim Einkaufen als niedrig einstuft. „Es gibt also keinen Grund mehr, die Geschäfte geschlossen zu halten oder lediglich den Einkauf mit Terminvereinbarung zuzulassen“, meint Genth. „Dass das mit den Hygienekonzepten im Einzelhandel hervorragend klappt, beweist der durchgängig geöffnete Lebensmittelhandel seit Monaten.“
Kritik an 40-Quadratmeter-Regel: Saarland hebt Teil der Beschränkungen auf
Der Einzelhandel fühlt sich trotz Lockerungen teilweise ungerecht behandelt. So klagte etwa im Saarland die Betreiberin eines Computerladens gegen die 40-Quadratmeter-Regel. Die Folge: Das örtliche Oberverwaltungsgericht hat die Vorschrift zur Beschränkung des Einzelhandels am Mittwoch vorläufig außer Vollzug gesetzt. Sie sei eine Ungleichbehandlung gegenüber „privilegierten Geschäftslokalen“ wie Buchhandlungen und Blumenläden, in denen eine Person pro 15 Quadratmeter als „infektionsschutzrechtlich unbedenklich“ angesehen werde, teilte das OVG mit. Die gegenwärtige Regelung verletze auch das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit und die Eigentumsgarantie. Zudem bestünden „erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Betriebseinschränkungen“. Von dem Richterspruch könnten neben dem IT-Laden auch andere Einzelhandelsgeschäfte profitieren.