Mehr Privatinsolvenzen: „Das hängt mit der Pandemie zusammen“
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Die Zahl der Privatpleiten in Deutschland ist erstmals seit zehn Jahr wieder gestiegen und hat sich 2021 nahezu verdoppelt.
© Quelle: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Ze
Hannover. Ein zu teurer Ratenkredit, überraschende Arbeitslosigkeit oder gesundheitliche Probleme – wird die Schuldenlast zu groß, bleibt Verbraucherinnen und Verbrauchern die Privatinsolvenz als letzter Ausweg. Den haben im vergangenen Jahr fast doppelt so viele Menschen wie 2020 beschritten: 109.031 Verbraucherinsolvenzen hat die Wirtschaftsauskunftei CRIF registriert – 96 Prozent mehr als im Vorjahr, wie das Unternehmen mitteilte.
Hauptgrund ist laut CRIF-Geschäftsführer Frank Schlein eine Gesetzesänderung Ende 2020: Die Dauer bis zur ersehnten Restschuldbefreiung ist seitdem in den meisten Fällen von sechs auf drei Jahre gesunken. „Der starke Anstieg an Privatinsolvenzen im letzten Jahr ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass viele Privatpersonen entsprechende Anträge auf eine Insolvenz im Jahr 2020 zurückgehalten haben“, ist Schlein deshalb überzeugt.
Anstieg ist Folge der Reform – und der Pandemie
Und doch hängen die Privatinsolvenzen mit der Pandemie zusammen – worüber ihre Gesamtzahl womöglich hinwegtäuscht: Während Wirtschaftskrisen sparen Verbraucherinnen und Verbraucher tendenziell mehr, Staaten verteilen zugleich oft großzügig Hilfen. In der Finanzkrise 2008/2009 war die Zahl der Verbraucherpleiten deshalb gesunken. In der Pandemie blieb der Wert mit Blick auf den Zwei-Jahres-Durchschnitt – und damit von der Reform bereinigt – in etwa konstant.
Zwar betont Schlein, dass die Hilfsprogramme auch in der Pandemie gewirkt haben – aber nicht nicht bei allen Hilfsbedürftigen: Vor allem Selbstständige, darunter besonders Künstler und Schausteller, treffen die Einkommensverluste hart, wie mehrere Schuldnerberatungen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bestätigten. „Es kommen vermehrt Selbstständige zu uns, und das hängt mit der Pandemie zusammen“, erklärte etwa eine Sprecherin der Caritas.
Weniger Unternehmenspleiten
Die Auskunftei Creditreform hat dabei zudem eine Verschiebung registriert: Während die Privatinsolvenzen zunahmen, sank die Zahl der Unternehmenspleiten 2021. Die Ursachen dafür sind unklar. Aber offenbar entscheiden sich einstige Freiberuflerinnen und -berufler und Selbstständige – eine geringe Zahl an Gläubigern vorausgesetzt – zunehmend für die Verbraucherinsolvenz, sagte Creditreform-Sprecher Patrick-Ludwig Hantzsch. Das absehbare Ende der Unternehmenshilfen in Deutschland dürfte deshalb für mehr Verbraucherinsolvenzen sorgen, meint Hantzsch.
Auch Schlein erwartet, dass 2022 mehr Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Zahlungsunfähigkeit anmelden – zumal Menschen zunehmend an ihre finanziellen Grenzen stoßen würden: „Die finanziellen Reserven vieler Betroffener sind aufgebraucht. Dazu kommen die stetig steigenden Miet- und Energiepreise“, so der Crif-Geschäftsführer.
„Erheblich zeitversetzte“ Zunahme erwartet
Wie viele Privatinsolvenzen es 2022 geben könnte, darüber gehen die Meinungen aber auseinander: Während Schlein ein ähnliches Niveau wie 2021 befürchtet, prognostiziert Creditreform laut Hantzsch, dass in diesem Jahr das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird. Das wären etwa entlang der Daten von Crif 86.000 Verbraucherpleiten – im Vergleich zu den letzten zehn Jahren immer noch ein Tiefstwert.
Ob der gegebenenfalls von Dauer ist, wird sich womöglich erst später zeigen: Wer in der Pandemie seine Arbeit verlor, profitiert noch bis März von Ausnahmeregelungen, etwa beim Arbeitslosengeld II. Bis sich deren absehbares Ende bei den Verbraucherpleiten bemerkbar macht, dürfte laut Brigitte Döcker aus dem Bundesvorstand der Arbeiterwohlfahrt noch weitere Zeit vergehen. „Deswegen rechnen die Schuldnerberatungsstellen erst erheblich zeitversetzt mit einem höheren Beratungsbedarf aufgrund der Pandemie,“ berichtet Döcker.