Pandemie-Folgen und Technologie-Umbruch: Der Druck auf die Autoindustrie hält auch 2021 an
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E-Mobilität ist ein Kernthema, bei dem finanzschwächere Betriebe oft nicht Schritt halten können.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Hannover/Berlin. Die Einschläge kommen näher. Nach einem kurzen Aufbäumen im Frühherbst fehlt dem Autogeschäft in Europa nach wie vor der Schwung, die Unsicherheit der Verbraucher hält den Absatz der für Deutschland so wichtigen Branche weit unter Vorkrisenniveau.
Sparprogramme mit Stellenabbau mehren sich. Dabei blieb vor allem kleinen Firmen schon vor Corona unter dem Druck der Elektrifizierung und Digitalisierung kaum Luft zum Atmen. Gleichzeitig sind Investitionen in die neue Autowelt überlebensnotwendig. Nun steht der Sektor, an dem allein in der Bundesrepublik direkt und indirekt gut zwei Millionen Arbeitsplätze hängen, vor einem womöglich noch härteren Jahr 2021. Aber Politik und Industrie steuern dagegen.
VW-Aufseher Stephan Weil: „Riesengroßer“ Druck wegen Umstellung auf elektromobile Basis
Für den Kauf von E- und Hybridwagen gibt es bis Ende 2025 Prämien. Kurzfristig brauchen jedoch insbesondere Zulieferer Unterstützung. Ab Januar soll ein neues Programm den Übergang von Verbrennertechnik zu alternativen Antrieben und die Nutzung von mehr Daten im Auto beschleunigen. Dafür fließen bis einschließlich 2024 mindestens zwei Milliarden Euro.
Digitalisierung in Produktion und Fahrzeug-Vernetzung ist neben E-Mobilität das zweite Kernthema, bei dem finanzschwächere Betriebe oft nicht Schritt halten können. Ein Zukunftsfonds, in den der Bund eine weitere Milliarde Euro einzahlen will, ist in Vorbereitung. Dieser soll den Wandel in Regionen mit besonders vielen Unternehmen des Wirtschaftszweigs („Auto-Cluster“) abfedern. Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufseher Stephan Weil (SPD) sagte: „Der Druck, innerhalb von zehn Jahren zwischen 60 und 65 Prozent des Absatzes auf elektromobile Basis umzustellen, ist riesengroß.“
Tausende Jobs auf der Streichliste: Unternehmen geraten in die Bredouille
Auch die Hersteller selbst sind in Zugzwang. Die Absatzkrise verlor im September zunächst etwas an Schärfe – danach setzte sich das Minus der Neuzulassungen fort. Fehlt Umsatz bei laufenden Kosten und enger Finanzierung, geraten die Unternehmen in die Bredouille. Viele von ihnen legen Programme zur Weiterbildung der Mitarbeiter auf. Parallel dazu landen aber Tausende Jobs aus der herkömmlichen Verbrennerproduktion auf der Streichliste.
Groß war der Aufschrei bei Continental, wo bis 2029 weltweit 30.000 Stellen „verändert“, verlagert oder abgebaut werden. Weitere Werke schließen bald, Politiker und Betriebsräte kritisierten die Art der Umsetzung heftig. Der neue Vorstandschef Nikolai Setzer machte klar, dass es unter ihm Investitionen vor allem in zukunftsträchtigere Felder geben wird: „Die Software macht den Unterschied.“
Großer Stellenabbau bei VW, Daimler und BMW
Im weltgrößten Autokonzern Volkswagen ist eine Verschärfung der schon laufenden Einsparungen bei der Kernmarke bisher nicht geplant. Die Strukturen werden aber radikal umgebaut, im Laufe der kommenden Jahre dürften bis zu 20.000 Jobs wegfallen. Währenddessen entsteht eine Software-Sparte mit mittelfristig mehr als 10.000 Beschäftigten. Die Tochter Audi hatte bereits 2019 beschlossen, 9500 Jobs abzubauen. Beim Lkw-Bauer MAN tobt ein Streit über Kürzungen ähnlichen Umfangs.
Im Fall von Daimler war ein Abbau von bis zu 15.000 Jobs kolportiert worden, es gab Berichte über 30.000. Die Zahlen kommentiert man nicht – das Ziel seien möglichst sozialverträgliche Lösungen. Aus Sicht der Belegschaft überspannen Vorstandschef Ola Källenius und Personalchef Wilfried Porth den Bogen, von „Sparwahn“ ist die Rede. Berichten zufolge wird ein Börsengang der Lkw-Sparte vorbereitet. BMW kappt 6000 Stellen und verzichtet ebenso auf betriebsbedingte Kündigungen, im zweiten Quartal 2020 schrieben die Bayern erstmals seit elf Jahren rote Zahlen. Opel baute seit der Übernahme durch den französischen PSA-Konzern massiv Arbeitsplätze mit Abfindungen ab – nun genehmigte die EU-Kommission auch die Fusion mit Fiat Chrysler unter Auflagen.
Weitere Autozulieferer neben Conti wie Bosch, ZF und Schaeffler sparen ebenfalls stark. Und das sind nur die größten Vertreter einer Branche, an deren Wertschöpfung wiederum Beschäftigte im klassischen Maschinenbau, in der Chemie und in angrenzenden Bereichen teilhaben.
Brexit: Mehr Bürokratie über Herkunftsregeln für einzelne Teile befürchtet
Auch die Spannungen um den Brexit-Handelsvertrag mit Großbritannien sind noch nicht ausgestanden. Selbst ohne die bisher gefürchteten Zölle könnte es mehr Bürokratie oder Streit über Herkunftsregeln für einzelne Teile geben. „Jetzt kommt es darauf an, die praktischen Hürden schnellstmöglich zu beseitigen“, mahnte der Autoverband VDA.Und bei wichtigen Zuliefer-Materialien schlägt die Corona-Krise inzwischen wieder voll durch: Lieferengpässe bei Halbleitern zwingen etwa Beschäftigte bei Volkswagen zu weiterer Kurzarbeit.
Die von Staat und Industrie finanzierten Kaufanreize beleben zumindest die Nachfrage nach Elektroautos seit dem Sommer spürbar. Die absolute Zahl der E-Fahrzeuge ist indes noch relativ gering. Kunden können bis zu 9000 Euro Zuschuss je Wagen erhalten. Der VDA begrüßte dies, Chefin Hildegard Müller betonte aber: „Zur Zukunft gehören weiterhin auch moderne Verbrenner. Hier muss mit aller Kraft daran gearbeitet werden, den Kraftstoffeinsatz CO2-neutral zu machen.“
Umweltschützer sehen Förderung von Hybridautos als Mogelpackung
Eine Durchdringung der Flotte mit neuen Antrieben ist wichtig, um die verschärften Klimaziele einzuhalten – der „Green Deal“ der EU soll jetzt schrittweise umgesetzt werden. Dass auch Hybridautos gefördert werden, sehen Umweltschützer als Mogelpackung. Andere Konzepte wie die Brennstoffzelle oder synthetisch produzierter Sprit stehen noch am Anfang. Diskutiert wird über Zieldaten für ein Verbrenner-Aus. In Großbritannien sollen ab 2030 keine Benziner und Diesel mehr verkauft werden dürfen, weitere Länder haben verbindliche Endtermine im Blick.
Der Ausbau des Ladenetzes bleibt einstweilen der größte Hemmschuh. An Fernstrecken wächst zwar die Zahl der Ladesäulen. Doch viele private Nutzer müssen ihren Wagen zu Hause, in der Stadt oder bei der Arbeit laden können. Auch hier gibt es Zuschüsse, es sind Veränderungen im Bau- und Mietrecht nötig. Der Bund will erreichen, dass es bis Ende 2022 Schnelllademöglichkeiten an jeder vierten Tankstelle gibt. Trägt eine Selbstverpflichtung der Branche nicht Früchte, folgt ein Gesetz.
VDA: Ladenetzausbau hält nicht mit Elektroauto-Boom Schritt
Laut VDA müssen rund 2000 neue öffentliche Ladepunkte pro Woche her, um das Ziel von einer Million Lademöglichkeiten bis 2030 zu schaffen. „Der Ladenetzausbau hält mit dem Elektroauto-Boom, den wir im Moment haben, derzeit nicht Schritt“, sagte Müller. Kommunen, aber auch die Wohnungs- und die Energiewirtschaft seien in der Pflicht.
Lange wurde deutschen Autobauern vorgeworfen, sie hätten viel zu spät mit dem Umdenken begonnen. Inzwischen haben entsprechende E-Modelle und Fertigungsverfahren Priorität in der Investitionsplanung – wenngleich Kritiker meinen, reichweitenstarke Wagen blieben ein Luxusprodukt.
Autohersteller rüsten mit neuen Elektro- und Hybridwagen auf
VW greift mit dem ID.3 in der Kompaktklasse an, wo bisher Südkoreaner und Franzosen tonangebend waren. Der Ausbau der Reihe reiner E-Autos um den ID.4, ID.5 und weitere Modelle auch bei Konzerntöchtern sollen das elektrische Fahren schrittweise massentauglich machen. Bis 2025 pumpt die Gruppe 73 Milliarden Euro in E-Mobilität und Digitales. Bis 2030 sollen mindestens 70 E- und 60 Hybridmodelle auf dem Markt sein.
Daimler meldete im dritten Quartal 2020 rund 45.000 verkaufte Elektro- und Hybridwagen. Die Stuttgarter kündigten an, mittelfristig „die führende Position“ bei E-Antrieben und Fahrzeug-Software anzustreben. Bisher sind die meisten Modelle im höheren Preissegment angesiedelt.
BMW will ab November 2021 den Luxus-SUV iX verkaufen. Nach dem i3, der als Pionier im Kleinwagensegment galt, wird das Auto neben dem iX3 der dritte vollelektrische BMW. Die Bayern stocken ihre Planungen deutlich auf: Der Anteil elektrifizierter Fahrzeuge am Absatz soll sich laut Chef Oliver Zipse bis 2023 auf rund 20 Prozent mehr als verdoppeln. Daneben gibt es bei fast allen Herstellern neue Hybride. Und der US-Rivale Tesla prescht mit preiswerteren E-Modellen vor und will ab Juli 2021 in seiner „Gigafactory“ bei Berlin produzieren. Die komplette umweltrechtliche Genehmigung dafür steht aber noch aus.
Bund fordert: Deutschland soll Führungsrolle übernehmen
Heimische Anbieter und Zulieferer rüsten sich hier langsam gegen die bisher erdrückende Konkurrenz aus den USA und Asien. Der Bund will, dass Deutschland eine Führungsrolle einnimmt. Ein Gesetz dazu wird vorbereitet – man wolle „das erste Land weltweit sein, das fahrerlose Kraftfahrzeuge im Regelbetrieb sowie im gesamten nationalen Geltungsbereich erlaubt“. 2022 schon sollen Autos mit autonomen Funktionen im Regelbetrieb unterwegs sein.
BMW und Daimler stecken viel Geld in die Technik. Volkswagen gibt bis 2025 etwa 27 Milliarden Euro für die Digitalisierung insgesamt aus – ein Ziel ist es, den Großteil der Betriebssysteme der Autos selbst zu programmieren. Künftig sollen ganze Flotten gesteuert werden können.
Ein erheblicher Teil des Ausstoßes von CO2 und Stickoxiden im Straßenverkehr entfällt auf Lastwagen, Busse oder Spezialfahrzeuge. Um klimaschonendere Modelle auf die Straße zu bringen, startet der Bund ein Abwrackprogramm über eine Milliarde Euro – in der Hoffnung, so das konjunktursensible Geschäft über die Krise hinaus anzukurbeln. Umweltschützer monieren, dass auch moderne Diesel gefördert werden. Umweltbundesamt-Chef Dirk Messner mahnte, dies könne dem Klimaschutz schaden, weil so die Anschaffung reiner Elektro-Lkw noch mehr in die Ferne rücken dürfte.
RND/dpa