Wie Unternehmen nachhaltiger produzieren wollen
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Labels, die für nachhaltige Produktion stehen.
© Quelle: Brad Pict - stock.adobe.com
Egal, ob Kosmetik, Textilien oder Lebensmittel – die Mehrheit der Bundesbürger will nach Möglichkeit nachhaltige Produkte kaufen. Das hat unter anderem eine diesen Sommer veröffentlichte Studie der privaten Fachhochschule IUBH aus Bad Honnef ergeben. Danach sprachen sich 70 Prozent der mehr als 2000 Befragten dafür aus, einen klimafreundlicheren Lebensstil zu pflegen und dafür mehr regionale und nachhaltige Produkte zu kaufen.
Besonders nachhaltige Lebensmittel bewegten sich dabei aus der Nische heraus, in der andere Angebote noch immer feststeckten, weil etwa der Aufwand zu groß sei, sagt Prof. Stefan Schaltegger, Wirtschaftswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana-Universität Lüneburg. Schwierig sei das Thema Nachhaltigkeit beispielsweise bei Porzellan, Rasierapparaten und Staubsaugern.
Nachhaltigkeit ist schwierig zu erreichen
Nachhaltige Entwicklung ist nach der Festlegung der Vereinten Nationen eine „Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Um das zu gewährleisten, gilt es, je nach Produkt unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen: Bei Textilien ist das nachhaltige Produzieren aufgrund der Materialien und der Masse besonders schwierig, bei Elektronikartikeln gibt es wegen der Ressourcengewinnung meist eine komplizierte Lieferkette. Bei Autos hapert es oft an der wenig nachhaltigen Nutzung und bei Verbundstoffen wie Tetra Paks liegen die Probleme vor allem beim Entsorgen.
Man müsse schauen, wie und wo produziert werde, sagt Nachhaltigkeitsforscher Schaltegger. Siegel wie der „Blaue Engel“, „EUBio“ oder „Fairtrade“ bieten Käufern dabei Orientierung. Einige Händler bieten zudem ausschließlich als „Fair Wear“ oder „Gots“ zertifizierte Mode an. Wer sich nach ihnen im Laden umschaut, kann also sicher sein, dass für das Herstellen der Bekleidung neben wirtschaftlichen auch soziale und umweltschützende Aspekte eine Rolle gespielt haben.
Nachhaltige Mode produzieren
Ein Großteil der Bevölkerung habe verstanden, dass „wir nicht stehen bleiben können. Gerade jüngere Menschen wollen durch ihr Einkaufsverhalten lenken“, sagt Michael Spandern von der Rainforest Alliance Deutschland. Der Verbund aus land- und forstwirtschaftlichen Erzeugern, Unternehmen und Verbrauchern setzt sich für fairen Handel und Verbesserungen bei Produktionsstandards ein. Und das auf globaler Ebene. Denn für das Herstellen und Vertreiben etlicher Güter sind Menschen weltweit beteiligt.
Nehmen wir beispielsweise ein Herrenhemd: Nach Angaben des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie durchläuft es bei der Herstellung etwa 140 Stationen weltweit. Mittelständische Unternehmen pflegten über lange Zeit gewachsene Geschäftsbeziehungen zu ihren Lieferanten oder hätten in den Produktionsländern eigene Standorte, an denen sie fertigten, heißt es zur Begründung. Gerade in der Textilindustrie sehe sie große Fortschritte im Bereich Nachhaltigkeit, sagt Antje Gerstein, Geschäftsführerin Europapolitik beim Handelsverband Deutschland. „Es ist ein Spagat, die ganz stark von Verbrauchern nachgefragte Nachhaltigkeit über alle Einkommensschichten hinweg anzubieten“, betont Gerstein.
Ikea will bis 2030 klimapositiv werden
Für den Möbelriesen Ikea ist laut einer Sprecherin klar, „dass Nachhaltigkeit keine Frage des Geldbeutels sein darf – sie muss für die vielen Menschen erschwinglich sein“. Ikea habe das Ziel, bis 2030 klimapositiv zu werden und mehr Treibhausgasemissionen zu reduzieren, als die Wertschöpfungskette verursacht, heißt es aus der Deutschland-Zentrale. Die Möbelbranche habe Umwelt- und Ressourcenschonung von der Beschaffung bis zur Verarbeitung im Fokus, teilt der Verband der Deutschen Möbelindustrie mit. Zudem gehe es um den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten. „Wenn wir über Nachhaltigkeit im Einzelhandel sprechen, dann meinen wir ja nicht nur die Produkte, sondern auch die Logistik und die Geschäfte“, sagt Nachhaltigkeitsexperte Schaltegger. Also müsse auch beim Transport, beim Verkauf oder Versand nachhaltig gewirtschaftet werden.
Inzwischen böten viele Händler ihren Kunden Entscheidungsmöglichkeiten, sagt Antje Gerstein: im Onlinehandel zum Beispiel für eine umweltgerechtere statt der konventionellen Verpackung oder auf Wunsch eine kohlenstoffdioxidneutrale Lieferung. Es sei ein Balanceakt, die Verbraucher in Richtung Nachhaltigkeit zu schubsen und sie dennoch nicht zu sehr zu bevormunden
Auch Amazon will nachhaltiger werden
Versandhändler Amazon arbeitet eigenen Angaben zufolge daran, bis 2030 die Hälfte aller Lieferungen „CO2-neutral zuzustellen – vom Versandzentrum, in dem ein Artikel aus dem Regal genommen wird, über die Materialien, die zur Verpackung des Artikels verwendet werden, bis hin zu den Fahrzeugen, die das Paket ausliefern“.
Nach einer Logistikstudie des Händlerbunds von 2019 fühlen sich Onlinehändler zunehmend der Nachhaltigkeit verpflichtet. 42 Prozent der über 500 Befragten legten „großen Wert auf die Nachhaltigkeit der Verpackung“, 44 Prozent gaben an, dass ihre Verpackung bereits nachhaltig sei. Dennoch beeinflussten der Preisdruck und das Kundenverhalten weiterhin stark das Geschäft, sagt Andreas Arlt, CEO beim Händlerbund: „Um die Ziele erreichen zu können, setzen wir auch auf die Bereitschaft der Kunden, sich für innovative Logistikprozesse zu öffnen und mit uns an einem Strang zu ziehen.“
Das steckt hinter dem geplanten Lieferkettengesetz
Mit dem sogenannten Lieferkettengesetz wollen Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) deutsche Unternehmen dazu verpflichten, ihre ausländischen Zulieferer auf das Einhalten von sozialen und ökologischen Mindeststandards zu überprüfen. Deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern „müssen künftig prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf die Menschenrechte auswirken“, heißt es in den Überlegungen für ein Sorgfaltspflichtengesetz.
Gemeint sind damit zum Beispiel Kinderarbeit, fehlende Arbeitssicherheit, unzureichende Löhne, illegale Abholzung, Pestizidausstoß, Wasser- und Luftverschmutzung. „Die wahren Kosten für die Umwelt und den Menschen sind nicht eingepreist“, sagt Cara-Sophie Scherf vom Ökoinstitut. „Unsere Wirtschaften hat Folgen in anderen Ländern, auch wenn das für die Verbraucher hier nicht immer unmittelbar zu erleben ist.“ Ausbeutung dürfe nicht profitabel sein.
Umweltstandards einhalten
Wer gegen die Grundrechte verstößt, kann laut der Eckpunkte für das Gesetz vor einem deutschen Gericht auf Schadensersatz verklagt werden. Haften soll ein Unternehmer, wenn die Verstöße vorhersehbar und vermeidbar waren. Hat die Firma jedoch alles zur Einhaltung unternommen und kommt es dennoch entlang der Lieferkette zu Problemen, soll sie nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Die Bundesregierung setzt bislang darauf, dass sich Unternehmen freiwillig an menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Umweltstandards halten. Ob aus den Eckpunkten ein Gesetzentwurf entsteht und wann dieser beschlossen wird, ist unklar. Es könnte auch eine europäische Regelung geben
In unserer Serie „Wie wollen wir jetzt leben?“ stellen wir Ihnen vom 7. bis zum 14. November Ideen für eine nachhaltige Welt vor.