Steigende Energiekosten treffen Rentner und Geringverdiener besonders hart
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/S6PS3BT4BZH25EX555UZ6V5FMU.jpeg)
Die Energiepreise steigen weiter. Besonders hart wird der Preisanstieg Experten zufolge Rentner und Geringverdiener treffen.
© Quelle: Marijan Murat/dpa
München. Der starke Anstieg der Energiepreise wird aus Sicht von Experten Rentner und Geringverdiener finanziell härter treffen als Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Denn bei Letzteren übernimmt der Staat einen Großteil der Kosten, wie die Bundesagentur für Arbeit und der Deutsche Städtetag mitteilten. Sozialhilfeempfänger bekämen die Kosten für Verpflegung und Unterkunft erstattet, sagte Hans Maier, der Direktor des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen. „Das ist nicht unsere größte Problemgruppe. Sondern das sind die Menschen, die kein Wohngeld oder keine Sozialhilfe empfangen, zum Beispiel Rentner.“
Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas teilt diese Einschätzung. Die höheren Kosten für Heizung träfen die Menschen weniger stark, die staatliche Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern II und XII beziehen, sagte ein Sprecher des bayerischen Caritas-Landesverbands. Denn diese könnten die erhöhten Kosten beim Jobcenter beziehungsweise Sozialamt geltend machen. Und diese würden in der Regel in tatsächlicher Höhe übernommen. In den beiden Gesetzbüchern sind Hartz IV und Sozialhilfe geregelt. Die größeren Probleme werden laut Caritas Menschen haben, „die nicht im Leistungsbezug sind“.
Bundeskanzler Scholz appelliert an die Zuversicht der Bevölkerung
In seinem Video-Podcast hat Bundeskanzler Olaf Scholz an die Bürgerinnen und Bürger appelliert, nicht die Zuversicht zu verlieren.
© Quelle: Reuters
Ein beträchtlicher Teil der arbeitenden Bevölkerung hat laut Wirtschaftsforschungsinstitut DIW keine finanziellen Reserven. „Jeder dritte Haushalt in Deutschland hat kein nennenswertes Erspartes, auf das er in diesen Krisenzeiten zurückgreifen kann, um die höheren Kosten für das Heizen oder die Lebensmittel abzudecken“, sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in Berlin.
Nach Angaben von Fratzscher gibt es in Deutschland mehr als zwei Millionen Aufstocker – Arbeitnehmer, die trotz Gehalts auf zusätzliche staatliche Leistungen angewiesen sind. Bisher spüren viele Bürger den Anstieg der Energiekosten noch nicht in vollem Ausmaß. Das wird sich nach Einschätzung quasi aller Fachleute ändern.
„Der Anstieg der Energiekosten wird auch den Mittelstand treffen“
Die bayerischen Wohnungsunternehmen (VdW) schätzten im Juli, dass allein der bis dahin eingetretene Anstieg des durchschnittlichen Gaspreises von 7 auf 13 Cent pro Kilowattstunde für einen durchschnittlichen Haushalt 1700 Euro Mehrkosten pro Jahr bedeuten würde, das wären gut 140 Euro monatlich.
Seither ist der Gaspreis laut Portal Verivox noch einmal um etwa fünf Cent gestiegen, eine weitere Verteuerung wird erwartet. Dazu kommt noch die Gasumlage, deren Höhe die Bundesregierung am Montag bekannt geben will. Und abgesehen vom Gas dürften auch Lebensmittel, Strom und viele andere Dinge teurer werden.
„Der Anstieg der Energiekosten wird nicht nur die Schwellenhaushalte treffen, sondern auch den Mittelstand“, prophezeite deswegen VdW-Direktor Maier. „Ich glaube, dass mehr Menschen die Vorauszahlungen, vielleicht auch irgendwann die Miete nicht mehr bezahlen können.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat weitere Hilfen für die Bürger versprochen, aber die Höhe ist bislang unklar.
Auf Dauer führe weniger Einkommen „erst in die Überschuldung und dann möglicherweise in die Privatinsolvenz“, sagte Frank Schlein, Geschäftsführer der Wirtschaftsauskunftei Crif in Hamburg. „Personen, die eine Privatinsolvenz anmelden, müssen dabei nicht zwingend hoch verschuldet sein.“ Ein Großteil der Betroffenen hat demnach in Summe Schulden von weniger als 10 000 Euro.
Kommunen und Stadtwerke zeigen sich besorgt
Auf den Staat inklusive Kommunen kommen ebenfalls hohe Mehrausgaben zu – für Arbeitslose und Arbeitslosengeld II-Empfänger (Hartz IV) ebenso wie für Menschen, die die eigentliche Sozialhilfe beziehen, weil sie nicht mehr erwerbsfähig sind.
Hoch sind die zu erwartenden Mehrausgaben vor allem bei Hartz IV. Der Städtetag beziffert die Gesamtausgaben für die Unterkunft im Jahr 2021 auf 14,1 Milliarden Euro, davon trugen die Kommunen rund 4,2 Milliarden.
„Verdoppeln sich die Heizkosten, würden sich die Kosten der Unterkunft schätzungsweise um 1,5 Milliarden Euro erhöhen, bei einer Verdreifachung der Heizkosten wären es zusätzlich 3 Milliarden Euro“, sagte ein Sprecher des Städtetags. Die Kommunen müssten bei doppelt so hohen Heizkosten davon etwa 500 Millionen und bei dreimal so hohen Heizkosten etwa eine Milliarde Euro zusätzlich aufbringen.
Besorgt sind auch Stadtwerke. „Ja, wir befürchten mehr Zahlungsausfälle, wenn viele Kundinnen und Kunden ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können“, sagte eine Sprecherin der bayerischen Landesgruppe des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU).
Der Verband fordert von der Bundesregierung unter anderem die Senkung der Mehrwertsteuer für Strom-, Gas- und Wärmelieferungen auf sieben Prozent und ein vorübergehendes Insolvenzmoratorium wie in der Hochphase der Corona-Pandemie. Bund und Staatsregierung sollten gemeinsam einen Schutzschirm für Stadtwerke aufspannen.
Caritas rechnet mit spürbaren Folgen ab Januar
Der Sozialverband Caritas beobachtet in seinen Beratungsstellen bereits jetzt vermehrte Nachfragen von Bürgern, ebenso „große Verunsicherung und Beunruhigung“, wie ein Sprecher des bayerischen Caritas-Landesverbands in München sagte. Kleine Renten lägen oft nur einige Euro über dem Sozialhilfeniveau.
„Menschen mit niedrigem Einkommen verfügen in der Regel auch nicht über sparsame Elektrogeräte, haben oft zugige Fenster, alte Gasthermen und schlecht isolierte Wohnungen, was die ganze Problematik noch verschärft“, sagte der Caritas-Sprecher. Der Wohlfahrtsverband erwartet für das nächste Jahr bereits zwei Wellen Rat und Hilfe suchender Bürger: Ab Januar 2023, wenn die ersten Stromabrechnungen kommen, und dann ab Frühjahr mit dem Eintreffen der Nebenkostenabrechnungen.
RND/dpa