Chef des größten Stadtwerks: „Habe Angst, dass Verbraucher wegen der Preisbremse die Heizung aufdrehen“
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Es braucht schon heftige Bohrköpfe, um für Geothermie heiße Quellen unter der Erde anzubohren. Die Stadtwerke München haben das schwere Gerät eingesetzt, um an 90 Grad warmes Wasser zu kommen, das für das Heizwerk Freiham aus 2.500 Metern Tiefe nach oben gepumpt wird.
© Quelle: Stadtwerke München
Florian Bieberbach, Chef der Münchener Stadtwerke, fordert, die Umstellung der Wärmenetze auf Erneuerbare in diesem Jahr ganz oben auf die Prioritätenliste für die Energiewende zu setzen. Weil die Umrüstung auf Wärmepumpen nicht genüge. Insbesondere im Winter benötigten diese Aggregate enorm viel Strom. Der Chef des größten deutschen Stadtwerks appelliert außerdem, den Ausbau der Windenergie massiv zu forcieren. Bei den Energiepreisen empfiehlt er den Verbrauchern, sich für 2023 auf anhaltend hohe Tarife für Gas einzustellen. Beim Strom könne es hingegen zu einer leichten Entspannung kommen. Zugleich sieht er den Trend, dass Privatkunden sowie kleine und mittlere Unternehmen ihren Energieverbrauch herunterfahren.
Herr Bieberbach, die Stadtwerke München wollen im neuen Jahr die Installation von Wärmepumpen massiv forcieren. Ist das eine Art Neustart nach all den Verwerfungen durch die Energiekrise?
Dass wir Wärmepumpen jetzt stärker propagieren und auch selbst anbieten wollen, steht im Kontext eines Dekarbonisierungsprogramms für München: Wir brauchen einen massiven Zubau von Wärmepumpen, und zwar für Gebiete außerhalb des Bereichs der Versorgung mit Fernwärme. Bei diesem Thema muss sehr, sehr viel mehr passieren als in der Vergangenheit.
Wir setzen dabei verstärkt auf Grundwasserwärmepumpen. München hat dafür ideale Voraussetzungen. Dieser Markt entwickelt sich aber von selbst nicht so richtig. Wir als Stadtwerke bieten jetzt in Zusammenarbeit mit Handwerksunternehmen Rundumpakete an, mit denen die Installation der Wärmepumpen komplett organisiert wird. Finanzielle Zuschüsse gibt es dazu vom Staat.
Florian Bieberach
Florian Bieberbach ist seit Januar 2013 Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke München. Nach einem Studium der Informatik und einer Promotion in Wirtschaftswissenschaften war ab 2000 in London im Investmentbanking tätig. 2002 wechselte er zu den Münchener Stadtwerken. Das kommunale Unternehmen, das der bayerischen Landeshauptstadt gehört, ist das größte deutsche Stadtwerk.
Was ist der Vorteil der Grundwasserwärmepumpen?
Insbesondere in kalten Winternächten ziehen die Luftwärmepumpen extrem viel Strom, weil sie de facto zu Stromheizungen werden. Grundwasserwärmepumpen sind da erheblich effizienter. Da die Temperatur des Grundwassers nur gering schwankt, ziehen sie wesentlich weniger Strom als Luftwärmepumpen.
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Energie aus der Umgebung: Was Sie über Wärmepumpen wissen müssen
Wärmepumpen gelten als nachhaltige Alternative zum klassischen Heizen mit Öl und Gas. Ob aus dem Erdreich, dem Grundwasser oder Luft: Die Pumpen beziehen ihre Wärme auf unterschiedliche Weise. Welche Pumpe hat welche Vorteile? Und was ist generell zur Wärmepumpe zu beachten?
Wo liegt das Hauptproblem beim Ausrollen von Wärmepumpen?
Es klemmt, und das Hauptproblem ist die mangelnde Kapazität von Fachleuten, die solche Wärmepumpen installieren können. Von Firmen, die das können, hören wir immer wieder, dass sie auf lange Zeit ausgebucht sind. Die Aufgabe, in Deutschland all die Wärmepumpen einzubauen, die für den Klimaschutz gebraucht werden, ist eine gigantische.
Was brauchen wir noch?
Neben Wärmepumpen und Wärmenetzen benötigen wir natürlich erheblich mehr Windstrom. Die Photovoltaikanlage auf meinem Wohnhaus etwa war im Dezember zeitweise ein Totalausfall, weil Schnee drauf lag und deshalb null Strom produzierte – das ist halt im Winter so. Deshalb braucht man vor allem im Winter die Windenergie. Auch die Stadtwerke müssen jetzt wieder mehr für die Windenergie tun und wieder Teams aufbauen, die Windenergieprojekte voranbringen. Aber es fehlt auch an Personal in Behörden, die Anträge für Windparks bearbeiten. Es fehlt an Personal in Gerichten, die Streitigkeiten bei Windenergieprojekten bearbeiten.
Bayerische Gemeinde setzt auf Geothermie
Pullach will bis Ende des Jahrzehnts den Wärmebedarf der Gemeinde zu 100 Prozent aus geothermischen Quellen decken.
© Quelle: Reuters
Was läuft falsch bei Genehmigungsverfahren für Windprojekte, die in der Regel fünf bis sechs Jahre dauern?
Wir brauchen unbedingt einen Paradigmenwechsel in den Behörden. Es gibt eine ungute Entwicklung: Behördenmitarbeiter müssen sich bei allen Entscheidungen mittels Gutachten immer stärker absichern. Denn immer mehr besteht die Gefahr, dass eine Entscheidung vor Gericht landet. Wer dann vor Gericht verliert, bekommt einen Eintrag in die Personalakte.
Der Gutachtenwahnsinn zögert Entscheidungen hinaus. Die Mentalität in den Behörden geht zu stark auf Risikovermeidung und zu wenig darauf, etwas voranzubringen. Bei Verfahren für Schienenfahrzeuge müssen die Mitarbeiter in den Behörden persönlich haften, wenn etwas schiefgeht. Deshalb sichern sie sich nach allen Seiten ab. Wir müssen dafür sorgen, dass Behördenmitarbeitern der Rücken freigehalten wird und dass sie auch Risiken eingehen können. Das ist ein ganz wichtiges, aber stark unterschätztes Thema.
Die Mentalität in den Behörden geht zu stark auf Risikovermeidung und zu wenig darauf, etwas voranzubringen.
Mit dem Ausbau von Wärmenetzen müssen wir ein weiteres, extrem dickes Brett bohren?
Wir haben den Vorteil, dass es in Deutschland schon viele Wärmenetze gibt – in großen Ballungsräumen vor allem. Diese Netze müssen umgerüstet werden, zum Beispiel von Dampf auf Heizwasser. Die Heizkraftwerke, die derzeit noch mit fossilen Energien arbeiten, müssen zu erneuerbaren Einspeisern gemacht werden – also beispielsweise Geothermie und Bioenergie in kleineren Ortschaften. Das ist kein hoffnungsloser Fall, aber auch eine Herkulesaufgabe. Da haben Sie recht.
Wie läuft es in Ihrem Haus mit dem Umsetzen der Nothilfe, also den nun wirksamen Preisbremsen für Gas und Strom?
Unsere Mitarbeiter aus den Abteilungen IT und Abrechnung kommen inzwischen auf dem Zahnfleisch daher. Die müssen Abrechnungssysteme immer wieder umprogrammieren – völlig verrückt. Ich würde nicht sagen, dass wir schon alles im Griff haben. Aber ich bin für die Stadtwerke München zuversichtlich, dass wir das rechtzeitig schaffen.
Die Bundesregierung will 2023 nicht nur die Preisbremsen einführen, sondern auch Tariferhöhungen von Versorgungsunternehmen ganz genau unter die Lupe nehmen. Ein Misstrauensvotum gegen die Stadtwerke?
Dass das Kartellamt nun die Gas- und Strompreise überprüft, finde ich völlig in Ordnung. Jetzt kommen die hohen Energiepreise bei unseren Kunden an, was für blankes Entsetzen sorgt. Vor allem weil viele Leute die Entlastungswirkung der Strompreisbremse für sich noch nicht komplett verstanden haben. Bei uns rufen wahnsinnig viele Kunden an, die wissen wollen, was jetzt los ist. Das Problem dabei ist, dass wir bis vor wenigen Tagen auch noch nicht alle Details der Preisbremsen kannten.
Sie haben vor einigen Monaten davon gesprochen, dass sich die Gaspreise wieder normalisieren werden und die Tarife für die Kunden gesenkt werden. Wann ist es so weit?
Das hängt jetzt ganz davon ab, wie schnell der Markt reagiert. Momentan deutet sich nicht an, dass es im Ukrainekonflikt zu einer Entspannung und dass es zu einer Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen kommt. Sollte dies dennoch geschehen, würden die Preise schlagartig und massiv fallen. Ich halte dieses Szenario für unwahrscheinlich, aber denkbar. Eine Normalisierung auf anderem Weg kann sich über vier, fünf Jahre hinziehen – mit der allmählichen Steigerung der Importe von verflüssigtem Erdgas.
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Worauf müssen sich die Kunden der deutschen Stadtwerke dann in diesem Jahr konkret einrichten?
Ich empfehle unseren Kunden, für das ganze Jahr 2023 mit erhöhten Gaspreisen zu kalkulieren. Und wir wissen noch nicht, ob sich die Versorgungslage im nächsten Winter noch einmal verschärft, da ist die Unsicherheit groß.
Wie sieht es beim Strom aus?
Beim Strom könnte es zu einer leichten Entspannung kommen, wenn die Franzosen ihre Kernkraftwerke in den Griff kriegen. Aber solange Gas teuer ist, bleibt auch die Stromerzeugung mit Gas teuer. Auf günstigere Konditionen kann man hoffen, aber damit zu kalkulieren wäre fahrlässig.
Es zeichnet sich ab, dass Verbraucher beim Heizen sparsamer werden. Bemerken Sie auch diesen Trend?
Wir können diese Beobachtungen bestätigen. Wir sehen auch in München Rückgänge beim Gasverbrauch, die nicht mit höheren Außentemperaturen erklärbar sind. Die Verbraucher sparen tatsächlich. Das gilt auch für viele Gewerbekunden. Seit Oktober sehen wir diesen Effekt. Das war genau der Zeitpunkt, als klar wurde, dass die Preise massiv steigen. Ich habe allerdings etwas Angst, wie auch alle Akteure in der Politik, dass Verbraucher sich jetzt wegen der Preisbremse zurücklehnen und dann wieder die Heizung aufdrehen.
Zurück zu den Erneuerbaren: Wo werden wir mit dem Ausbau in einem Jahr stehen?
Ich glaube, dass sich Ende 2023 bei der installierten Leistung der Erneuerbaren nicht sehr viel getan haben wird. Aber ich bleibe ein chronischer Optimist und glaube, dass wir bei den Rahmenbedingungen im nächsten Jahr sehr viel weiterkommen. Die Möglichkeiten, Wärmepumpen zu installieren und erneuerbare Fernwärme zu erzeugen, werden sehr viel besser sein. Der Widerstand gegen Windenergie lässt nach – sogar in Bayern. Und bei Industriekunden stehen die Themen Klimaschutz und Energiesouveränität nun ganz oben auf der Agenda. Auch bei den Privatkunden ist für 20 bis 30 Prozent der Klimawandel sehr wichtig. Aber die Mehrheit will einfach nur eine sichere Stromversorgung zu einem günstigen Preis.
Der Widerstand gegen Windenergie lässt nach – sogar in Bayern.
Wenn Sie fürs neue Jahr einen Wunsch an die Bundesregierung frei hätten, was wäre das?
Das Thema der Umstellung von Wärmenetzen auf erneuerbare Erzeugung muss in der politischen Priorität noch viel weiter nach vorne gerückt werden. Der riesige Wärmemarkt, den wir dringend umkrempeln müssen, rangiert in der Politik immer noch in der zweiten Reihe. Geothermie muss es als Wärmequelle in erster Linie sein, plus Wärme aus Müllheizkraftwerken. Bionenergie ist in ländlichen Räumen wichtig.
Lange Zeit hieß es, dass Gebäude energetisch saniert werden, dann noch eine Wärmepumpe bekommen und die Sache ist erledigt. Das ist zu einfach. Die Lösungen sind viel komplexer, auch weil die energetische Sanierung nur bedingt umgesetzt wird. Wenn eine Kommune aber an einem Fluss liegt, dann kann sie mit Flusswärmepumpen für die Wärmenetze viel machen. Die Nutzung der Geothermie ist nicht nur in München, sondern in vielen deutschen Städten möglich. Insbesondere im gesamten Norden Deutschlands und überall dort, wo es Thermalquellen gibt. Das müssen wir jetzt ganz dringend angehen.